Da ist er nun, der goldene Oktober. Vor dem Fenster färben sich die Blätter gelb und rot, wahlweise vor grauem (heute) oder strahlend blauem (gestern) Himmel. Vor einigen Jahren noch liebte ich vor allem den Frühling, inzwischen bin ich längst Herbst-Fan. Wenn alles noch da ist an Blättern, und sich aber schon alles in goldene Farben hüllt, Kastanien, Eicheln, Ahornblätter aufgelesen werden können. In Kombination mit Vanillekerzen himmlisch :)
Auf einmal ist er da, der Herbst. Ein bisschen schon herbeigesehnt nach der Hitze des Sommers und der ewigen Frage: Wenn nackt noch zu warm ist, was ziehe ich dann an?
Und dann so gefühlt urplötzlich gekommen - und nun frag ich mich: Was ist los mit uns Menschen?
Schon zu Beginn des neuen Jahres hatte ich das Gefühl: Hm, das ist irgendwie anders als vor einem Jahr... Egal, wohin ich schaute oder hörte, überall fehlte ein wenig Leichtigkeit oder wenigstens das Ansinnen, nicht alles so ernst zu nehmen, auch nicht sich selbst.
Wenn ich jetzt so auf das Jahr zurückschau, frage ich mich immer noch: Wann hat es begonnen, dass der Mensch begann, so unzufrieden zu werden? Dass er an allem und jedem herumnörgelt, dass unbestritten wichtige Themen so aufgebauscht werden, dass es einer Hysterie gleichkommt?
Was ist wann mit uns passiert?
Die Welt hat sich in zwei Lager geteilt: Die Befürworter und die Gegner - und die Themen sind so verschiedenfarbig wie das Laub vor meinem Fenster.
Klima und Umwelt - ein nach wie vor wichtiges Thema, doch immer öfter kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen "Leute, bitte lasst die Kirche im Dorf!"
Du darfst nur dafür sein, dagegen sowieso nicht, aber Du darfst auch nicht kritisch oder wenigstens nachdenklich Debatten und Veranstaltungen verfolgen und Dir dann noch Deine eigene Meinung bilden. Weil Du ja sowieso falsch liegst und immer noch nicht begriffen hast, dass es Fünf
nach Zwölf ist. Und Du vielleicht hoffentlich längst in der Gruft gammelst, während draußen die Apokalypse tobt - und Deine Kinder oder etwaigen Enkel das zu spüren bekommen.
Wie gesagt. Lasst bitte die Kirche im Dorf. Und hinterfragt die eine oder andere Aussage bitte oder recherchiert. In Zeiten des Internets gibt es ausreichend einfache Möglichkeiten.
Das habe ich auch gestern jemandem auf FB geschrieben, als eine Debatte losgetreten wurde ob der möglichen Erhöhung von Krankenkassenbeiträgen.
Es gab nur zwei Fronten: Die eine schimpfte auf all die Nichtstuer aus dem Ausland, die sich hier nen goldenen Lenz machen und unsere Sozialkassen plündern - die andere erinnerte an die Wasserköpfe der Versicherungen. Wie viele Krankenkassen es gibt, weiß ich selber derzeit nicht, bin auch zu müde zu googeln; es sind aber in jedem Fall zuviele. Meiner Meinung nach jedenfalls. Was brauchen wir zwischen 100 und 200 Versicherungen? Der Marktwirtschaft wegen? Wozu brauchen wir dann zig gesetzliche Kassen? Auch der Marktwirtschaft wegen?
Egal. Im Abschlussbericht für 2018 meiner eigenen Kasse jedenfalls stand, dass nach Abzug aller Aufwendungen, Rücklagen und Kosten ein Überschuss von ca. 40 Millionen Euro erwirtschaftet worden war. Und die Kasse zum 4. Mal in Folge ein derart erfolgreiches Jahr bilanzieren durfte.
Das schrieb ich dem Flüchtlingsgegner-Mob und fügte hinzu "Lesen und Rechnen können Sie?"
Natürlich gabs darauf keine Antwort, und manchmal frage ich mich selbst, warum ich mir das immer wieder antu.
Aber ich frage mich dann auch: Wenn meine Kasse wie so viele andere auch so gute Ergebnisse einfahren, wieso muss der Steuerzahler dann darauf eingestellt werden, dass die Beiträge steigen könnten?
Ich frage mich so einige Sachen, auch im Hinblick zum Beispiel auf den sinnlosen Plastikmüll, in dem wir gefühlt ersticken. Nicht nur wir. Auch das Meer. Mein geliebtes Meer. Weil der Mensch das größte Sauschwein aller Zeiten ist und bleibt - und seinen Dreck überall entsorgt, aber viel zu oft nicht da, wo er es sollte. Oder im Hinblick auf die Dieselproblematik. Jetzt kommt die CO2-Steuer und die Kfz-Versicherungen sollen sich in etwa verdoppeln. Der Sprit soll teurer werden. Früher haben wir gelacht, wenn wir hörten, dass die Grünen am liebsten 5 Mark für den Liter Sprit verlangen wollten. Inzwischen lachen wir längst nicht mehr. Aber ist das alles so gerechtfertigt?
Denen, die bevorzugt das Rad nutzen können, ist das egal. Denen kanns auch egal sein.
Kann ich erhöhte Kosten für das Fliegen akzeptieren, weil ich sowieso meist Auto oder Bahn fahre?
Kann ich erhöhte Kosten für das Autofahren nicht akzeptieren, weil ich davon abhängig bin - und die Belastung eh schon hoch genug ist? Ich seh das beispielsweise an Sohn I: Seitdem er wieder ein eigenes Kfz hat, um zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten den Dienst antreten zu können, ist sein finanzieller Spielraum auf genau genommen Null geschmolzen. Er hangelt sich von einem Monat zum anderen. Ich bewundere immer, wie er das schafft - aber es bleibt eine Belastung im Kopf: Was wird, wenn dies und jenes eintritt?
Klar, er hat mich - aber er will das gar nicht. Er will frei und unabhängig sein, von seinem Lohn seine eigenen Kosten tragen können - und trotzdem wenigstens ein bisschen Luft haben.
Ist das zuviel verlangt für einen Job von montags bis samstags und gerade mal eintausendeinhundert Krabben? Er ist sehr sparsam - aber oft auf Kosten seiner Gesundheit.
Wir sollten uns möglichst Bio ernähren, da kann er nur müde drüber lächeln. Man muss es auch bezahlen können. Egal, ob Bio nun wirklich auch immer Bio ist oder nicht.
In einer Stadt wie M halte ich das Autofahren für sinnlos. Die ÖPNV-Vernetzung ist so klasse ausgebaut - da braucht es kein Auto. Eigentlich. Aber würde ich das Autofahren hier in der Stadt verbieten wollen? Was ist mit denen, die nachts oder wenigstens spät zur Arbeit müssen oder von da kommen? Ich persönlich möchte nicht ein, zwei Stunden lang nachts irgendwo auf einen Bus oder eine Bahn warten müssen. Nicht nur, weil ich müde bin und nach Hause wollte. Vor allem auch, weil ich Angst hätte. Ich persönlich fahre auch nicht jeden Schritt mit dem Auto, weder hier in M noch in L. Tagsüber. Nachts, das gebe ich zu, wäre das was anderes, solange ich allein unterwegs wäre.
Kann ich also Menschen nur disziplinieren, indem ich ihnen immer mehr Geld abknöpfe?
Und jetzt noch CO2 besteuere, weil ich die Erzeugung und Abgabe begrenzen möchte?
Wie eigentlich? Indem ich Kreuzfahrtschiffe beispielsweise nicht verbiete, aber das Fahren so teuer mache, dass über kurz oder lang keiner mehr will? Oder nur noch die, denen die Preise sowieso egal waren?
Indem ich Dieselfahrzeuge verbiete und das E-Auto in den Fokus richte, obwohl die
Herstellung und Entsorgung der Batterien immer noch genug Schadstoffe emittieren, es sei denn, ich fahr ein Kleinfahrzeug meinetwegen der Größe Twingo?
Indem ich das Fliegen teurer mache, damit Klein Erna aus Buxtehude nicht auch nach Mallorca fliegen kann, während die Bundesregierung bis zu
800 Leerflüge in einem Jahr (!) produziert? Obwohl sie das ganze Jahr drauf gespart hat und sich freut, doch mal was anderes sehen zu können als den alten kaputten Holzzaun vorm Fenster und den Nachbarn im Fenster gegenüber?
Ich persönlich denke ja: Wer glaubt, dass die CO2-Steuer für den Klimaschutz verwendet wird, der glaubt auch immer noch, dass die Rentenbeiträge für die Rente genutzt werden.
Und während ich meine täglichen Überstunden ins System eintrage, anschließend noch Abendessen zubereite und nicht lange danach todmüde ins Bett falle, bin ich trotzdem froh, dass es mir persönlich immer noch so viel besser geht als anderen. Dass ich in einem Land wie Deutschland geboren wurde - auch wenn jetzt gefühlt jeder Dritte darauf scheißt oder wenigstens meckert.
Ich weiß noch, wie ich mich fühlte, als wir im Oktober 2016 aus Indien zurückkehrten. Wie dankbar ich die eiskalte, klare Luft einatmete, wie sauber die Straßen waren, durch die wir an jenem Morgen fuhren, wie köstlich das frische Brot duftete, das die Freundin als Willkommensgruß gebacken hatte - und dass ich niemals mit meinen Kindern täglich in Staub und Dreck liegen musste in der Hoffnung, ein paar Cent oder Euro in die Hand gedrückt zu bekommen. Was Überlebenskampf bedeutet, weiß auch eine Greta Thunberg nicht - und insofern kann ich ihre Worte "Ihr habt mir meine Kindheit gestohlen" auch nicht (mehr) ernst nehmen. Ab irgendeinem Punkt dieses Kampfes ist es gekippt...
Ja, uns geht es verdammt gut - und dennoch frage ich mich momentan, woher sie kommt, diese stetig wachsende Unzufriedenheit der Menschen. Dass wir nicht zufrieden sein können mit dem, was wir haben. Dass wir so neiderfüllt, so hasserfüllt auf andere schauen, die etwas bekommen, für das sie nichts geleistet haben, während man hier immer mehr alte Menschen sieht, die in Abfallkübeln wühlen. Warum wir so ängstlich hüten wollen, was wir haben, um eines Tages nicht auch im Kübel suchen zu müssen? Warum wir Angst haben, es könnte morgen einen Klimaknall geben und wir alle werden zu Staub? Wo ist die Besonnenheit, die Sachlichkeit, eine gewisse Pragmatik geblieben, anstatt uns in Hysterie aufzulösen? Warum tun wir so, als hätten wir uns nie fürs Klima interessiert und nun sei unsere Zeit beinah abgelaufen? Stimmt das überhaupt, dass wir nie was getan haben? Ich denke doch mal nicht. Aber möglicherweise denke ich überhaupt momentan wieder etwas zuviel und möglicherweise auch nicht immer das Richtige.
Ich persönlich denke aber eben auch, dass der Mensch wieder lernen sollte, viel mehr zu genießen. Auch und vielleicht auch gerade dann, wenn es viel zu tun gibt.
Aktuell arbeite ich viel, sehr viel, zuviel (sagt der Mann). Und ich würde daran zerbrechen, vermutlich, würde ich mir nicht kleine Inseln schaffen. Inseln dahingehend, dass wir ausgehen, dass wir woanders hinfahren, dass wir Freunde, Familie besuchen, vom Alltag loslassen. Und seien es nur drei, vier Stunden eines Abends, an dem man noch nicht zu müde war.
Es ist Oktober. Es ist schon wieder Oktober. Grad war doch noch Mai. Oder Juni.
Alles vergeht so schnell. Ich will nicht nur existiert haben, ich möchte auch
gelebt haben. Denn das ist es ja immer noch: lebenswert. Irgendwie hab ich nur das Gefühl, dass der Mensch diesen Aspekt ein bisschen aus dem Auge verloren hat.