Dienstag, 12. August 2014

One to One

Gestern Abend habe ich geweint. Ziemlich bitterlich, wie ich selber irgendwann feststellte, noch bevor ich nachts in den Badezimmerspiegel sah, beim Händewaschen und dem Kühlen des Gesichts mit kaltem Wasser.
Ich mach mir nicht wirklich Gedanken darüber, was andere Menschen von mir denken, halten oder wie arrogant sie mich empfinden. Im Grunde mache ich mir erst Gedanken darüber, wenn mir ihre Auffassung entgegenschlägt, die sich zuweilen anfühlt wie ein Tritt in den Magen. Oder wenigstens wie eine Ohrfeige (mit denen kenn ich mich übrigens aus, mit den echten Ohrfeigen; als Kind hab ich mir öfter eine "abholen" dürfen, und dann zuletzt vom Ehemann. Das ist viele Jahre her - vergessen hab ichs nicht. Auch nicht, wie sich das anfühlt.)
Ich befasse mich auch nicht damit, ob meine Kinder mir überall und in jeder Lebenslage den "gebührenden" Respekt entgegenbringen: Mir genügt das Wissen, dass sie mich lieben, zu mir stehen und auch ihren Teil zur Familie beitragen (ja ok, manchmal wünschte ich, der käme nicht immer nur auf Anforderung, und manchmal wünschte ich, da käme zuweilen einfach bisschen... mehr.)

Dass die geliebten Zockerstationen seit ein paar Tagen in der Abstellkammer ihr trostloses Dasein fristen, hatte ich sicherlich schon erzählt. Während Junior I einen ganzen Tag lang nicht mehr mit mir sprach und stattdessen lediglich mal eine Tür kraftvoll ins Schloss fiel, signalisierte mir zumindest Junior II sowas wie Verständnis. Er hats nicht ausgesprochen, aber seinem Verhalten nach denke ich: Er versteht den "Denkzettel". Natürlich finde ich es - insbesondere angesichts ihres Alters - eher lächerlich, auf solche.. nun.. erzieherische Maßnahmen zurückgreifen zu müssen: Was soll das jetzt noch, alle Eulen sind verflogen, die Messen sind gesungen - und außerdem bin ich in nunmehr eineinhalb Wochen weg.

Noch eineinhalb Wochen.

Doch genau das ist - für mich - der Punkt: Ich will einfach nicht mehr eineinhalb Wochen lang jeden Abend nach Hause kommen, die Jugend vor der Zockerstation sitzen sehen, Süßkramreste rumliegend, geleerte Flaschen rumliegend, Klamotten rumliegend (über all das andere mag ich gar nicht reden) - und in der Küche ein ähnliches Bild.
Ich will mich einfach nicht mehr jeden Abend ärgern und grämen, dass die Jugend tatsächlich nur das erbringt, was ich ihnen aufgetragen habe - und letztlich manchmal nicht mal das. Weder habe ich den Willen, die Energie dazu, mich um alles kümmern zu müssen (Bewerbungsschreiben, Memo-Zettel mit to-dos etc.), wenn dann so wenig oder.. ja.. manchmal gar nichts zurückkommt. Mir ist bewusst, dass alle Eltern von ihren Sprösslingen dieselben Dinge berichten. Ob Junge oder Mädchen, die nehmen sich alle nix.
Mir ist das bewusst, ja. Jedoch immer mit allem allein dazustehen, allein durchzukämpfen, nicht alles "erzählen" zu können, damit woanders kein Frust oder falsches Bild entsteht - und dann auch das eigene Tagwerk zu bewältigen - das ist mir irgendwann zuviel geworden. Viel zu oft habe ich das Gefühl, dass jeder mit seinen Vorstellungen und Wünschen an mir zerrt - aber mich keiner fragt, wie es mir eigentlich geht. Und wenn ich es dann doch mal erwähne, habe ich entweder keine Freunde mehr oder wohlgemeinte Ratschläge, in denen ich mich nicht wiederfinde.

Vergangenen Samstag haben wir Farbe eingekauft - die Jugend und ich. Das Zimmer von Junior II soll umgestaltet werden, nicht zuletzt auch, weil das nach zwei Jahren ohnehin notwendig geworden ist.
Gestern - das war meine "Forderung" - sollten sie alles entsprechende abkleben.
Das haben sie sogar gemacht. Und wirklich lächeln musste ich, als mich Junior II gegen 17 Uhr anrief: "Wir sind jetzt fertig, ist es ok, wenn ich erst mal zum Sport gehe?" Der fragt sonst nie. Egal. Für mich wars ok, denn ich wusste: Nach einer Woche Chef-Urlaub und auch dieser Woche mit seiner überwiegend glänzenden Abwesenheit wusste ich: Das wird ein langer Montag. Gut, dass er soooo lange wird - bis 19 Uhr - war mir dann auch nicht klar, aber gut. 19.30 Uhr war ich dann endlich zu Hause, in die Malerklamotten gesprungen und mit Junior I begonnen, die Wände zu streichen. Jahrelang habe ich all diese Dinge komplett allein gemacht - und jetzt war ich begeistert zu sehen, wie schnell alles gehen kann, wenn man sich die Arbeit eben teilt.
Junior I jedoch blieb muffelig... Immer noch. Und wenn ich seine Streichfähigkeit lobte (der konnte das echt besser noch als ich :)) oder mal ein Witzchen riss - er blieb muffelig. Weil er - wie sich dann herausstellte - gehofft hatte, mit dieser erledigten Arbeit käme auch die Zockerstation zurück.
Ich war sehr ruhig, entspannt, als ich antwortete, dass mir selber noch nicht wirklich klar sei, wie ich mich "richtig" verhalte, dass es mir nicht darum ging, die Jungs zu "bestrafen" - denn aus dem Alter seien sie raus - aber dass es mir darum ging, einen Gedankenanstoß zu bewirken. Auch auf die letzten Meter. Dass es für mich nicht mehr geht, jeden Abend heimzukommen, mich zu ärgern und mich frustriert mit einem Glas Wein auf die Terrasse zu legen, während die Jugend selbst ihrem unbesorgten Dasein frönt und sich einfach nur auf mich verlässt. "Geben und Nehmen" - war immer mein Credo, und ich glaubte eigentlich, sie auch danach erzogen zu haben. Ist ja auch nicht so, dass sie immer nur nehmen. Trotzdem empfinde ich vor allem in den letzten Wochen ein Ungleichgewicht - und das zerfrisst mich. Mehr und mehr. Das will ich nicht mehr.
Und Junior? "Ich sehe nicht ein, was du hier machst. Du fängst genauso an wie der Vater. Aber ich hab mir auch schon was überlegt." Da war ich doch wirklich verblüfft. "Ist das jetzt eine Drohung?"
"Nein! Aber ich finde das nicht in Ordnung von dir."
Natürlich nicht. Geht ja auch gegen ihren Strich.
Ziemlich langsam und ruhig, mit dem Farbpinsel in der Hand, ordentlich angeschmiert im doppelten Sinne, antworte ich: "Ich glaube, du hast nichts von dem verstanden, das ich dir sagte. Gar nichts."
"Ach ich will gar nichts mehr hören."
"Sag mal, glaubst du, ich mache das hier alles für mich? Wer wäscht deine Wäsche, kocht, bügelt, kümmert sich um deine Bewerbungen, fährt dich zur Arbeit, weil du verschlafen hattest, ist immer da, wenn du ihn brauchst?"
"Muss ich jetzt dankbar sein, weil du meine Klamotten wäscht? Als Familie?"
"Findest du das alles denn so selbstverständlich? Bloß weil ich die Mutter bin? Bin ich so selbstverständlich?"
"Nein. Trotzdem."
"Meinst du nicht, ich könnte mir Schöneres für meinen Feierabend vorstellen, als hier zu stehen und deine Wände zu malern? Abends um 21 Uhr? Ihr habt beide den ganzen Tag frei, ihr habt nichts, aber auch gar nichts zu tun, während ich früh aufstehe und einen ganzen Arbeitstag hinter mich bringe und dann hier noch weitermachen darf?"
"Musst du mir das jedesmal vorrechnen? Ich geh auch nebenbei noch arbeiten! Wenn ich sehe, dass es dir nicht gut geht, mach ich selber was zu essen! Du bist genauso wie der Vater: Läuft alles nach euren Wünschen, ist alles gut. Läuft das mal nicht so, machen wir überhaupt nie was!"
Da sind mir die Tränen regelrecht in die Augen gesprungen. Doch, sowas geht. Ich war so fassungslos und gleichzeitig irgendwie angewidert von dem Gedanken, mit diesem anderen Menschen verglichen zu werden, der nicht mal weiß, wie man Anstand und Respekt buchstabiert.
"Ich habe nirgendwo gesagt, dass ihr nie was macht. Und mal ganz ehrlich: Wie oft hast du Essen zubereitet? Sei mir nicht böse, aber DAS kann ich an einer Hand abzählen. In all den Jahren reicht dafür trotzdem eine Hand." Und als er nichts sagte, nur den Kopf schüttelte frei nach dem Motto "Hat alles eh keinen Sinn", da fügte ich noch hinzu: "Letztlich gehts mir nur darum, dass ihr keine oder die falschen Prioritäten setzt. Lieber zockst du drei Tage am Stück, als dich um Bewerbungen und Job zu kümmern oder einfach mal den Geschirrspüler auszuräumen. Etwas zu tun, ohne dass ich jedesmal sagen muss: Mensch Leute..."
Dann bin ich gegangen. Raus aus seinem Zimmer - die Malerei war ja fertig. Habe ihm den Schlüssel zur Kammer gegeben und gesagt: "Hier. Wenn es dir so wichtig ist, dann hol dir deine Konsole. Aber dann macht auch ab heute jeder seins. Mit mir dann nicht mehr."
Er hat nichts geantwortet, den Schlüssel auch nicht genommen. Bis heute morgen nicht, übrigens.

Und ich? Ich habe nachts um 22.30 Uhr noch Wäsche aufgehangen, mich daneben gesetzt und einfach nur geweint. Bitterlich geweint.
Heute Morgen in der Firma nahm ich meinen allerersten Kaffee und setzte mich vor die Tür auf die Stufen. Die Sonne schien, alles war ruhig und friedlich. Ich hielt die Tasse mit beiden Händen und schaute zu, wie ein paar hundert Meter weiter die Hochwasserschutzmauer errichtet wird (na endlich, nach zehn Jahren und nach Schäden in Millionenhöhe). In mir war alles ruhig und still - aber unendlich traurig. Nicht nur der Jugend wegen. So allgemein.
Ich hatte dann noch ein weiteres sogenanntes one-to-one mit dem Chef. Der Änderungsvertrag ist unterschrieben, Technik, die ich dann im Homeoffice benötige, größtenteils eingekauft. Eine Liste erstellt mit Aufgaben, die mir da zufallen.
"Ich schätze deine Arbeit sehr", sagte er, "als Mensch und auch als Arbeitskraft. Ich schätze an dir, dass du immer so fröhlich bist, gerne lachst und uns mitreißt. Auch wenn ich deine Arbeit der letzten Woche sehe, bist du für uns nicht wegzudenken. Aber... man merkt eben auch: Du bist nicht mehr die alte Helma."
Er machte eine Pause und auch ich sagte nichts.
"Man spürt förmlich deine Verkrampfung, deine Verspannung, und das ist sicherlich auch begründet in dem, was du alles bewältigst schon mit den Umzugsvorbereitungen und deinen Söhnen und so weiter. Wenn wir dir irgendwie helfen können, dann sag es uns. Lass es uns wissen. Ich denke mal, ich spreche da nicht nur für mich, sondern auch für andere Kollegen." Das ist Anerkennung. Wenn auch nicht hundertprozentig: Privat darf den Dienst nicht beeinflussen. Erst recht nicht die Qualität der Arbeit. Er bescheinigt mir eine sehr gute. Er bescheinigt mir zwischen den Zeilen aber auch, dass es schon mal noch besser war.

Und jetzt musste ich mir das einfach alles von der Seele schreiben, damit es endlich aus meinem Kopf und vor allem aus meinem Bauch kommt.
Doch nun muss ich  weiterarbeiten.

9 Kommentare:

Goldi hat gesagt…

Umärmel

lautleise hat gesagt…

Liebe Helma,
DU hast leider zu selten NEIN gesagt. Ich kenne das sehr gut und habe einen ähnlichen Zusammenbruch gehabt. Danach ging es mir viel besser und die Kinder haben es auch bemerkt: Ja, Papa, wir werden uns ändern.
Mit Achtzehn sind beide jeweils ausgezogen, es tat sehr weh, aber es war genau richtig. Die Große ist nun Ärztin und die Jüngere hat ihren Dipl. Ing.
Und beide haben einen ganz starken Rücken. Und wenn sie anrufen, dann heisst es immer:
Kann ich mal die Mama haben...

*Lach* Ganz liebe Grüße - Wolf

Anja Z. hat gesagt…

Man kann halt immer nicht alles die ganze Zeit aufnehmen. Ich denke jedem geht es so.
Passiert mir auch regelmäßig, dass ich irgendwann Luft rauslassen muss, und mal so richtig jammere und heule, gut ists auch.
Also lass es nur raus....

Nicola Hinz hat gesagt…

Ich weiß nun auch endlich ungefähr, was/wer die gelben Seiten sind. Glaube ich. Spannend, die Geschichte über deinen "Auszug"! Bei so Umbrüchen kommt es leicht zu ganz allgemeiner Traurigkeit, oder? Ich befinde mich ja seit nunmehr 5 Jahren im Umbruch ; ), bei dir wird es sicher nicht so lang dauern.
Liebe Grüße
Nicola

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Auch ich möchte dich nur umarmen, damit es dir Kraft und Bestätigung gibt.
Liebe Grüße von Clara

ladybright hat gesagt…

Überforderung baut sich lange, lange auf, wie ein wackeliger Legoturm und kracht dann irgendwann ein, nachdem er schon ganz schief steht. Und er besteht aus Forderungen, zum größten Teil, die die wir an uns selbst stellen. Resultierend aus Forderungen der anderen, beruftlich wie privat, die wir meinen erfüllen zu müssen und meinen, immer Hundertprozentig sein zu müssen.

Ich hoffe, du kannst das dann in der neuen Stadt wirklich abstreifen und loslassen. Und auch die Jungs müssen dann begreifen, daß ihre Forderungen nicht mehr an dich zu richten sind, sondern an sich selbst. Möglicherweise werden sie sehr hart auf dem Boden der Realität ankommen. Möglicherweise wollen sie aber auch die Fürsorglichkeit ihrer Mama auf die letzten Tage noch so gut als möglich auskosten und schießen dabei gut übers Ziel hinaus, weil sie einfach nix mehr machen und deine Fürsorge nicht wertzuschätzen, ja nicht einmal zu erkennen scheinen.

Hast du Urlaub dann in der neuen Stadt? Du brauchst dringend Freiräume und Unbeschwertheit.

*umarm*

Anonym hat gesagt…

Da hast du die richtigen Worte gewählt.
Ich sitze hier und mir kullern die Tränen die Wangen runter.
Jaaaa, genau so ist es.
Ich habe zwar nur einen Junior, aber irgendwie sind die, deine und meiner, mit einander verwandt. Wo kommen sonst die Gemeinsamkeiten her?

Ich kenne auch diesen Frust.
Dieses Gefühl: Was denn noch alles?

Wenn ich denn aber sehe, wie er sein Leben in den Griff bekommen hat, dann weiss ich das es sich eben doch gelohnt hat, dran zu bleiben und zu nerven und zum XXXX male dieses und jenes zu bemängeln.

Ich drück dich.
Alles wird gut, wirst sehen.
Nur nicht heute.

Liebe Grüße Suzie

Ach übrigens mein Junior ist mittlerweile 27 J. alt.

Anonym hat gesagt…

Hmm, also ich glaube, dein Chef wollte was anderes asagen, und nicht, dass deine Arbeit schon mal besser war. Für mich liest sich das nicht so, als wolle er dich kritisieremn. Sondern als habe er gemerkt, dass du am Limit fährst und er wollte dir Hilfe anbieten, wusste aber vielleicht selbst nicht so genau, wie er das anstellen soll. Meinst du nicht? Oder passt das nicht zu ihm?

Anonym hat gesagt…

ach Helmalein.....

Ich bin ja der Meinung, dass heulen hilft. Hinterher ist man zwar erschöpft und müde, aber es geht einem auch wesentlich besser.
Man bekommt so ein "euch zeig ich's"-Gefühl, "ihr werdet schon sehen was ihr davon habt!"
Stimmt doch, oder?

Ich kann dich so gut verstehen!

Umärmel.....