Mittwoch, 17. Juni 2020

Über den Dingen


Stell dir vor, du kommst zur Welt, du lernst laufen, sprechen. Dein Geist ist so beweglich, so agil, dass du viel zu oft schneller denkst als du zu sprechen vermagst. Entsprechend oft verhaspelst du dich und dein Umfeld reagiert gereizt: "Verstehst du, was der von mir will? Ich versteh den nicht."
Du willst alles wissen, alles entdecken, du hinterfragst alles und so lange, bis du es verstehst bzw. bis es einen Sinn für dich macht. (Hierin erkenne ich mich so oft wieder.)
Du bist unfassbar schüchtern, aber alles in dir begehrt nach Liebe, nach Zuwendung, nach Anerkennung. Es ist unglaublich, wie du leuchten kannst, wenn du das bekommst. 
Aber du bekommst es viel zu wenig. 
So schnell und beweglich dein Geist auch ist, so wenig kannst du dich auf plötzlich veränderte Situationen einstellen. Du hängst an deinen Gewohnheiten, vermutlich, weil die dir etwas vermitteln, das du früh begonnen hast zu vermissen: Stabilität. Geborgenheit. Und je älter du wirst, desto ausgeprägter wird es.
Auf die meisten Menschen wirkst du verträumt, nicht bei der Sache. Man muss dich anstupsen, immer wieder. Aber du musst wissen, den meisten Menschen fehlt dafür die Geduld.
Überhaupt fehlt den Menschen die Geduld, das Verstehen - und die Akzeptanz dafür, dass ein Mensch ist wie er ist. Aber dass er ein Mensch ist wie jeder andere auch. Ein Mensch, der hofft und lebt und denkt und fühlt und wünscht und träumt. Von dem Tag, wo alles anders werden soll. Wo alles besser werden soll. Und du bist der Überzeugung, dass die Welt gut zu dir ist, weil du es auch bist. Du glaubst daran, dass dir niemand etwas Böses will, weil du es auch niemandem wünscht. 
Du willst gar nicht hören, dass es nicht so ist. 
Du willst es nicht hören von Menschen, die glauben, sie hätten schon alles gesehen und erlebt und müssten dir erst noch zeigen, wie es funktioniert, dieses Leben. 
Und bei diesen Worten "Das Leben ist nun mal so" möchtest du dich genauso gerne übergeben wie ich mich. 
Weil, das Leben ist nicht so. Es berechtigt niemanden, sich über einen anderen zu stellen. Es entschuldigt nicht, dass der Mensch ein Schwein ist - und es damit begründet, dass er auch nur von eben solchen umgeben sei.
Weil das Leben das ist, was wir daraus machen. 
Genau daran möchtest du glauben. Doch mit den Jahren lernst du, dass du irgendwie.. gegen Windmühlen läufst. Du suchst und findest einfach nicht den richtigen Platz, fühlst dich nicht geborgen und nicht aufgehoben. 

Da, wo du vor eineinhalb Jahren angekommen bist, hast du dich reingefunden. Der Start war vielleicht etwas holprig, aber der Weg glättete sich mit der Zeit. Du hast den Zugang gefunden zu dem, was dich umgibt. Die Anerkennung, die zwischendrin immer mal aufblinkt, zuletzt ganz deutlich vor etwa drei Wochen, ein ganz helles Licht, das macht dich froh, das entspannt dich. Dich und diejenigen, die dich lieben. Jedenfalls hast du das gedacht - bis vor etwa zehn Tagen. 
Es ist nur eine einzige, die es schafft, dich von deinem aufrecht gewordenen Gang wieder runterzureißen. Warum sie das tut, kann niemand sagen.
"Das Schlimme ist, dass ich mir vorstellen kann, dass sie recht hat", sagst du. Und deine Flügel hängen tief, viel zu tief. 
Wenn man dir etwas Negatives sagt, glaubst du das sofort, denn damit kennst du dich aus.
Wenn man dir etwas Positives sagt, glaubst du kein Wort, weil du dir nicht vorstellen kannst, dass es stimmen soll.
Entsprechend lange dauert es, bis man dich wieder aufrichten kann.
Und kaum stehst du wieder, bekommst du heute den nächsten Tritt in die Kniekehlen.
Menschen, die dich kennen und die dich lieben; Menschen, die dich kennen und dich mögen, die verstehen das nicht und können es nicht einordnen. Sagen, dass du drüber stehen sollst. Aber das kannst du nicht. Du bist so oft verletzt worden, so zerrissen von Selbstzweifeln, dass du dich nur noch mehr verschließt und an nichts mehr glaubst.
Und ich.. Ich steh da und weiß nicht, was ich noch tun soll. Mir glaubst du kein einziges Wort. 

2 Kommentare:

Juna hat gesagt…

Fühl du dich umarmt.

Das "Problem" kenne ich, zu gut, kann es nur besser verpacken ;-) Er braucht Hilfe, Hilfe, die er sich selbst holt und mit der er genau und ausschließlich nur an diesem Problem arbeitet. Das ist schwer, das tut weh, aber die Chancen stehen gut, sofern er es wirklich aus eigenem Antrieb macht und etwas ändern möchte.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich hab ihn gefragt, ob er nicht doch noch mal. Er glaubt nicht, dass es ihm was bringt. Aber ich werde nächste Woche nochmal in Ruhe mit ihm darüber sprechen.