Mittwoch, 27. März 2019

Im Zweifel für den Angeklagten

Dass ich gerne Krimis schaue, ist ja nun allgemein bekannt. Dass ich auch nächtens gerne Sendungen schaue wie zum Beispiel "Medical Detectives", ist wohl auch allgemein bekannt.
Irgendwann entdeckte ich, dass auch auf öffentlich-rechtlichen Kanälen Dokumentationen über tatsächlich stattgefundene Verbrechen flimmern - inklusive deren Auflösung.

Dieser Tage begegnete mir ein Bericht über ein Ehepaar in Frankreich. Verheiratet, zwei Kinder. Sie erleidet eines Tages einen Unfall mit einem Pferd. Genauer gesagt: Das Pferd schlägt aus und tritt ihr mit der Hufe in das Gesicht. Man mag sich kaum vorstellen, was das für einen Menschen bedeutet. Diverse Operationen, der Schock - und vor allem: Schmerzen.
Die Frau beklagt öfter, dass sie sich von ihrem Ehemann, einem Arzt und ausgezeichneten Sportschützen, im Stich gelassen fühle. Er unterstütze sie nicht (oder zumindest nicht so, wie sie es sich wohl gewünscht hätte). Freunde und Familie beschreiben sie als warmherzig, sanft und romantisch - und ihren Ehemann als dogmatisch. Er kann alles, er weiß alles.
Eine Zeit nach dem Unfall sucht sie einen Psychiater auf, insgesamt geht sie wohl 5 oder 6 x zu ihm. Sie reden nur, Medikamente bekommt sie keine, weil der Psychiater einschätzt, dass sie zwar einiges durchgemacht hat, jedoch nicht an einer behandlungsbedürftigen Depression leide. Bei ihrem letzten Besuch erwähnt sie, dass ihre Ehe nach 17 Jahren am Ende sei - und dass sie einen anderen Mann kennengelernt habe. Sie hat sich wohl bereits auch öffentlich mit ihm gezeigt und sei dabei beobachtet worden, dass sie den anderen Mann in der Öffentlichkeit geküsst hat.
Am Tag ihres Todes führen sie und jener Mann ein Telefonat.
Ob ihr Ehemann davon erfuhr, bleibt offen. Bzw. ungeklärt.
Fakt ist: Es hat am Abend nach dem Essen einen Streit zwischen dem Ehepaar gegeben. Er habe daraufhin das Zimmer verlassen, weil er keinen Streit wollte. Sie hat den jüngeren Sohn zu Bett gebracht und den älteren vom Sport abholen wollen.
Fakt ist auch: Sie hat tot im Keller des Hauses gelegen.
Der Ehemann, ein sehr bekannter Arzt, der auch entsprechend guten Kontakt zur Polizei hatte, ist nicht vernommen worden. Seine Kleidung ist nicht untersucht worden.
Erst später hat man die Hände auf Schmauchspuren untersucht: Bei ihr fand man keine, bei ihm wurden Restbestände festgestellt.
Es gab keine Fingerabdrücke auf der Waffe, nicht einmal ihre. Dafür eine sehr geölte Waffe, das sei vom Reinigen nach der vorletzten Nutzung, hat der Ehemann ausgesagt. Dieses viele Öl habe bewirkt, dass keine Fingerabdrücke nachweisbar seien.
Und es gab ihre Ansage an ihre Freunde, ihre Familie: "Wenn mir etwas passiert, dann glaubt ihm kein Wort."

An dieser Stelle der Dokumentation lehnte ich mich zurück und ich muss gestehen: Alte Bilder stiegen wieder auf. Genau diesen einen Satz der Frau, den auch ich vor Jahren zu Freunden und Familie gesagt hatte: "Wenn mir etwas passiert, glaubt ihm nicht. Er hat es lange angekündigt und lange Zeit gehabt zu planen."
Die Frage in der Klinik, die mir zwei Jahre nach dem Unfall gestellt wurde. Dem Unfall, für den es bis heute keine Erklärung gibt, weil es nie untersucht worden war. Was es prinzipiell nicht wird, solange niemand zu Tode kommt. Die Frage, ob ich mir vorstellen könne, man habe mein Auto manipuliert, woraufhin die Lenkung versagte.
Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht. Vielleicht wollte ich das auch nicht.
Würde ein Mann wirklich in Kauf nehmen, dass neben der Ex-Frau möglicherweise auch die Kinder mit verunglücken könnten, die ich vier Tage später aus dem Urlaub hatte abholen wollen? Oder wäre er sich sicher, alles so gemacht zu haben, dass es auch wirklich vorher passiert?
Ich habe mir vorher und auch danach diese Frage nicht gestellt. Weil das Auto längst in der Schrottpresse verschwunden war. Es gab keine Chance, das nachzuvollziehen - und ich würde mich nur unnötig damit quälen. Das tat ich nicht, das tue ich nicht.
Die Scheidung war zu jenem Zeitpunkt bereits durch und es war auch klar, dass ich nach wie vor keinerlei Ansprüche an den Mann stellte. Dass ich ab Renteneintritt von meinen Rentenpunkten an ihn abgeben muss. Dass ich im Gegenzug zum damaligen Zeitpunkt immer noch Geld an ihn bezahlte - und mich auch sonst still verhielt. Nicht nur aus Furcht. Auch, weil ich vor allem Ruhe wollte - für die Söhne und auch für mich. Er hätte also gar keinen Grund gehabt, mir jetzt noch etwas anzutun.
Oder doch?
Weil er immer geschworen hatte: "Wenn ich dich nicht haben kann, kriegt dich auch kein anderer."? Und weil er mir auch ebenfalls immer schwor: "Du wirst nie wieder glücklich werden, dafür sorge ich, und wenn es das letzte ist, das ich tu"?

Die Frau aus der Dokumentation... Sie hatte Antidepressiva in geringer Dosis in ihrem Blut und einen Alkoholspiegel, der auf zwei Gläser Wein schließen ließ. Natürlich liegt es nah, dass sie ihrem Leben ein Ende setzte.
Demgegenüber jedoch.. steht die Aussage, dass sie nicht nur nicht an einer behandlungsbedürftigen Depression litt, erst recht also kein Suizid zu befürchten sei, demgegenüber steht vor allem, dass sie sich neu verliebt hatte.
So wie ich mich damals...
Eine Frau an diesem Punkt ihres Lebens.. Warum sollte sie sich ihr Leben nehmen? Wenn es doch Hoffnung gab? Wenn es doch.. eine Chance gab?
Ihr Ehemann wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt und nach 5 Jahren freigesprochen. In 3. Instanz hatte man ihm zugestanden, dass seine Frau sich selbst das Leben genommen hatte.
Nur.. Warum sollte sie?

Ich muss gestehen... Mich berührt diese Geschichte nicht nur. Sie beschäftigt mich. Diese doch argen Parallelen.. beschäftigen mich. Mein Gefühl sagt mir, sie hat es nicht selbst getan.

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