Mittwoch, 23. Oktober 2019

At Eighty


"Du darfst das nicht so an dich heranlassen", mahnte der Mann heute Abend, als ich das Auto vor dem Haus geparkt hatte, die Hand noch auf dem Schlüssel, auf off gedreht im Zündschloss, wir leise miteinander am Telefon sprachen und ich mich dann zurücklehnte, müde und irgendwie.. sehnsuchtsvoll.
Ich weiß, dass es mich nicht erschüttert haben sollte. Zum einen betrifft es nicht mich selbst. Zum anderen ist es keine neue Situation. Und zum Dritten.. sind es Dinge, die vermutlich so alt wie die Liebe und die Menschen sind.
Es ist nichts Neues.
Und dennoch erschüttert es mich immer wieder neu.
Weil ich umso mehr Anteil nehme, je mehr ich Betroffene kenne.
Wenn jemand vor dir sitzt, die Enttäuschung, die Verletzung in den Augen, im ganzen Gesicht. Und die immer bewusster werdende Erkenntnis, dass man einen Menschen wirklich erst dann kennen lernt, wenn man sich von ihm trennt.

Dass ab diesem Moment einfach nichts mehr zählt. Nicht die vergangenen gemeinsamen Jahre. Nicht die Fürsorge. Nicht die Freiheiten, die der eine dem anderen ermöglichte. Nicht das sorglose Leben. Nicht die gemeinsamen Kinder. Und vor allem.. nicht die Liebe, die man irgendwann füreinander empfunden hat und die sich an irgendeinem Punkt im Leben in das Gegenteil zu verkehren schien.
Wenn sich Wege auseinander definieren, wenn jeder immer mehr eigene Wege geht und immer weniger Gemeinsamkeiten verbinden.. Wenn es mehr Dinge gibt, die beide trennen als Dinge, die beide einander verbinden.. Soll man dann gehen oder bleiben? Bleiben der Familie, der Kinder wegen? Soll man ein Leben für die anderen führen oder eines, das beiden die Möglichkeit lässt, neue Wege zu gehen? Die Erfüllung darin zu finden, was dem anderen fremd geworden sein mag? Oder nie nah war?
Wenn nichts mehr bleibt außer irrwitzige Forderungen und vorausgesetzte Selbstverständlichkeiten.
Nur.. Nichts ist selbstverständlich. Niemand ist selbstverständlich. Ein Ja ist nicht für die nächsten hundert Jahre ein Ja, wenn du es nicht mehr in dir fühlen kannst. Wenn das Nehmen und Geben längst völlig in Schieflage geraten ist und jeglichen Ausgleich vermissen lässt.


Quelle:
https://www.facebook.com/inthewaitingline/photos/rpp.1513783015572602/2
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Heute Abend, als ich so müde und irgendwie erschöpft in meinem kleinen Auto saß, die Hände inzwischen im Schoß, der Blick nachdenklich auf die Straße und die vorbei eilenden Menschen gerichtet, da sehnte ich mich nach dem Mann. Nach dem Zuhause, das das Zusammensein mit ihm verspricht. Nach der Ruhe im Kopf und im Bauch.
Natürlich haben auch wir schwierige Zeiten hinter uns. Natürlich können wir uns auch leidenschaftlich zoffen und wir stimmen weiß Gott nicht in jeder Hinsicht überein. Und je älter wir werden, desto deutlicher werden unsere Unterschiede. Doch was das alles immer noch überwiegt, ist die Liebe, die wir füreinander empfinden. Und die Dinge, die uns immer noch verbinden. Dass dazu gehört, dass wir streiten können, ohne uns ernsthaft zu verletzen, verbal nicht und körperlich gleich gar nicht. Wir können uns zoffen, uns danach auch aus dem Weg gehen und einander in Ruhe lassen und vermutlich haben wir uns und unsere Beziehung schon hundert Mal in Frage gestellt.
Doch was er niemals vermissen lassen hat, ist der Respekt mir gegenüber. Als Mensch, als Frau.
Für mich eine völlig neue Erfahrung nach der so gegensätzlichen Ehe.
Und würden wir uns morgen trennen, würden wir uns immer noch in die Augen schauen können.
Mir persönlich bedeutet es wahnsinnig viel.
Dass man sich immer noch in die Augen schauen kann. Auch dann, wenn man realisierte, dass es miteinander nicht geht. Dass man trotzdem die Achtung voreinander nicht verliert.

Heute Abend sehnte ich mich einmal mehr danach, ich könnte nach Hause kommen und er wäre da. Dass wir nur ein paar Kerzen entzünden und Musik hören würden, aneinander, ineinander verschlungen. Wo es keine Worte braucht.
Er ist jetzt aber nicht da. Und ich bin woanders.
Inzwischen habe ich seit zwei Stunden meine Lieblingsmusik laufen und eine Kleinigkeit gegessen.
Und jetzt fühle ich mich deutlich besser.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

This.
Absolut.

Gwen

Rain hat gesagt…

Es ist genau diese Erkenntnis, die ich fürchte:
Dass ich erst im Moment der Trennung diesen Menschen, von dem ich ein
gutes und gefestigtes Bild habe, noch einmal richtig kennenlernen könnte.
Auf eine Art, die das Bild, was ich von ihm habe, was herzugeben ich
nicht ohne Weiteres bereit bin, beschädigt.

Mein jetziger Erkenntnisstand ist dieser:
Menschen (zumindst die gute Zeit mit ihnen) sind stets nur auf ein
Geschenk auf Zeit, dieses wird uns auf eine von drei Möglichkeiten
wieder weggenommen:

a) Tun oder Unterlassen von ihnen
b) Tun oder Unterlassen von uns selbst
c) Tod

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Da ich leider - ich weiß immer noch nicht, warum - nicht mehr via Handy kommentieren bzw. auf Kommentare antworten kann, kann ich Dir erst jetzt antworten, wo ich am Rechner sitze :)
Ich denke, am schwierigsten fühlt sich an, jemandem wehzutun, der einen liebt. Was das dann hervorbringt, davor habe auch ich inzwischen tiefe Furcht, auch aus eigenem Erlebten heraus.
Insofern, ja: Die Liebe eines Menschen für einen selbst ist ein Geschenk. Dass er da ist, bei einem ist, keine Selbstverständlichkeit (und es erschüttert mich inzwischen fast täglich, was sich da derzeit vor meinen Augen bzw. Ohren abspielt. Zwar gipfelt es nicht in körperliche Angriffe und Bedrohungen wie bei mir damals, aber vergleichbar ist es so oder so nicht - menschliche Abgründe sind erschütternd, egal in welcher Hinsicht). Ich kann Dich sehr gut verstehen, dass Du Dein jetziges Bild wahren möchtest. Andererseits stellt sich dennoch die Frage, zu welchem Preis - und was das mit Dir macht.
Option C wäre dennoch keine Option für mich. Weil es die einzige ist, die niemals mehr umkehrbar gemacht werden kann. Und weil sie im Eigentlichen auch.. keinen Weg darstellt.