Freitag, 1. März 2019

...und heute bist du mein!

Als der Mann am Abend nach einer ausgiebigen Vinyl-Session gähnte und sprach: "Lass uns zu Bett gehen", da wusste ich irgendwie, dass ich mich neben ihn legen würde, mich mehrmals nach rechts und links drehen würde, mit offenen Augen in die Nacht starren würde - und nicht einschlafen könnte. Der Geist war viel zu wach, angeknipst durch eine seiner Bemerkungen während der zahllosen Titel "Weißt du eigentlich, dass wir uns jeden Tag über den Weg hätten laufen können? Damals, als wir beide noch in L wohnten? Wieso sind wir uns nicht über den Weg gelaufen?"
Ich hab nix geantwortet, nur gelächelt, da gibts ja auch keine Antwort drauf, aber es war dieser Moment, der das Karussell in meinem Kopf in Bewegung setzte.
Sie war auf einmal wieder da, die Erinnerung an den Moment, in dem mein Ex und ich den Kindern sagten, dass wir uns trennen würden. Der eine sieben, der andere dreizehn Jahre alt. Selbst heute noch krampft sich in mir alles zusammen, wenn ich daran denke, wie sich das für die Kinder angefühlt haben muss. Wenn alles auseinanderbricht, nichts mehr ist wie es war - und auch das Zuhause nicht mehr das Zuhause ist. Heute Abend, sechzehn Jahre später, fühle ich noch immer eine Schuld in mir, die aus der Frage rührt: "Hätte ich nicht noch bleiben können, solange die Kinder noch Kinder waren? Hätte ich nicht lieber warten können und wäre dann gegangen, wenn sie erwachsen geworden sind? War ich selbst denn nicht auch meinen Eltern so dankbar, dass sie uns drei Kindern diese Erfahrung ersparten? Was hätte ICH meinen Kindern damit erspart?"
Es ist diese große Narbe in mir, die einfach nicht heilen kann. Die einfach nicht heilen will.
Ich weiß, es ist müßig, über etwas nachzudenken, das nicht mehr zu ändern ist.
Ich weiß, dass man sich auf das Jetzt und Hier konzentrieren soll - und das lebe ich ja auch.
Ich denke aber auch an die Worte aus einer der Therapiesitzungen während der Schmerzbewältigung: "Dass Sie es heute verstehen, ändert aber nichts daran, was es mit Ihnen gemacht hat."
Das Heute, Jetzt und Hier zeigt mir eben noch immer, selbst nach all den Jahren, warum diese Narbe entstanden ist... und das schmerzt.
Ist es nicht so mit all unseren Erfahrungen, Prägungen, die wir erlebten, von Kindheit an, seitdem wir ein Bewusstsein entwickelt haben? Manchmal bin ich selber erschrocken, wie unfassbar weit meine eigenen Erinnerungen an mich zurückgehen. Von denen ich mich frage "Stimmt das so überhaupt oder bilde ich mir das nur ein?" Und dann erzähle ich es meiner Mama und sehe ihr Nicken: "Ja. So war das. Wieso weißt du das noch? Du warst doch höchstens ein Jahr alt. Oder maximal zwei."

Denke ich an meine wilden Zeiten des Onlinedatings zurück, denke ich an einen Begriff, der mir mehr als oft begegnet ist "Ich wünsche mir einen neuen Partner ohne Altlasten."
Ich konnte nie wirklich etwas damit anfangen. Mit dem Begriff nicht, den ich nie mochte, und auch mit dem Gedanken dahinter nicht. Mir erschloss sich nicht, wie man beispielsweise die Kinder eines anderen als Altlasten empfinden konnte. (Mir erschloss sich auch gar nicht erst, wie man einen Menschen Mitte 30 daten konnte und davon ausging, dass derjenige hoffentlich möglichst noch keine Kinder hatte. Grad bei uns im Osten zu der Zeit ein.. Unding ;)). Ein Kind ist doch kein Ding, keine Sache, keine Altlast. Irgendwann begriff ich, dass mit der Altlast weniger das Kind selbst als die damit einhergehende Verpflichtung gemeint war. Die Verpflichtung zur Zuwendung, emotional, finanziell, zeitlich. Dass das Leben mit einem Kind eine völlig andere Taktung vorgibt als das Leben ohne Kind. Eine Taktung, die dem Bedürfnis des Kindes entspricht - und nicht den eigenen, mehr oder weniger. Die insbesondere dann erschwert wird, wenn man mit dem Partner einen Ex-Partner "dazugewonnen" hat, der dem Kind und dem Partner und damit einem selbst das Leben nicht leicht und nicht schön macht. Meiner Erfahrung nach verstehen die wenigsten Eltern, dass Eltern auch nach einer Trennung Eltern bleiben. Meiner Erfahrung nach werden im Zuge der Trennung die Kinder zu Instrumenten - und das finde ich persönlich wirklich richtig abscheulich und furchtbar. Meiner persönlichen Erfahrung nach sind es insbesondere die Kinder, an die man denken und für die man sorgen muss.

Jeder Mensch erlebt sein eigenes Leben auf seine ureigenste Weise. Er macht Erfahrungen, erlebt Prägungen, die man - so denke ich zumindest - niemals wirklich ablegen kann. Wir entwickeln uns, wir lernen, wir begreifen und verstehen, wenden vielleicht irgendwann mehr oder minder erfolgreich Gelerntes an - aber tief in uns.. bleiben sie, die Muster, die Prägungen. Manchmal genügt ein Wort, eine Geste, der Blick auf eine Situation - und Pandoras Box öffnet sich. Wer gut trainiert ist, weiß, wie er diese Box wieder verschließen und verriegeln kann, aber bis dahin zeigt er sich ungeschminkt und unmaskiert in der ganzen Bandbreite des Erlebten.
Wenn man mich fragt... Auch DAS ist für mich eine "Altlast", wenn man denn von Altlasten sprechen will. Es sind nicht nur die äußeren Lebensumstände, es sind auch die, die wir schon lange Zeit zuvor mitgenommen haben. Und irgendwann muss man sich entscheiden, wen man will und was man will...

Wenn man keine 20, keine 30 mehr ist - erwartet man dann also einen Menschen ohne Altlast? Also einen Menschen ohne Prägung? Ohne Erfahrungen, die Einfluss genommen haben? Ohne Bindungen, die aufgebaut wurden, als man sich noch gar nicht kannte? Erwartet man ein völlig losgelöstes, unbeschwertes Leben und Lieben, obwohl man selber in seinem Inneren ja auch noch nicht "fertig" ist?
Ich denke an jene Nacht vor etwa 15 Jahren zurück. In jener Nacht lag ich nicht allein in meinem Bett, als das Kind im Nebenzimmer zu weinen begann. Aufgeschreckt aus einem Alptraum. Aufgeschreckt aus dem Schlaf, reagierte ich völlig automatisch: Ich habe das Kind in den Arm genommen, das seine Arme um meinen Hals legte und bat, bei mir bleiben zu dürfen. Also habe ich es in mein Bett getragen, selbst noch halb im Schlaf, völlig automatisch, ohne nachzudenken - und ohne daran zu denken, dass hier noch ein Mann lag, mit dem die Beziehung noch ganz jung war.
Er hat am nächsten Tag seine Sachen eingepackt und ist wieder nach Hause gefahren. Das war so geplant. Nicht geplant war, dass er gar nicht mehr wiederkam und mir nur ein paar Zeilen schrieb, dass er "das nicht könne, es sei ihm zuviel gewesen". Seine Gedanken konnte ich verstehen, seine Entscheidung nicht so wirklich. Mich gab es nur so, nur so mit Kind, nur so als Mama - auch wenn ich nachvollziehen konnte, dass er sich in jener Situation unwohl gefühlt hatte. Wie gesagt, ich hatte völlig automatisch reagiert, nichts gedacht, nur gehandelt.

"Wieso hat deine Scheidung eigentlich drei Jahre gedauert?"
"Weil mein Ex hoffte, ich würde es mir überlegen und wieder zu ihm zurückkommen."
Er umschließt fester meine Hand.
"Nichts da. Du bist jetzt meine, und das bleibt auch so."
Ich lächle, ein bisschen wehmütig.
Wie unendlich viel hätten wir uns allen erspart, wenn man nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf den anderen geschaut und geachtet hätte. Es ist sehr einfach zu bleiben, wenn alles schick ist. Die Kunst ist, auch dann zu bleiben, wenn es nicht so ist. Solange man es selber will.

6 Kommentare:

Clara Himmelhoch hat gesagt…

An dem, der vor 15 Jahren abgereist ist, hast du absolut nichts verloren oder versäumt. - Bei mir sind ja all diese Erfahrungen beim Suchen länger her als bei dir - aber so richtig erfreulich waren sie auch nicht.
Liebe Grüße zu dir

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, ich hätte schon bloggen sollen, als ich noch richtig im Onlinedating drin war - das war schon auch mal richtig Spaß und so hätte ich heut das eine oder andere mal nachlesen können :) Denn das meiste weiß ich leider nicht mehr. Missen möchte ich die Zeit aber auch nicht, auch wenn ich gestehen muss, dass ich schon auch öfter mal dachte "Was ist falsch an mir?"

Goldi hat gesagt…

Kannst du dir bitte mal deine schlecht geratenen Jungs, ach nein, streiche das schlecht, deine gut geratenen Jungs anschauen?

Wolltest du den beiden, die beide auf ihre Art sehr sensibel sind, wirklich heute im Rückblick 10-15 Jahre das Leben mit Eltern die sich nicht grün sind und nur zusammen bleiben wegen den Kindern antun? Eine unglückliche Mutter, ein unglücklicher Vater, unterschwellige oder gar offene Aggression? Das Vorbild "Schmierentheater" aber so gehört es sich, was man einmal heiratet wird so lange aufrecht gehalten bis das die Kinder aus dem Haus sind, und dann, na dann bleibt man halt zusammen bis der eine mit den Füßen als erstes rausgetragen wird. Hauptsache die Kinder sind in einer intakten Familie aufgewachsen.

Ich kenne dieses "das macht man wegen den Kindern..., wegen den Verwandte...weil es sich so gehört...." SCHEISS drauf, leiden werden immer die, die nicht gefragt wurden ob sie es ertragen können.

Die Trennung ist für Kinder nicht das Schlimme, das Schlimme beginnt mit dem Rosenkrieg, ob die Eltern in getrennten Wohnungen leben und glücklich sind, weil sie sich in Augenhöhe trennen oder eben Krieg führen und die Kinder unweigerlich mit reinziehen, das macht es aus.

Du hast damals nicht anders handeln können, ich erinnere mich an einer Erzählung von dir das du gehen musstest zu eurem Schutz, da gab es keine Möglichkeit mit Trennung auf Augenhöhe, du hast dich und die Jungs auf die Beine gestellt, sicher Fehler gemacht, wer macht die nicht, aber hör verdammt nochmal auf mit hätte, hätte Fahrradkette.

Deine Jungs haben genau wie alle anderen Ihre Macken, aber sie sind toll, sie haben eine großartige Mutter, die sie lieben und die für sie auch heute alles tun würde was sie kann, lass das hätte los, sei verdammt nochmal endlich stolz auf dich.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Goldi, hab lieben Dank für Deine Worte. Die Frage an mich selbst, ob ich es den Kindern wirklich hatte antun können, dürfen, stelle ich mir eher rhetorisch, weil sich die Frage genau genommen gar nicht stellt. Nur in Situationen, wenn ich sehe, wie sehr ihnen, insbesondere dem einen, das alles geschadet hat, dann frage ich mich: Was hätte ich anders machen können, sollen?
Ja ich weiß, Du hast mir schon mal gesagt, dass es müßig ist, über Vergangenes nachzugrübeln, das nicht mehr zu ändern ist. Und ich weiß das. Aber manchmal stehe ich in L vor Situationen, vor Momenten, in denen es mir richtig schwerfällt, nicht entweder vor Wut zu schreien oder auch zu heulen. Ich mache weder das eine noch das andere, ich wünsche am Ende nicht mal jemandem Schlechtes. Aber ich wünsche jemandem, dass beide die Quittung bekommen für all das, was vorgefallen ist. Für all das, was sie einreißen, das ich so mühsam versuchte aufzubauen. Ein Mensch besteht nicht im Leben, indem man ihn permanent runtermacht, runterzieht, verunsichert, beschimpft etc... Ein Mensch besteht im Leben, wenn man ihn stärkt, seine Schwächen erkennt und ermuntert, Stärken erkennt und fördert - und vor allem, wenn man ihm sagt, worin er gut ist. Ihm mögliche Wege aufzeigt und es der Entscheidung des anderen überlässt, welchen er sich davon wählt und geht.
Aber es gibt eben auch Menschen, die anders denken und anders handeln, die tatsächlich destruktiv denken und handeln (einer von ihnen gibt es sogar zu), und ja, manchmal, in schwierigen Momenten hadere ich. Nicht damit, gegangen zu sein. Aber damit, was für einen Vater ich den Jungs zugemutet habe. Jaaa ich weiß, ich kann das nicht ändern - und darauf verwende ich auch keine Energie. Und ich kann auch nicht ändern, dass mindestens einer der Jungs trotz allem ein fast tragisches Band zum Vater hat, das es ihm kaum möglich macht, sich zu lösen, sich freizumachen davon, ob da Anerkennung kommt oder nicht; sich freizumachen von der inneren Qual, eben keine Anerkennung zu bekommen.. Und dann frage ich mich: Hätte ich das alles besser ausgleichen können und müssen?
Aber wie gesagt, es sind eher rhetorische Fragen. Ich weiß, dass nur das Heute, Jetzt und Hier zählt, und DA rein stecke ich meine Energie.

Goldi hat gesagt…

Liebe Helma,
all das macht Dich aus und wer bin ich, das ich dir dein Hadern und Zweifeln verbieten will oder kann...sieh es als meinen Zwischenruf damit du nicht zu weit wegrutschst :-*. Vielleicht lernst du noch in den Momenten in denen du schreien oder auch heulen willst, es zu tun, wem nützt es, dass du dich zurücknimmst? Du bist doch nu wirklich keine hysterische Zicke :-*

Schlechte Wünsche lohnen sich nicht, kosten auch zuviel Energie, die man viel besser in Lachen und Tanzen steckt.Karma has no deadline, hab ich gestern noch gelesen und glaub mir eins ist sicher, Karma holt jeden ein. Ich seh es im Moment rundrum und muss dann zwischendurch seeeeeehr grinsen. Fühl Dich feste gedrückt, Du bist eine tolle Ma und jeder will zwischendurch mal toben und reist sich zurück, aber eigentlich ist es falsch...

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Goldi, ich weiß, dass Du mir niemals was verbieten wolltest - ich hab Dich schon richtig verstanden :* Und ne, ich bin bestimmt einiges, aber ganz sicher nicht hysterisch.
Tanzen - diese Idee gefällt mir. Sollte ich mal wieder. Da gabs doch auch mal bei Greys Anatomy so ne Szene, wo die eine die andere aufforderte: Los, tanze dir deinen Frust raus, wirst sehen, das funktioniert.
Und ja, das funktioniert.
Karma has no deadline.. DEN Satz werde ich mir merken, Goldi <3