Dienstag, 26. Juni 2018

The Weight of the World



“I was trying to say that, really, a man and a woman, can't understand each other because we are a man and a woman. And if we could actually swap each other's roles, if we could actually be in each other's place for a while, I think we'd both be very surprised!"
Kate Bush 


"Manchmal verstehe ich dich nicht", beklagt hin und wieder der Mann. Meist lächle ich dann, hin und wieder ziehe ich ratlos die Schultern hoch - und antworte nicht. Manchmal denke ich "Ich dich auch nicht immer, jedoch das macht nichts."
In den Tagen, die mir zu laut, zu schnell und zu brachial werden, ziehe ich mich in mich selbst zurück. Dann bin ich immer noch da - in Wahrheit jedoch sind mein Kopf, meine Sinne und meine Empfindungen ganz woanders. Ich glaube, ich muss das tun, um mich zu schützen, mich zu retten - mich mit all dem, das mich ausmacht. Vor dem Alleinsein habe ich keine Angst, Stille um mich herum empfinde ich nicht als bedrückend - weil ich die Worte in mir aushalten kann und will. Und weil ich die Stille in mir mit Musik füllen kann, wenn ich es brauche.

Es ist gut zehn Jahre her, als mir etliche Elektroden an den Körper geschnallt wurden, um irgendwelche Kurven aufzuzeichnen, die durch meinen Körper strömen.
"Ich lasse Sie jetzt für ein paar Minuten allein und Sie versuchen für diesen Moment, mal an nichts zu denken. Sich einfach herunterzufahren."
Mir war nicht klar, ob ich tatsächlich nichts denken würde können, mir war nicht klar, ob ich tatsächlich nichts würde fühlen können, das die Kurven ansteigen ließe.
Er verließ den Raum und überließ mich mir selbst. So wie er die Tür hinter sich schloss, lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Eine Melodie kam mir in den Sinn, eine dieser wundervollen streichelzarten Melodien, die ich nur in bestimmten Momenten auflege.
Sie kam mir mit einer derartigen Nachhaltigkeit in den Sinn, dass ich glaubte, diese Melodie tatsächlich hören zu können. Und so lag ich in diesem Stuhl, völlig mir selbst überlassen mit dieser Melodie, die nur in meinem Kopf existierte, so laut und zugleich so zart, und doch vermochte nur ich sie zu hören. In diesem Augenblick gehörte ich nur mir ganz allein, mir mit dieser Melodie.. und ich fühlte mich.. frei.. Ich fühlte mich so wunderbar frei und losgelöst, an nichts denken zu wollen, an nichts denken zu müssen, nichts fühlen zu müssen - und zugleich so... so dermaßen erfüllt zu sein..
(Später wird man ganz erstaunt sein über meine Biokurven, dass es in der Tat erstaunlich sei, wie sehr und wie weit ich mich "herunterfahren" könne. Und ich lächelte und sagte: "Ich habe immer gesagt, dass ich es kann und weiß, wie es geht.")
Da waren diese Bilder in meinem Kopf.. Wie ich barfuß über den Holzfußboden laufe, hinüber zum Fenster, mich auf die Fensterbank kuscheln, hinausschauen, eine Tasse heißen Kakao in der Hand, während vor dem Fenster kalter Regen die gelben Blätter vor sich hertrieb... Auf meinem Schoß ein Buch, der Raum erfüllt vom süßen Duft der Vanillekekse.
Wie ich barfuß die ausgetretenen Steinstufen hinauf zur Holztür steige, mit einer Bewegung schwungvoll die Tür aufstoße, den Geruch im Inneren des Hauses wahrnehme, den Geruch nach kühlem Steingutboden, nach frischen Baumwolltüchern, reifen Äpfeln und eingekochter Johannisbeermarmelade..
(Letzte Nacht bin ich aufgewacht und das Herz klopfte mir zum Hals. Im Traum war ich meiner Großmutter wiederbegegnet, ich habe mit ihr gesprochen, habe mit ihr die Küche betreten, in der sie die Johannisbeeren putzte und einkochte. Ich bin aufgewacht und fragte mich, ob wohl das Haus noch existierte, in dem sie gelebt hatte und in dem ich auf der Fensterbank las, malte, spielte, tagein, tagaus, jeden Tag meiner Sommerferien. Ich fragte mich, ob ich mir das Haus noch einmal anschauen dürfte, so von innen - oder ob ich mir viel lieber die Erinnerungen von früher bewahren sollte?)

Der Mann teilt meine Wünsche, er teilt meine Träume - und von diesem Moment an hat er beschlossen, einen Plan zu haben und diesen auch umzusetzen. Und er hat gewünscht, dass ich diesen Plan des Weges teile, mit ihm gehe und genauso wie er daran arbeite. Und er hat recht damit.
Nur.. Ich bin so nicht.. So ähnlich wir uns sein mögen, so verschieden sind wir zugleich.. Er weiß, dass es ohne einen Plan, ohne eine konsequente Strategie nicht geht.
Ich weiß das alles.. Und dennoch.. kann ich nicht so vorgehen wie er. Über die vier Jahre, die wir unser Leben miteinander teilen, ist mir klar geworden, dass ich niemals so sein und niemals so vorgehen kann wie er und auch nicht so, wie er es wünscht. Auch nicht so, wie ich es sein müsste, wenn ich eines Tages meinen Traum leben möchte.
Vielleicht muss das so sein - er der Realist, der Stratege auf der einen Seite - und auf der anderen Seite ich, die mit dem Kopf voller Träume, Sehnsucht und einer nicht rational zu begründenden Zuversicht auf die Dinge, die da kommen werden...
"Davon lässt sich dein Traum vom Später nicht bezahlen", merkt der Mann an.
"Das ist mir bewusst.. Dann wird die Erfüllung nicht so, sondern anders aussehen.. Wünsche haben Farben, Gesichter, sie sind nicht starr und auch nicht vorgezeichnet, sie leben, so wie ich.."
Dann schüttelt er den Kopf, resigniert zuweilen, zuweilen auch enttäuscht und wütend in dem Glauben, dass er all das begraben müsse, wovon wir einst sprachen. Dass sich nichts von dem erfüllen würde, von dem wir träumten.
Hingegen ich.. verstehe diese.. Aufregung nicht..

Je hektischer die Welt wird, desto schwerer vermag ich sie zu tragen - weil sie mir die Farbe meiner Träume und damit die Farbe meiner Seele nehmen. Diese laute schnelle Welt stiehlt mir das Leuchten, sie färbt die Träume grau und lustlos - und ich will das nicht. Ich will das einfach nicht.  Ich will mich nicht drängen lassen in etwas, das ich nicht bin. Dieser Tage bin ich nach L gefahren, verbringe den ganzen Tag lang im Büro, der Kopf voller to-dos und den Worten wie "Wir müssen noch!" und "Wir sollten noch!" und "Hast du dies und jenes schon fertig?", zwischendrin der Blick auf die Uhr und die leise Hoffnung, nicht all zu spät aus diesem Büro herauszukommen, weil da irgendwie... auch noch ich bin.
Da fällt es mir wieder ein, dieses Leben, wie es bis vor vier Jahren war. Dieses Leben aus dem Eight-to-Six-Job und den Anrufen weit nach Dienstschluss, die einen nie wirklich zur Ruhe kommen lassen.
Diese Frustration der anderen Seite, wenn ich beschließe, nach zwanzig oder einundzwanzig Uhr die Anrufe zu ignorieren, weil ich ich sein möchte - und auch Zeit für mein Ich haben möchte.
Diese Vorwürfe, weil ich mir die Zeit für mein Ich nehme, während die andere Seite noch bis abends oder nachts Manuskripte liest, Rechnungen schreibt oder das todkranke Kind betreut. Es ist wahnsinnig schwierig, dieses Leben auf der anderen Seite - und es ist ein sehr anstrengendes und inzwischen auch sehr aufreibendes Leben zwischen Angespanntheit, Stress, Sorge - und Angst.
Der Mensch auf dieser anderen Seite, der Ruhe und Stille nicht erträgt, nicht aushalten kann - schon immer nicht, egal in welcher Phase seines Lebens. Jedoch das ist eine Entscheidung, die er für sich traf - und die er zugleich versucht, auch für uns alle zu treffen.
Dagegen wehre ich mich - mehr denn je.
Ich wehre mich dagegen, völlig vereinnahmt zu werden.
Ich wehre mich dagegen, nicht mehr ich sein zu dürfen.
Beruflich wie privat.
Manchmal muss ich schmunzeln: Sobald der Mann spürt, dass ich mich in der Musik vergraben möchte, beginnt er zu reden, zu erzählen. Von diesem und jenem - Hauptsache, ich lasse die Kopfhörer liegen und schirme mich nicht von ihm ab, überlasse ihn nicht sich selbst.
Aber viel zu oft möchte ich genau das tun dürfen. Es ist die Musik, die meine Gedanken und meine Gefühlswelt belebt und zum Leuchten bringt - und es ist genau das, was mich inspiriert zum Malen und zum Schreiben.
"Warum malst du eigentlich nicht mehr? Ich habe dir doch extra die Staffelei geschenkt."
"Weil ich im Moment nicht das richtige Zeichenpapier habe."
"Dann kauf es dir doch."
"Nein, muss ich nicht. Ich habe noch welches in L liegen, das bringe ich mir mit."
Das Zeichenpapier, das ich vor Jahren geschenkt bekam und das den Anlass bot, überhaupt erst wieder einen Pinsel, einen Bleistift in die Hand zu nehmen und eine reiche Palette an Farben auszupacken.
Jedoch dieses Papier.. ist nur eine winzig kleine Begründung.
Die Wahrheit ist.. dass mir der Raum für mich selbst fehlt. Dieser Moment mit mir selbst. Mit der Musik im Einklang, mit all dem, das sie aus mir hervorbringt - und sich auf das Papier überträgt.
Entweder arbeite ich zuviel und zu lange - oder ich beuge mich dem Wunsch des Mannes, ihn nicht auszugrenzen, den Abend mit ihm zu teilen.
"Du kannst das doch alles machen, wenn ich beim Sport bin oder da oder dort."
Wie soll er auch verstehen, dass Inspiration nicht darauf wartet, in ein winzig kleines Zeitfenster im Alltag schlüpfen zu dürfen?
Manchmal erwache ich nachts, weil mir Gedanken, Worte, Wortreihen, ganze Kapitel durch den Kopf gehen, die ich aufschreiben möchte. Früher bin ich nachts aufgestanden und habe sie aufgeschrieben.
Heute tue ich es nicht, um den Mann nicht zu wecken, der immer spürt, wann ich neben ihm liege und wann nicht. Der immer spürt, wann ich mit meinen Gedanken hier bin, nah bei ihm - oder ganz woanders..

Ich muss malen.
Ich muss schreiben.
Ich muss die Musik haben.
Einfach, um die Schwere dieser Welt aushalten zu können.

Vermutlich bin ich für eine gewisse Art von Lebenspraxis.. einfach gar nicht gemacht.

6 Kommentare:

Herr MiM hat gesagt…

Off topic...

Vielleicht hat es Ihnen schon jemand gesagt. Aber Ihre Blogger-Seite ist kompromitiert. Teilweise wird man sofort auf Werbeseiten umgeleitet oder beim Schließen der Seite tauchen Pop up hoch.

Und da es nur bei Ihrer Seite vorkommt und bei keiner anderen, vermute ich das Problem irgendwo bei Ihnen in der Seite.

Ich selbst hatte soetwas vor Jahren einmal. Das lag an eingebundenen Java Scripts.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Guten Morgen Herr MiM und hey, vielen Dank für diese Info!! Das hat mir bis jetzt noch keiner erzählt und ich selbst habs auch noch nicht festgestellt. Seit der DSDGVO bekomm ich ja keine Kommentarbenachrichtigung per E-Mail mehr, schau also selber ab und an nach, ob jemand kommentierte.
Aufgrund eingebundener Java-Scripte? Jetzt bin ich bisschen unsicher: Hat das mit Gadgets zu tun, die ich selber eingebunden habe? Ich könnte zwar das eine oder andere abschalten - aber ich seh ja nicht mal, ob das was bringt :(
Hätten Sie evtl. noch einen weiteren Tipp für mich? :)

Herr MiM hat gesagt…

Ich habe 3 Anläufe gebraucht um auf Ihre Blogseite zu kommen -.-

Die Kommentarbenachrichtigungen bekomme ich auch nicht mehr. Das ist wohl ein Problem im Hintergrund. Ich denke, das wird sich früher oder später wieder regeln.

Die Kunst besteht darin, herauszufinden, welches Widget das Problem verursacht. Ich habe damals das Desgin reduziert. Alles was fremd war entfernt und step by step wieder aufgebaut. Bei mir führte es dazu, dass die Browser Mozilla und Chrome meine Seiten als unsicher einstuften und die Leute meine Seite nicht mehr aufrufen konnte. Ich bekam damals einen Hinweis von einem Blogkollegen über Facebook.

Ging einmal soweit, dass mittels einem Instgram Widget mein Account übernommen wurde. Ich konnte das Schlimmste damals zwei Stufen Authentifikation verhinern. Das war nicht witzig.

Kurz: Da steckt ein echtes Risiko dahinter.

Sehen ob es etwas bringt, erleben sie, wenn sie alle Sicherheitenmechanismen im Browser deaktivieren und Chrome, Mozilla und Edge durchprobieren.

Was bei Ihnen krass ist, dass man sofort irgendwo auf einer Werbeseite landet. Das ist echt schräg.

Herr MiM hat gesagt…

Das Problem taucht auf, weil wir hier in der Firma noch einen alten Browser haben. Die neuen Browser eleminieren das Problem an der Oberfläche, aber es steckt latent noch irgendwo im Blog in irgendeinem Script drin.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich glaub, ich muss mich dem Ganzen mal in Ruhe annehmen. Habe vorher mal auf dem Rechner der Kollegin den Blog aufgerufen, als wäre ich Leser. Sie nutzt den Mozilla, ich den Chrome - und bei beiden ist der Blog korrekt dargestellt. Bei mir privat über iPhone oder iPad auch - deshalb wirds wohl doch eher schwieriger für mich, die Fehlerquelle auszumachen.
Trotzdem noch mal danke für die Info, ich guck mir das heute Abend genauer an.

castagiro hat gesagt…

"Inspiration hält sich an kein Zeitfenster".

Ja, verstehe ich, auch wenn ich da rückwirkend seit ewiger Zeit schon wie der Blinde von der Farbe rede - ich kann mich aber (recht dunkel) an eine Zeit erinnern als auch ich auf 'die sagenumwobene Inspiration' gewartet habe. Die dann alles wieder gut macht, einen Sinn stiftet, sowas wie eine Ordnung rein bringt.

Ganz ehrlich, ich bewundere Menschen die jahrelang auf sie warten können und kloppen sie dann irgendwann über Nacht eine Pietà aus einem Marmorblock.

Ich fürchte viele die darauf warten werden einen extrem langen Atem brauchen.
Bei mir kam sie nie.
Vielleicht weil ich zu faul war nach ihr zu suchen.
Vielleicht weil ich zu dumm war sie zu erkennen.
Vielleicht weil ich zu abgelenkt war und auch zu dankbar für alles was mich abgelenkt hat.
Vielleicht weil ich mir irgendwann (natürlich extrem widerwillig) eingestanden habe daß bestimmte Dinge nicht zusammen funktionieren können.

Ob allerdings das Erkennen und folglich Abstellen des Wartens darauf, und dabei das Beerdigen eines Traums letztlich der bessere Weg war, oder ob das Leiden und Warten auf den Regenbogen der da irgendwo sein soll und muss, das Du beschreibst der bessere Weg ist ... frag mich im übernächsten Leben, vielleicht hab ich ja dann eine definitive Antwort für mich.

Noch immer erwische ich mich ab und zu abzuwägen zwischen 'nee, war gut so, paßt scho' und 'ach verdammt ich hätte es vielleicht nur ein Jahr länger versuchen sollen' ... nur die Abstände werden mit der Zeit immer größer. Das ist der einzige Vorteil wenn Du Dich für eins entschieden hast, denke ich.

Du wirst Deine eigene Antwort finden müssen fürchte ich. Denn das Bild das Du von Dir zeichnest muss ja zwangsläufig viel zu schief sein um mir da ein Urteil anmassen zu können. Da beneide ich Dich nicht drum, ist wie eine Wurzelbehandlung :)