Dienstag, 22. Oktober 2019

Dieses Gefühl von Zimt



Als der Mann unlängst im Garten hinter dem Haus ein paar Äpfel auflas und mit nach Hause brachte und ich mit diesen einen Apfelkuchen nach bretonischer Art buk, da dachte ich daran, wie gerne ich heute backe, ausprobiere und wie sehr ich den zartsüßen Duft nach Zimt, Vanille und überhaupt Gebackenem im Zuhause liebe.
Nach dem letzten Kommentar von Ursula zu den Weihnachtstagen und wie weh Erinnerungen daran tun können, da dachte ich an die eigenen frühen Jahre bei uns zu Hause. Es wurde immer viel gebacken, bei der Mama, bei der Oma. Alles atmete nach Heimlichkeit und nach Heimeligkeit. Draußen war gefühlt immer Schnee, es war immer kalt, drinnen lief ich nur in einem dünnen Pullover und gestrickten Strumpfhosen herum und spielte den ganzen Tag lang mit meinen Puppen, malte oder las in den Büchern, während die Mama in der Küche stand und Kuchen buk. So dass es im ganzen Haus nach Vanille, Zucker und süßer Wärme schmeckte.
Ich erinnere mich an die frühen Jahre, wo Geschenke gekauft, manche in Seidenpapier eingeschlagen im Schrank versteckt wurden. Ganz oben, wo sie dachten, dass die Kleinen da eh noch nicht hinaufkommen. Ich erinnere mich an Orangen, die in Papier geschlagen und zu all den Sachen in den Schrank gelegt wurden, zu den Walnüssen, zu den Haselnüssen. Damals war das alles etwas Besonderes, denn von allem gab es zu wenig.
Ich erinnere mich an den Geruch der Tanne, die der Papa am heiligen Abend von irgendwoher brachte, aufstellte und schmückte, während wir Kinder der Reihe nach in die Badewanne geschickt wurden. Und wir genau wussten, wenn wir alle wieder raus durften, dann war der Weihnachtsmann da und hatte hoffentlich mitgebracht, was wir Tage, Wochen zuvor eifrig auf das Papier gemalt hatten.
In den Weihnachtstagen hatten wir Kinder Ferien und die Eltern frei, man hatte Zeit miteinander und füreinander, die Eltern waren entspannter, schimpften weniger, lachten mehr.
Oft lag ich auf dem Fußboden und hörte mir den ganzen Tag lang Schallplatten an. Zum hundertsten Mal die Geschichte vom Burattino. Oder wartete auf all die Zeichentrickfilme im Nachmittagsprogramm.
Bis heute verbinde ich mit den Weihnachtstagen dieses Wohlfühlen, diesen Geschmack von Zimt und Vanille auf der Zunge und diesem Geruch in der Nase, gemischt mit dem Duft nach reifen Orangen und frisch zerknackten Nüssen.

Die Jahre später, als Mama mit kleinen Kindern, die habe ich nicht so entspannt erlebt. Da war ich diejenige, die in der Küche stand, gefühlt den ganzen Tag putzte, kochte, buk. Geschenke in Papier einschlug, wenn die Kinder schliefen. Die Einkaufszettel aufstellte und abarbeitete. Die eigentlich mit nichts anderem beschäftigt war als zu schauen, dass alle versorgt waren, alle glücklich waren - und es an nichts fehlte.
Dass alle Gäste zufrieden waren und die Küche wieder aufgeräumt war, überhaupt das Chaos beseitigt war, wenn alle gegangen waren und die Kinder wieder in ihren Betten lagen.
Irgendwie war ich da so "drin", dass ich irgendwann vergaß, wie sich die Weihnachtstage eigentlich anfühlen sollten. Dass sie eigentlich etwas ganz anderes bedeuteten als Einkaufsstress und all den ganzen anderen Wahnsinn.
Genau genommen kam ich erst zur Ruhe und erst zur Besinnung, nachdem ich ausgezogen war.

Niemals werde ich jenes erste Weihnachten vergessen, das dem Auszug folgte. Weihnachten 2003. Die Kinder waren bei ihrem Vater, meine Familie weit weg und ich.. Ich saß ganz allein zu Hause, öffnete eine Flasche Wein und prostete so lange auf das Leben, bis ich die Lieder mitsang, die ich aufgelegt hatte, ein bisschen dazu weinte und es dann ab irgendeinem Pegel nicht mehr schmerzte, hier allein zu sein.
Seitdem war ich an keinem einzigen Weihnachten mehr allein zu Haus. Mal besuchte ich meinen Bruder, mal meine Eltern - oder es gab jemanden, mit dem die Weihnachtstage nicht gar so einsam waren. Aber ich begann wiederzuentdecken, warum ich diese Zeit des Jahres so liebe und warum sie mir so viel bedeutet. Warum ich es bis heute nicht über das Herz bringe, meine Kinder, und seien sie nun auch längst erwachsen, in dieser Zeit allein zu lassen. Warum es mich zerreißen würde zu wissen, dass mein Ältester nach der Arbeit abends heimkäme in eine kalte, leere Wohnung, ohne den Duft von Zimt und Bratapfel und heißem Tee oder Kakao, wo einfach niemand wäre, der ihm das Wohlfühlen vermittelt. Wo er sich einfach nur auf das Bett fallen lassen würde, vielleicht durch die Programme zappen oder ein paar Whatsapp-Nachrichten beantworten und dann irgendwann darüber einschlafen würde. Wo er nur darauf warten würde, dass Heiligabend vorüber ginge und er am nächsten Morgen wieder in die Arbeit fahren würde.

Heute setze ich mich keinem Stress mehr aus. Wir planen entspannt und wir agieren entspannt, auch wenn das bedeutet, mal eine Strecke von A nach B zurückzulegen. Mich persönlich stört es nicht, solange es kein Wetterchaos gibt. Dann wird die Karte, die ganzjährig hinter der Frontscheibe steckt und die daran erinnert, dass das Leben zu kurz für Knäckebrot ist, ausgetauscht gegen die Karte "Driving Home for Christmas". Hauptsache, wir sind zusammen. Da braucht es keine großartigen Geschenke. Wir sind einander Geschenk, dass wir zusammen sind, ist ein Geschenk. Auch wenn für den einen oder anderen natürlich immer eine Herzensgabe dabei ist. Ich für mich lebe immer noch mein Credo, dass man, wenn man die Dinge nicht mit Liebe (oder mit Herzblut) tut, dann braucht man sie auch gar nicht zu tun. Jedenfalls im Zwischenmenschlichen.

Als ich unlängst mit meinem Papa telefonierte und erwähnte, die Jungen seien zu viert im Kino, da spitzte er die Ohren: "Zu viert?" "[Sohn I], [Sohn 2 und dessen Freundin] und [ein Kumpel von Sohn II]", lächelte ich.
"Schade", sagte er und ich antwortete: "Ja ich weiß, was du dachtest. Noch nicht."
Denn ich glaube immer noch daran, im Gegensatz zum Sohn selbst, der damit abgeschlossen hat: "Ich habe mich damit abgefunden, dass ich immer alleine bleibe. Ich bin ein Einsiedlerkrebs."
"Und ich denke, dass du deinen Weg schon gehen wirst und am Ende auch alles so kommt wie du es dir wünscht. Das ist mein Gefühl. Frag mich nicht warum und woher das kommt, keine Ahnung."

Vermutlich ist es auch das, was ich mit den Weihnachtstagen verbinde.. Neben all dem Besinnlichen, dem zur Ruhe Kommenden.. bedeutet es auch einen Abschluss von Gewesenem. Das neue Jahr kommt mit einem großen Schritt heran und bringt etwas Neues. Was auch immer es werden wird. Aber etwas Neues. Und eines Tages muss für jeden darin auch etwas Gutes liegen.


You’ve still got so much more to say

Don’t let this life you have slip away
(Live for another day)
Don’t let this life you have slip away
The sun will rise with each new day
(Live for another day)

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma,

danke.
Für's Erinnern. Daran, was Weihnachten auch für mich ist.

Und für die Musik. :)
Ich glaube, ich mach mir mal ne Playlist "Helmas Mucke".

Liebe Grüße
Gwen

Grit hat gesagt…

Hallo Helma,
danke für diesen schönen Post, welcher mir beim Lesen schon ein heimeliges Gefühl mit ganz viel Einfühlungsvermögen vermittelt. Ich selber habe noch gar keine Gedanken an Weihnachten verschwendet, soviel nimmt mich das Hier und Jetzt in Anspruch, vorallem mit gesundheitlichen Problemen.
Zimt und Vanille gehören bei mir auch immer beim Backen dazu und wenn das ganze Haus danach duftet, einfach himmlisch. Weihnachten war als Kind immer so unheimlich aufregend und auch ich habe eine schöne Kindheit verleben dürfen mit ganz viel Liebe und Geborgenheit. Bei mir kam immer der Weihnachtsmann :) und irgendwann, wo ich älter war, bin ich dann in das Kostüm geschlüpft. Bei meinen Sohn wurde jedes Jahr, einer anderen Person diese ehrenvolle Aufgabe übertragen und irgendwann haben wir es sein gelassen, weil Sohnemann immer, nach dem eigentlich geheimnisvollen Auftritt, erklärte, wer unter dem Kostüm versteckt war. :) Jetzt ertönt hier das Glöckchen und erst dann, dürfen alle in das Wohnzimmer mit dem schönsten aller Weihnachtsbäume :) kommen und dann gibt es Bescherung. Die Kinder werden so schnell erwachsen und so manches Mal blicke ich wehmütig zurück Mit Ihren Jungs und einer eventuellen Freundin, wenn ich das richtig gedeutet habe, das wird schon noch werden, so wie Sie schreiben, sind die Zwei ja noch unter 30.
Der Opa darf also noch hoffen, ganz bestimmt.
Ein herzlicher Gruß zu Ihnen sendet Grit.

Inch hat gesagt…

Sehr schön geschrieben. Weihnachten, die ganze Familie zusammen, das ist auch für mich das Wichtigste. Und Geschenke kaufe ich das ganze Jahr über, wenn ich denk, das wäre doch fein für diesen oder jenen, kaufe ich es und lege es in meinen Geschenkeschrank. Und dann das Backen und Sockenstricken in der Vorweihnachtszeit!
Und Buratino... den verschten wir im Sommer zwei Wochen lang in Russland zu kaufen. Bis man uns aufkläret, den gibt es nicht mehr. Gegen den haben die Pinocchio-Inhaber geklagt.
Schade. Aber die Erinnerung bleibt ja

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Gwen, na hey, das freut mich ja echt, dass Dir meine Musikauswahl gefällt :) Das meiste finde ich eher zufällig beim nächtelangen Herumstöbern bei youtube - und im nächsten Post werde ich den zweiten Song dieser Band mit einbasteln, den ich mir auch gleich kaufen musste. Jetzt höre ich die beiden im Dauerrepeat und gehe damit aktuell meinen Söhnen auf die Nerven ;) Die haben nix gegen Musik, nicht mal gegen meine, aber sie haben was gegen ne Endlosschleife :D

Liebe Grit, ich freu mich echt wirklich immer über Ihre Kommentare - und dass die so ausführlich sind :) Und jaaa!!! Meine Kinder haben auch immer sofort gewusst, wer der Weihnachtsmann war. Mal der Opa, mal der Papa - sie haben ihn immer erkannt. Was Sohn I aber anfangs, als er noch kleiner war, nicht daran hinderte, sich vor lauter Aufregung ganze dreimal auf den hellen Teppich zu erbrechen. Und mittags hatte es immer Spinat gegeben :)
Nun, von der 30 ist der Älteste nun nicht mehr weit weg - aber dennoch ist mein Bauchgefühl so sicher zuversichtlich. Vielleicht, weil er immer an sein erklärtes Ziel kam - und dass der Weg dorthin immer länger dauerte als bei anderen. So war das von klein auf an.

Liebe Inch, die zündende Idee für eine Überraschung gelingt mir meist immer erst kurz vor Zwölf. Ich hab keine Ahnung wieso, denn unter Druck bin ich eigentlich nicht wirklich gut - aber in dieser Hinsicht scheint es zu funktionieren ;)
Oh ja, das Sockenstricken!! Das hatte ich ganz vergessen. Früher strickte die Mama alles mögliche - Socken, Hosen (mit Lederherzen auf den Knien, zum Schreien! :)), Pullover, Mützen... Heute strickt sie nur noch Socken, und hatte der Mann anfangs auch drüber geschmunzelt, so wartet er inzwischen jedes Jahr auf sein Paar, weil wir die als "Hausschuhe" nutzen und sie übers Jahr dann doch vor allem an den Fersen zerschlissen sind.