Montag, 27. Dezember 2021

Rückzugsmomente

Ich sitze hier oben im Dachgeschoss des Hauses, während in der mittleren Etage geschwatzt, gekocht und herumgealbert wird. Hin und wieder lächle ich, wenn ich denen da unten so zuhöre. 
Draußen ist es schon längst dunkel geworden, der eisige Wind faucht um die Fenster herum und auf dem Tisch neben mir steht eine kleine Lampe mit wundervoll gedämpftem Licht. 
Ich liebe das so sehr!
In den vergangenen Tagen haben wir eigentlich nicht viel mehr gemacht als essen, schlafen, Essen zubereiten, Spaziergänge am Meer - und am heiligen Abend noch mehr Familie hierher eingeladen und eine Schulfreundin besucht. Gestaunt, wie sich die Stadt wieder verändert hat, in der ich geboren wurde und aufgewachsen bin. 
Es ist wundervoll, die Menschen, die man liebt, um sich zu haben, auch wenn der Wermutstropfen bleibt, dass meine Jungen aus Jobgründen nicht dabei sein konnten.

Aber ich muss gestehen: Es ist auch.. anstrengend. Sicherlich auch, weil ich das gar nicht mehr gewohnt bin, ein "volles" Haus zu haben. 
Wie viele Jahre ich beispielsweise meinen Geburtstag nicht mehr "richtig" gefeiert habe, weiß ich gar nicht mehr genau. Vermutlich seit rund 17 Jahren nicht mehr. Ich brauch das auch nicht - diesen Koch-Back-Stress, den man für die Gäste auffährt, und wo man nur damit beschäftigt ist zu schauen, dass es den Gästen gutgeht. Dass man selbst ja eigentlich der Anlass des Ganzen ist, geht bei sowas irgendwie immer unter. Eine Freundin von mir feiert aus dem Grund schon seit vielen Jahren nicht mehr - sondern fährt einfach weit weg, und genau dieser Gedanke gefällt auch mir zunehmend. 

Heute Abend ist der letzte gemeinsame Abend. Wir haben schon ein wenig die Sachen zusammengepackt und die Abreise für morgen vorbereitet. 
Und am Nachmittag habe ich mich mit einem Buch, einem Kaffee und ein paar Keksen aus dem zwölf-Tonnen-Vorratsbehälter im Badezimmer eingeschlossen - und gelesen und im warmen Wasser geaalt.
Und zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder so lange in der Badewanne gelegen und gesessen, bis das Wasser kalt wurde.
"Da bist du ja wieder", hat der Mann mich angelächelt, als ich endlich der Badewanne wieder entstiegen war. Und ich habe meine Arme um ihn gelegt und dankbar an mich gedrückt. Dankbar dafür, dass er mir die Zeit gelassen hat, die ich brauchte. Dankbar dafür, dass er mir den Freiraum ließ, den ich brauchte. Dankbar dafür, dass er mir den Rückzugsmoment ließ, den ich genau jetzt brauchte - und den Spaziergang statt mit mir mit jemandem anderen unternahm, bevor die Wintersonne endgültig im Meer versank. 

Morgen geht es wieder nach Hause. Ich werde noch für einen Zwischenstopp bei meinen Jungen bleiben, vielleicht für einen Tag, vielleicht für zwei - das werde ich in Abhängigkeit ihrer Dienstpläne entscheiden. 
Ich hab dann noch eine ganze Woche frei und damit viel Zeit für mich. Und darauf freue ich mich richtig dolle.
Ich kann sehr gut allein sein und brauche das auch. Solange Alleinsein nicht Einsamkeit bedeutet.



Freitag, 24. Dezember 2021

5/17

 "In einem verwunschen Dorfe lebten vor langer, langer Zeit viele fröhliche Zwergenmenschen. Immer, wenn sie einander begegneten oder dem anderen eine Freude machen wollten, schenkten sie ein Wichtelsteinchen. Das beschenkte Menschlein freute sich und schmunzelte. Weil ihn der Wichtelstein so anschmunzelte, war er fröhlich und wusste: Der andere mag mich. So war es immer.
Jeder Zwergenmensch schenkte dem anderen ein Wichtelsteinchen und bekam auch immer wieder eins geschenkt. Und - die kostbaren Steinchen der Freude gingen niemals aus. 
In der Nähe der kleinen frohen Menschen lebte aber ein finsterer Geselle. Griesgram und Neid waren seine treuen Weggefährten. Er konnte die Fröhlichkeit, die Freundlichkeit, das liebevolle Miteinander der kleinen Zwerge nicht nachvollziehen und gönnte aber auch den Zwergen ihre Unbekümmertheit nicht. 
Als nun ein Zwerglein durch den Wald marschierte, traf er den Kobold und überreichte ihm gleich ein Wichtelsteinchen, damit er auch fröhlich sein könne. Doch der finstere Waldbewohnter nahm das Wichtelsteinchen nicht an, sondern flüsterte dem Zwerg ins Ohr: "Verschenke du nur deine Steinchen an alle und jeden, dann hast du bald selbst keine mehr!"
Das stimmte zwar nicht, denn wenn ich etwas gebe, bekomme ich wieder etwas zurück. Aber mit den Worten des Kobolds war die Saat ausgestreut und sie ging auf. Die Wichtelsteinchen wurden nicht mehr verschenkt, sondern im Beutel festgehalten. Bald ging jeder seines Weges, ohne nach dem anderen zu sehen. Das Lachen verschwand, jeder kümmerte sich nur noch um das Anhäufen seines Besitzes. Missmust, Verschlossenheit, Freudlosigkeit - das waren nun die Merkmale eines einst so fröhlichen, liebenswerten Völkchens. 
Jahrzehnte gingen ins Land. Die Menschlein hetzten durch das Leben. Sie schauten nicht nach links und nichts nach rechts. "Hilf dir selbst und du hast ein gutes Werk getan", das war die neue Lebensphilosophie. Aber irgendwo schlummerte noch die Geschichte von den fröhlichen Menschlein mit den Wichtelsteinchen. 
Ein alter Mann hatte sie von seinem Vater, dieser wieder von seinem Vater...
Und er erzählte "das Märchen von guten Vorfahren" seinem Enkel. Nachdenklich machte sich dieser ans Werk. Er ging in seine Töpferstube, in der er sonst Krüge und Töpfe herstellte, und formte kleine, lachende Tongesichter. In den nächsten Tagen verschenkte er an seine Freunde diese Wichtelsteinchen.. Am Anfang wurde er belächelt und als netter, harmloser Spinner abgetan. Aber einigen gefiel diese Idee. Die Wichtelgesichter stimmten sie fröhlicher, auch wenn sie diese nur in ihrer Tasche berührten. Und so wurden es immer mehr, die sich durch das Verschenken von Wichtelsteinchen auch die Fröhlichkeit und Liebe zurückschenkten."

Diese Geschichte ist nicht von mir; wer sie sich ausdachte, weiß ich nicht. 

Meine Mama hat sie heute Abend uns allen vorgelesen - und jedem ein selbst gefertigtes Wichtelsteinchen in die Hand gelegt. 
Mich haben diese Worte ziemlich berührt - weil sie so sinnbildlich sind in dieser Zeit.
Und ich dachte an die selbstgefertigten Postkarten, die ich zu Weihnachten verschickt hatte. Siebzehn Stück an der Zahl. Ich muss zugeben, natürlich hatte ich mir zumindest ein Feedback erhofft in der Art: "Danke, dass du an mich gedacht hast."
Eben auch gerade in einer Zeit wie dieser, wo Menschen lieber und ausschließlich übers Netz irgendwelche Bildchen verteilen, ganz oft sogar ohne auch nur ein einziges persönliches Wort dazu.
Von siebzehn Bedachten habe ich gerade fünf Rückmeldungen bekommen. 

Ich dachte über die Geschichte nach, die meine Mama heute Abend vorgelesen hatte - und mir wurde bewusst, dass ich mir sicherlich ein Feedback gewünscht hatte. Aber eigentliches Ziel war ja, Menschen zu überraschen, ihnen vielleicht eine kleine Freude gemacht zu haben. Ganz gleich, ob sie sie aktuell überhaupt schon erhalten hatten (sehe ja gerade auch an mir selbst, dass ich derzeit gar nicht zu Hause bin) oder ob sie sich einfach nur mal gefreut hatten: DAS war das Ziel. Etwas von mir weiterzugeben und anderen Menschen - und sei es für nur einen Augenblick - einen Wohlfühlmoment überbracht zu haben.
Mehr muss nicht. 

Dienstag, 21. Dezember 2021

Zurück und voraus

 


 

 

 Nein, nach einem Jahresrückblick ist mir nicht.
Mir ist im Moment viel mehr nach dem nach vorn schauen.

Als ich mich gestern Abend in das Schlafzimmer zurückzog, Sachen vor mir und um mich herum ausbreitete, die Reisetasche dazustellte und überlegte, was ich mit nach L und was ich anschließend mit an das Meer nehmen würde, da spürte ich diese wunderbare Ruhe in mir.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und ich erinnerte mich noch sehr genau daran, wie ich mich vor ungefähr einem Jahr um etwa diese Zeit gefühlt hatte. Wie hoffnungsvoll und zuversichtlich ich war, dass das Jahr 2021 wieder leichter und unbeschwerter werden würde.
Ich hatte sogar ziemlich konkrete Hoffnungen und Wünsche, wie dieses Jahr wieder werden könnte.
Und nun saß ich da auf dem Fußboden - und registrierte vor allem eins: dass ich auf dem Boden hocken konnte. Nicht schmerzfrei, aber problemlos. Ich betrachtete meine Hände und mir wurde bewusst, dass sich nichts von dem erfüllt hatte, was ich mir von 2021 gewünscht hatte. Doch dass sich stattdessen so ganz still und leise und fast wie nebenbei.. zwei ganz andere Dinge erfüllt hatten.. Die, die ich schon vor sehr langer Zeit begraben hatte.
Ich fragte mich, ob es das war, was John Lennon einst gemeint hatte, als er sagte, dass das Leben das sei, was passieren würde, während man dabei sei, ganz andere Pläne zu haben?
Und ich fragte mich, ob es denn nicht auch das ist, was ich an dem Leben so liebe? Dass jeden Tag etwas wirklich Wundervolles passieren kann? Die kleinen Dinge so wie die großen? Und dass das auch gut so ist, damit wir an all den Tagen, wo nichts von dem geschieht, wo genau das Gegenteil von dem geschieht, trotzdem die Energie aufbringen, wieder aufzustehen?

Mir ist in meinem Leben nichts wirklich geschenkt worden. Genau genommen musste ich mir alles irgendwie erkämpfen, auf die eine oder andere Weise.
Ich dachte eine sehr lange Zeit, ich sei müde dessen geworden. Müde des Kämpfens und bereit zur Konsequenz, die die Kapitulation mit sich bringen würde.
Heute auf dem Weg nach L entschied ich mich nach sehr, sehr langer Zeit gegen meine Lieblings-Playlist (die ja ständig aufgeräumt wird, hinzufügen, löschen, hinzufügen - Kenner kennen das ;)) - und mich stattdessen für meine Soundtrack-Liste entschieden. Die, die ausschließlich Akustik-Titel enthält. Anfangs befürchtete ich, es könnte mich ermüden, aber das.. tat es gar nicht - ganz im Gegenteil. Es beruhigte mich, innen wie außen.
Es ist genau das, was ich am Autofahren so liebe: dass ich mit der Musik dahintreibe, dass meine Gedanken mit mir treiben und sich sich mit jedem Kilometer, den ich hinter mir lasse, nach und nach ordnen. Sich wie Puzzleteile ineinanderfügen und am Ende.. ein fertiges Bild ergeben.
Ich dachte über mich nach, über den gestrigen Abend, über mein Leben, über das, was war, und über das, was ist und was kommen wird im neuen Jahr. Und mir wurde bewusst: Ich bin nicht müde. Ich bin nicht müde des Kämpfens und des Machens. Aber ich bin MIR bewusst geworden.
Ich möchte kein Leben führen, das mich zynisch und misstrauisch macht, enttäuscht von mir selbst und von dem, das mich umgibt.
Ich möchte kein Leben führen, das mich so lange durch fremde Betten führt, bis ich nicht mehr weiß, wie es sich anfühlt, jemanden aufrichtig zu lieben - und jeder Regung eines ehrlichen Empfindens nur noch mit Ironie begegnen kann.
Ich möchte kein Leben auf gepackten Koffern führen und auch nicht kein Zuhause haben. Keinen Rückzugsort, der nicht nach mir atmet, nach meinen Büchern, nach meiner Musik, nach meinem Malzeug und dem frischen Kaffee. Meinen Stricksocken von der Mama und den selbstgebackenen Keksen in der kleinen Dose. Und nach der Liebe zueinander, die die Räume füllt.
...weil ich weiß, wie sich das alles ohne anfühlt. Weil ich es gelebt habe, ein Leben mit dem Gefühl, nirgendwo hinzugehören, nicht einmal zu mir selbst. Getrieben von etwas, das ich nicht einmal konkret benennen konnte. Immer auf der Suche und zugleich immer auf der Flucht. Immer begleitet von der Furcht, nicht genug zu sein. Nicht zu genügen. Nur die Zweite zu sein. Der Ersatzspieler. Irgendjemand zu sein, auf den man auch verzichten kann.
Das habe ich alles hinter mir und ich habe es zurückgelassen wie ein Kleidungsstück, das mir nicht mehr passt. Zu eng geworden. Entwachsen. Die Flügel entknittert und ausgebreitet.

Heute kämpfe ich nicht mehr um alles, von dem ich mir einrede, dass es wichtig für mich sei.
Entweder hat es seinen Platz - oder es hat keinen.
Nicht müssen, sondern wollen - oder eben nicht.
Das ist so unglaublich befreiend.

Dieses Jahr ist nun beinah vorüber, das neue klopft schon an - und ich umgehe die Nachrichten, die ankündigen wollen, wie der Beginn vermutlich aussehen wird. Ich will es jetzt noch nicht wissen und mich auch jetzt noch nicht damit befassen. Zwei Tage muss ich noch arbeiten, und dann möchte ich nur noch irgendwelche Bücher lesen, in der Badewanne liegen, die Weihnachtstage mit der Familie zusammen sein, gemeinsam kochen, gemeinsam backen, in Mamas Stricksocken schlüpfen, malen, schreiben, mit den Kindern herumalbern und nachts den Geruch des Mannes atmen. Mir die Zuversicht bewahren, dass nicht nur Schlechtes geschieht, nicht nur Negatives gesagt wird. Auch nicht im kommenden Jahr.

Dass das Wunderbare geschieht, während wir gerade den Kopf gerade ganz woanders haben.

Das wünsche ich uns allen ganz sehr. Habt eine schöne Zeit. Eine gute Zeit.

Montag, 20. Dezember 2021

Safe to Say Goodnight

 
 
"Sag mir, wie lange wirst du mich lieben?" fragt die dicke Maus beklommen und richtet ihre Augen fragend auf den dicken Mäuserich.
"Na immer", antwortet der dicke Mäuserich überzeugt, "mindestens hundertneun Jahre lang!"
Hundertneun Jahre lang, denkt die Maus, so lange leben Mäuse doch gar nicht.

Ruhlos wälzt sie sich in der Nacht hin und her. Mal ist die Bettdecke zu warm, dann ist es ihr wieder zu kalt. Ihre vorwitzigen kleinen Finger tasten nach dem dicken Mäuserich - und erschaudern.
"Warum bist du so kalt?"
"Na weil neben mir eine dicke Maus liegt, die mir die Bettdecke weggezogen hat!" platzt er heraus.
Totenstille für einen kurzen Augenblick, in dem er vor Schreck den Atem anhält.
Und dann beginnt die Maus zu lachen. Sie lacht und lacht und lacht.
Und er lächelt zufrieden in sich hinein. Hundertneun Jahre, denkt er, versprochen ist versprochen.

Und in der Nacht, als alles schläft im Haus, schleicht sich der dicke Mäuserich zur Vorratskammer, ertastet im Dunkel das köstliche Gut, erschnuppert er treffsicher die süße Vanille und schleppt alles in den Bau. Dahin, wo schon die dicke Maus auf ihn wartet. Genüßlich verspeisen sie einträglich das süße Mahl, streicheln zufrieden über ihren Kullerbauch und legen sich wieder schlafen. Nase an Nase.. Nur der leise zarte Geruch nach Vanille erinnert noch an die Missetat in der Vorratskammer.
"Meinst du wirklich, wir schaffen hundertneun Jahre miteinander?" flüstert die Maus in die Nacht hinein.
"Ja natürlich", flüstert er zurück - und dann sucht er ihre kleinen kalten Hände und legt sie an seinen dicken, weichen, warmen Bauch. "Wollen wir das wagen? Als Herr und Frau Mäuserich?"
"Ja das wollen wir", flüstert sie leise mit großen glücklichen Augen.

Dienstag, 7. Dezember 2021

..und am Ende die Hoffnung

 
Dass ich schon immer musikverliebt war, ist ja nichts Neues. Musik könnte mich im Grunde in beinah jeder Lebenslage begleiten.
Sie begleitet mich vor allem, wenn ich male oder blogge.
Der Mann hat mir eines Tages Kopfhörer gekauft, von denen er wusste: Wenn er sie bei sich aufsetzt, hört er nichts anderes mehr - aber andere hören seine Musik auch nicht.
Ja nun.. Was soll ich sagen.. Eigentlich hat er sie mir umsonst geschenkt.
Ihr müsst Euch das so vorstellen: Ich sitze am Schreibtisch, habe die Kopfhörer auf, damit er in Ruhe irgendwas anderes machen kann - und fast immer sehe ich ihn dann aus Augenwinkeln, wie er sich halb den Arm verrenkt, nur um auf sich aufmerksam zu machen. Ihn rufen hör ich ja nicht, Noise Reduction und so. Anfangs hab ich die Kopfhörer immer kurz runtergenommen und gefragt: "Was gibts denn so Dramatisches?"
Mittlerweile muss ich das nicht mehr: Ich sehe dann schon an seinem Gesichtsausdruck, was er mir sagen will: "Mach! Verdammt! Nochmal! Deine! Musik! Leiser!!"
Unlängst beklagte er: "Deine Musik ist lauter als der Fernseher!"
Wofür ich nun aber auch nichts kann: Oft stellt er den so leise, dass ich mich mehr darauf konzentrieren muss, WAS die Leute sagen, als dass ich dann verstehe, warum sie es sagen.
"Du machst dir deine Ohren kaputt!" mahnt er oft und ich grinse dann breit: "Das hat mir meine Oma früher immer von meinen Augen gesagt, wenn ich noch unter der Bettdecke mit ner Taschenlampe gelesen hab."

Manchmal amüsiert er sich aber auch über mich. Manche Musik ist ja so mitreißend, dass mein Körper sofort in Bewegung gerät. Meistens sind es meine Füße, was den Mann wiederum nervt, weil es ihn nervös macht.
Sitze ich aber grad über Malereien gebeugt und tänzeln dabei meine Füße im Takt über den Fußboden, dann grinst er und sagt: "Ich weiß genau, was du gerade hörst."

Diesen Titel hier.. Der reißt uns beide mit. Und als er zu mir sagte, der würde so richtig zu einem Festival passen, da hatte ich spontan Bilder im Kopf: Nackte Oberkörper (er!), ein Tuch über die Haare gebunden (ich!), Becher mit Bier (er!) und Weißweinschorle (ich!), lässige Jeans, bunte Röcke, barfuß, Sommer, Abendsonne, küssen, singen, tanzen, die Arme um seinen Hals schlingen, sich wieder loslassen und nur noch an den Fingern halten, die Augen schließen und ganz selbstvergessen tanzen...
Ich war noch nie in meinem Leben auf einem Festival und vielleicht bin ich dafür auch gar nicht gemacht. Vielleicht könnte ich das nur ein paar Stunden ertragen (Ausdauer ist eh nicht meine Stärke), aber vielleicht würde es einfach auch genügen.. Hauptsache, Spaß haben.. Die Zeit vergessen, die Welt vergessen, die Sorgen vergessen.. Es läuft uns eh nichts weg, alles bleibt und wartet auf uns - aber so für einen Tag, eine Nacht mal alles von sich wegschieben können..

Warum ich Musik auch so unfassbar liebe, ist, weil ich mich in dem Moment, wo ich die Kopfhörer aufsetze, in eine ganz andere Welt katapultiere.. Dahin, wo ich mich wohl fühle, wo der Körper im Takt der Musik vibriert, wo ein Lächeln ein Lächeln ist und kein erzwungener Reflex irgendwelcher Gesichtsmuskulaturen.. Ich muss die Musik nur richtig aufdrehen können. Zuletzt heute auf dem Weg von M nach L. Was hatte ich mich im Vorfeld geplagt mit Bildern im Kopf von schneeverwehten Straßen und sowas. Und dann war da... nix. Und ich konnte also die Musik aufdrehen, mich entspannt treiben lassen im wahrsten Sinne des Wortes.. und irgendwann ankommen - auch im wahrsten Sinne des Wortes..

Ich vermisse sie so sehr, die unbeschwerte Zeit.

...und irgendwie glaube ich aber auch daran, dass sie wiederkommt. Neues Jahr, neues Glück..

Donnerstag, 2. Dezember 2021

It's Gonna Be Perfect

 
Unlängst hatte ich ein paar Tage frei, dank eines Feiertags. Lieber hab ich dafür am letzten Tag bis in den späten Abend hinein über den letzten to-dos gesessen, damit ich sicherstellen konnte, dass ich in den kommenden Tagen auch mal wirklich meine Ruhe hätte. Und schon Pläne geschmiedet, was ich mit der freien Zeit am liebsten anfangen würde: nichts.
 
Wie lange ich mich schon nicht mehr in der Badewanne geaalt hatte, weiß ich gar nicht mehr. Und ich hatte mir vorgenommen: Morgens ausschlafen, mir einen Kaffee zubereiten, während ich nebenan Badewasser einlassen würde. Mal wieder eine Maske auftragen, die Zehen am Badewannenrand abstützen und dann ein Buch lesen. In den letzten Wochen hatte ich mir da und dort entweder ein neues Buch aus dem Sale geangelt oder aus den Kartons mitgenommen, die da und dort und manchmal auch vor unserer Haustür stehen und zum Mitnehmen angeboten werden. (Wenn Ihr mich fragt, ich finde das irgendwie schön. Man muss ja nicht alles immer gleich auf den Müll werfen, auch dann nicht, wenn man was nicht verkaufen kann.)
Und wenn ein Buch doch mal aus Versehen ins Badewasser rutscht, ist das zwar Mist, tut aber nicht so weh, wie wenn mir nochmal ein Handy dort reinfallen würde ;)
 
Inzwischen ist es ja nicht nur Herbst geworden, sondern auch richtig schön kalt. Etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich das jemals ernsthaft würde genießen können. Gleichwohl: Sicherlich habe ich das Alter (auch wenn man bei Frauen nie weiß, wann das beginnt; manchen widerfährt das ja schon Ende 30, hab ich mal gelesen) - aber seitdem ich mich regelmäßig spritzen muss, vollzieht der Körper Verwandlungen in Warp-Geschwindigkeit. Das deutlichste Zeichen seiner Veränderung bescherte er mir in Form von "zieh-dich-aus-kleine-Maus-mach-dich-nackig-ach-ne-kannst-dich-wieder-anziehen"-Wellen. Und das wirklich so krass, dass mirs jedesmal die Frisur versaute, weil die Haare klamm wurden. Dieses Spielchen hab ich mir ein Weilchen angeguckt. Und weil ich ja nun wahrlich nicht mit Geduld gesegnet bin, habe ich mir letzte Woche in der Apotheke etwas aufschwatzen lassen. Eigentlich wollte ich ja erst mal nur fragen, aber raus ging ich dann mit einer kleinen Schachtel weißer Pillen und einem wehenden Kassenzettel. (Waren DAS noch Zeiten, als DAS HAAR im Winde wehte und nicht irgendwelche Medikamentenkassenzettelchen!)
Ein bisschen komisch hab ich dann zu Hause ja schon geguckt, als ich die kleine Schachtel zu den anderen Schachteln stellte: Dafür, dass ich immer dagegen war, mir regelmäßig kleine Pillen zu verordnen (zu lassen), ist dieser kleine Haufen aber doch verhältnismäßig groß geworden. Noch zwei, drei Schachteln mehr und ich bin angekommen im Zeitalter meiner Großmutter.
Egal, was wolltsch sagen.. Ach ja, die Hitzewellen. Die nette Apothekendame meinte noch, das sei rein pflanzlich und es würde Minimum zwei Wochen dauern mit einer ersten Erleichterung. Aber was soll ich sagen.. Bei mir funzte das direkt nach der 1. Pille. Das kann auch nix mit Einbildung und so zu tun haben, denn seitdem sitzt die Friese wieder und muss ich mich tagsüber (natürlich nur im Home Office!) und auch abends vor dem Mann nicht aller zehn Minuten mehr nackig machen. Seitdem friere ich sogar  wieder, sogar nachts. Herrlich!
Und wenn ich dran denke, dass ich früher nicht nur mit geschlossenem Fenster im Winter schlief, sondern gerne auch bei.. nun sagen wir.. wohlwollend überschlagenen Temperaturen.. Äh ne, das könntsch heute so überhaupt gar nicht mehr. Das Fenster muss auf! Auch jetzt bei Frost, das ist egal, auf muss es. Dem Mann kommt das sehr entgegen, aber der ist ja eigentlich auch kein Maßstab. Wer in den Himalaya hochsteigt und nachts dort nur im Zelt pennt, den kann eh so schnell nix schocken. 

Jedenfalls - ich habe diese Tage sowas von Herzen genossen, das glaubt mir keiner. Ausschlafen, einen Kaffee zubereiten, in der Badewanne liegen, Musik, Musik, Musik, Stifte, Pinsel & Co. auspacken, malen oder auch nicht malen, Beine hochlegen, dem munteren Blättertreiben draußen zusehen und abends vollkommen entspannt den Mann zu Hause begrüßen. Das ist zwar jetzt schon wieder ein Weilchen her - aber ganz ehrlich? Ich zehre noch immer von diesem bisschen freie Zeit und dann fiel mir wieder ein, was vor etlichen Jahren schon die Schmerzärztin zu mir gesagt hatte: "Nehmen Sie sich regelmäßig eine Auszeit. Und wenn es nur ein Tag in der Woche ist, Hauptsache regelmäßig."
Recht hat sie! Ich hoffe, ich vernachlässige das nicht zu schnell wieder; immerhin ertappe ich mich ja doch schon wieder dabei, oft wieder bis in den Abend hinein über die Arbeit gebeugt zu sitzen.
Immerhin nutzen der Mann und ich die Abende inzwischen öfter, um einfach noch mal ein bisschen durch die Pampa zu streifen, uns vom Tag zu erzählen oder einfach nur an den Händen zu halten, uns frischen, bisweilen auch eisigen Wind um die Nase wehen zu lassen, anschließend daheim noch einen Tee (er!) und ein Käffchen (ich natürlich) zum Aufwärmen zu genießen und dann ins Federbett zu kriechen.
Auch das hilft, vom Tag wegzukommen, alles von sich abfallen zu lassen. Auch das werden wir jetzt wieder öfter machen.
Mit ihm hab ich wenigstens keine Angst im Dunkeln. Meine uralte Angst vor der Dunkelheit..
Jedenfalls, mehr ist mir als noch Ungeimpfte eh nicht erlaubt, nicht mal mehr das Fahren mit der U-Bahn; es sei denn, ich besorge mir einen Test. Nur muss ich, um zur Teststelle zu kommen, ja auch erst mal ne U-Bahn nehmen, harhar. Egal. Ich hab mich schon vor dem verordneten Lockdown zurückgezogen. Besuche keine Freundinnen, gehe auf keine Festivals oder Konzerte oder sonstwas. Teste mich auch in der Home Office Woche und sowieso bei Präsenz im Büro, berühre keine Fremden und wenn ich nach Hause komme oder zwischendurch im Büro gilt ohnehin das Händewaschen. Letzteres war auch ohne Corona selbstverständlich. Ich fühl mich zu Hause auch ganz wohl, wir habens gemütlich.
Aber wenn noch mal einer in meiner Gegenwart behauptet, alle Impfskeptiker seien unsolidarisch und verantwortungslos, dann gibts was aufs Maul. Verantwortungslos ist derjenige, der sich in einer Zeit wie dieser verhält, als gäbs kein Corona - und das betrifft sie alle, egal ob geimpft oder nicht.
Und wenn die Impfpflicht kommt, ja dann kommt sie eben. Mein Doktor jedenfalls hat nach einem langen Gespräch zu mir gesagt: "Solange Sie zweifeln, lassen Sies. Aber wenn Sie sich dazu entschließen, dann kommen Sie einfach zu mir."
Nach allem, wie das so in den vergangenen 1,9 Jahren gelaufen ist, glaube ich persönlich nicht mehr, dass "mit Vernunft agiert" wird, wie es der Herr Wüst von der CDU gestern meinte. Nur lachen musste ich dann doch sehr, als der allen Ernstes meinte, eine Impfpflicht müsse auch mit Bußgeldern belegt werden, aber von einem Impfzwang würde er da jetzt nicht sprechen. Ach ne? Was isn das dann?
Aber egal. Ich hab in den letzten Tagen beschlossen, die Dinge zu nehmen wie sie kommen. Mich von den Nachrichten wieder weitestehend fernzuhalten und nur aufs sich mittlerweile fast wöchentlich ändernde Regelwerk für die beiden mich betreffenden Bundesländer zu schauen. So n Bußgeld muss man denen ja nicht auch noch in den Rachen werfen - in dem Gegenwert könnt ich mir immerhin ein Milchkaffeebad einlassen :)
Im Moment jedenfalls geht es mir körperlich richtig gut; diese Kombination aus Spritzen, Hormontabletten und Vitamin-D-Tabletten macht was richtig Gutes mit mir aktuell. Immerhin rieselte es mir richtig warm den Rücken runter, als ein Freund vor zwei Tagen zu einem aktuellen Foto meinte: "Ey, als ich dein Gesicht gesehen hab, da dachte ich, das ist so eine, die wird mit dem Alter immer schöner."
Das klingt jedenfalls viel schöner als der Mann, der hin und wieder lediglich meint "Na wenn ich nüscht sage, schmeckts!"
Und war es nicht das, was ich irgendwie auch immer zum Ziel hatte? Wenn ich schon eines Tages irgendwo tot überm Zaun hinge, wolltsch wenigstens gut dabei aussehen? Ja, ich glaub, so war das :)

Ach, und mein Schmunzelhase, falls Du das hier auch noch liest: Herzlichen Dank für den Song-Tipp! Läuft bei mir grad rauf und runter - herrlich! Da kommen die Tanzbeine wieder in Schwung!
 



Mittwoch, 1. Dezember 2021

26

Mein Schmunzelhase, 

Dein Geburtstag ist längst vorbei und in diesem Jahr habe ich es zum ersten Mal nicht hinbekommen, Dir nicht nur nicht pünktlich ein paar Worte zu schreiben, sondern damit auch fast ganze vier Wochen zu spät zu kommen. Was für Dich vermutlich auch nicht schlimm ist - denn viel wichtiger war ja sowieso, dass wir Deinen Tag gemeinsam gefeiert haben.

Es ist eine verrückte Zeit, in der man gar nicht so recht weiß, was man Dir wünschen soll.. Also natürlich weiß ich das, aber ich wünschte Dir auch, Du könntest Dein Leben so frei und unbeschwert genießen wie es eben bis vor zwei Jahren mehr oder weniger möglich war. Wenn man Dich lässt, dann genießt Du Dein Leben tatsächlich in jeder Hinsicht - und es ist auch eine spannende Reise für mich, Dir dabei zuzusehen. 
Wo ist die Zeit nur geblieben von dem Moment an, als Du mir auf den Bauch gelegt wurdest, noch ganz warm und rot vom stundenlangen Kampf, auf die Welt zu kommen, und mit einer Schnute, bei der ich spontan dachte: "Ein kleiner Entenschnabel!" :)
Den hast Du so heute nicht mehr, sondern einen schönen Herzmund. Aber Du hast nicht nur einen schönen Herzmund, Du bist auch von innen heraus schön. Du liebst das Leben, Du liebst es, wenn die Menschen sich vertragen und harmonisch miteinander umgehen. Streit magst Du gar nicht, aber Du scheust auch nicht davor zurück, Dinge kritisch anzusprechen.
Ich liebe an Dir, dass das aber dann immer noch (zumeist) ruhig bei Dir abgeht. Dass Du laut wirst, habe ich noch nie an Dir erlebt. Nicht mal, als Ihr kleiner wart - dafür habt Ihr Euch dann eher mit Matchbox-Autos beworfen ;)
Ich liebe es, wie Du mit der stachligen Schale Deines Bruders umgehst. Manchmal schüttelst Du den Kopf oder verdrehst die Augen, aber meistens lächelst Du und sagst: "Ach ne ey, so eine Primel."
Du bleibst immer ruhig und zumindest äußerlich entspannt. Wenn ich das sehe, schmunzel ich immer in mich hinein und denke: "Du siehst aus wie Dein Vater und du hast auch ganz viel von Deinem Vater, aber DAS hast du definitiv nicht von ihm." :)
Manchmal denke ich auch, dass Du mit Deiner entspannten Art und Weise auch das perfekte Gegenstück zu Deinem Bruder bist - und dass dies auch ganz oft dazu beiträgt, den einen oder anderen Kampf in nicht ganz so tiefen Gräben auszutragen. Und manchmal denke ich, dass es genau das ist, was Dein Bruder auch braucht und genießt - nach all den Jahren zuvor, in denen es ganz anders war.
Insofern.. bin ich heute noch froh, dass Ihr die WG zusammen aufgestellt habt, auch wenn es vor allem anfangs einiges an Zeit und Geduld gebraucht hatte, Euch zusammenzuraufen. Du, der Minimalist - und er, der Chaot.
Da seid Ihr grundverschieden - und beide auf Eure Weise liebenswert :*
Natürlich versteh ich, dass Du Dich nicht nur deshalb danach sehnst, ein eigenes Zuhause nur für Dich selbst zu haben. Eins nach Deinem Gusto. Am liebsten in der Innenstadt - und wenn Du mich fragst, da würde ich auch wohnen wollen. Wir sind Stadtkinder, wir wollen mittendrin sein :) Ich hoffe ja, dass Dein Bruder im kommenden Herbst fest übernommen wird, dann werden die Karten alle neu gemischt - für Euch beide.

Ich bin tatsächlich gespannt, wohin Euch Eure Reise führt, mit wem Ihr eines Tages Euren Weg gemeinsam geht. Darauf freu ich mich, weil mir nur eins wichtig ist: dass es Euch gut geht und dass Ihr glücklich seid.
Manchmal schau ich auf Euch und bin wahnsinnig stolz auf Euch. Wie Ihr Euch entwickelt habt. Dass ich mit Euch über alles sprechen kann. Ich fand zum Beispiel ultra lustig, wie Du zum letzten Weihnachten mit dem Mann gefachsimpelt hattest: Er zeigte Dir das damals neue iPhone 12, Du ihm Deine Watch.
Darüber konntet Ihr Euch ewig austauschen - und im Januar dann hast Du Dir ein neues iPhone gekauft und der Mann sich die Watch :D
Aber.. ich muss gestehen, ich vermisse sie auch, die Zeit, als Ihr noch klein wart. Ich vermisse es, weil ich sie damals nicht so genießen konnte wie ich das heute tue. Heute wünschte ich, ich hätte so viel mehr mit Euch zusammen gemacht anstatt soviel zu arbeiten und das Zuhause in Ordnung zu halten. Wie oft war ich einfach nur noch müde...
Vor zwei Nächten träumte ich was Merkwürdiges. Ich war bei Euch zu Hause und sprach mit Deinem Bruder. Er stand im Traum neben mir, wir redeten über irgendwas. Und mit einem Mal sah ich ihn vor mir, wie er war, als er zwei Jahre alt war. Ich schaukelte ihn "in klein" auf meinen Knien und sprach mit ihm, er antwortete wie damals, als er eben so klein war, während er "in groß" immer noch neben mir stand und sich und mir dabei zusah.
Komisch, oder?
Mir zeigt das eigentlich nur, wie sehr ich Euch beide vermisse. Wie gern ich manches zurückdrehen wollte, um Dinge heute anders machen zu können. Euch genau die Stabilität, die Sicherheit geben zu können, die Ihr immer gebraucht habt. Die Kinder grundsätzlich brauchen.
In dieser Hinsicht finde ich es gut, dass Du nichts überstürzt. Eines Tages wünscht Du Dir eine eigene Familie mit einer Frau und einem Kind - aber solange Du Dir nicht sicher bist.. sagen wir.. genießt Du einfach Dein Leben. Auch wenn Dein Bruder oft die Augen verdreht, wenn immer mal ein anderes Paar Schuhe im Flur steht und Du schmunzelnd zu mir sagtest: "Ich glaube, ich erzähle dir erst was, wenn ich weiß, obs was Ernsteres ist."
Natürlich ist das alles keine Garantie dafür, dass etwas für immer hält - aber ich finde es gut, dass Du Dir gut überlegst, mit wem Du Dir etwas vorstellen kannst - und dann auch nicht die Konsequenz scheust.

Ihr werdet ankommen, eines Tages, da bin ich mir sicher.
Vielleicht wohne ich bis dahin wieder ganz in Eurer Nähe. Vielleicht ist es dann wieder möglich, dass Ihr auf einen Kaffee, ein Stück Kuchen, ein Mittagessen, ein Abendessen vorbeigeschneit kommt. Oder dass wir mal wieder alle gemeinsam ins Kino gehen. Weißt Du noch, wie oft wir das früher gemacht haben? Popcorn und Cola, Du und Dein Bruder rechts und links von mir, manchmal mit 3 D-Brillen, mit denen wir aussahen wie Mondsüchtige - aber wir hatten Spaß.
Oder wie wir Weihnachtsplätzchen gebacken hatten - und dann überließ ich Dir und Deinem Bruder das Feld zum Verzieren. Hätte ich mal nur eher wieder hingeguckt! Denn die meiste Zeit habt Ihr damit verbracht, herumzualbern und Euch mit Mehl und dem bunten Allerlei zu bewerfen. Wusstest Du eigentlich, dass ich beim Auszug zwei Jahre später noch die letzten süßen Perlen in der Küche gefunden habe?
Zu Deinem 9. Geburtstag hast Du dann Dein Haustier bekommen, das Du Dir so sehr gewünscht hast. Ein kleiner Teddyhamster, der nachts aber so aktiv war, dass wir den irgendwann immer raus ins Badezimmer stellen mussten. Und der sich an einem Wochenende, als niemand zu Hause war, durch den Boden des Käfigs gefressen hatte und getürmt war. Wir haben ihn gefunden und leider neben der Terrasse beerdigen müssen. Wie sehr Dich das geschmerzt hatte, wurde mir erst ein Jahr später bewusst, als Du einen Aufsatz über ihn schreiben solltest - und Dir dabei die Tränen kamen.
Heute träumst Du davon, Dir einen Hund zu kaufen - immerhin hast Du Dir schon einen aus dem Tierheim geholt und spazieren geführt. Ich hoffe, Dir ist bewusst, wie viel Zeit es braucht, ein Tier nicht nur zu füttern und übers Fell zu streicheln: Das ist tatsächlich wie ein Kind, das nie erwachsen und eigene Wege gehen wird ;)
Die meisten Eltern warten ja darauf, dass ihre Kinder ihre eigenen Wege gehen und sie dann ihr Leben nach eigenem Belieben fortsetzen können.
Wenn Du mich fragst: Natürlich wollte ich das auch - aber eben.. nicht so früh. Ich wünschte, ich hätte Dich und Deinen Bruder noch etwas länger bei mir haben können. Auch wenn ich weiß, dass es gut für Euch war, auf eigenen Beinen zu stehen. Aber.. Du warst damals noch nicht ganz 18 Jahre alt und ich selbst.. im Grunde noch gar nicht bereit, Dich jetzt schon herzugeben.
Du bist der Jüngere von beiden, Du bist bis heute mein "Baby", auch wenn Du natürlich alles andere als das bist. Mein Baby, das die Dinge einfach macht, auf die es Lust hat.

Und wenn ich Dir eins wünsche, dann umso mehr, dass es wieder leichter wird, das Leben. Entspannter, freier. Wir haben ja nur dieses eine - dafür gibt es keine zweite Chance, keinen zweiten Versuch. Also nutzen wir das, was wir haben - und was immer ich als Deine Mama tun kann, werde ich auch tun, damit Du glücklich und unbeschwert sein kannst.
Wenn es Euch nicht gut geht, liegt mir das wie ein Stein auf meiner Brust. Also achtet auf Euch, versprecht mir das :)

Ich lieb Dich wirklich sehr - und Du wirst auch für immer mein Schmunzelhase bleiben.
Das warst Du vom ersten Tag an und Du bleibst es auch.
Deine Mama

Mittwoch, 27. Oktober 2021

...weil du mich zu einem schlechteren Menschen machst.


"Das Zerbrechen einer Partnerschaft hat oftmals eine lange Vorgeschichte. Dieses Buch handelt von dem langen Abschied, währenddessen die Aufbrechenden jahrelang innere Qualen litten und wo die Entscheidung zu gehen über einen langen Zeitraum immer stärkere Konturen annahm. In diesem Buch erzählen die Aufbrechenden mit ihren eigenen Worten, warum sie gegangen sind. Paare gehen nicht wegen Streitigkeiten oder unterschiedlichen Persönlichkeiten auseinander; sie gehen, weil sie sich einsam, abgewiesen und in der Paarbeziehung verlassen fühlen. Sie gehen, um ihr sterbendes Ich zu retten."


Was sich hier sicherlich ein wenig theatralisch anhört, birgt dennoch eine ganze Menge Wahrheit im Kern. Als ich letztens auf Instagram diese Werbung für ein Buch auf nextory las, sicherte ich mir den obigen Text zwar als Screenshot, leider jedoch nicht den Buchtitel. 

Nichtsdestotrotz beschäftigten mich diese Worte in den letzten Tagen. Irgendwie bei allem, das ich im Privaten tat: Essen zubereiten, backen, Geschenke überlegen, anfertigen, verpacken, versenden. Ordnung in das Zuhause bringen. Bügeln. Vollkommen alltägliche Dinge - mit einem einzigen, aber für mich wichtigen Unterschied: Ich mache sie heute mit und aus Liebe. Heute macht es mir Spaß, in der Küche zu stehen und Rezepte herauszukramen, mich an Altem und Neuem zu versuchen, herumzuexperimentieren. Oder es schön zu haben, wenn der Mann am Abend nach Hause kommt.
Ich dachte dabei oft auch an eine Freundin, die nun doch auf die Trennung vom Mann besteht, trotz der Eigentumswohnung, trotz der kleinen Kinder. Dachte an ihre Worte, wie erleichtert sie sich momentan einfach nur noch fühle - und ich wusste genau, wovon sie sprach. Die Erinnerung an diese Erleichterung lebt noch immer in mir, obschon es so viele Jahre her ist. Damals war mir bewusst: Entweder bleibe ich, dann wird irgendwann nichts mehr von mir  bleiben.
Oder ich gehe und beginne nochmal ganz von vorn.
Für das Gehen entschied ich mich, weil Bleiben einfach keine Option war.
Wie meine Freundin heute wusste damals auch ich: Menschen ändern sich nicht. Sie sind wie sie sind. Doch wenn die Gräben zwischeneinander zu tief sind, dann wird man auf Dauer nicht miteinander glücklich sein können. Wenn das, was du jeden Tag tust, nicht (mehr) aus Liebe getan wird, sondern nur noch aus Pflichtgefühl, dann wird das Miteinander zur Belastung und dann hört man auf, glücklich miteinander zu sein.
"Du machst mich zu einem schlechteren Menschen", hat sie zu ihrem Mann gesagt - und diese Worte gehen mir seither in meinem Kopf herum.

Glücklich miteinander... Was genau macht das aus? 
Dass er morgens, wenn ich erwache, mein erster Gedanke und nachts, wenn ich mich schlafenlege, mein letzter Gedanke ist? Dass ich es liebe, mir etwas für ihn auszudenken und ihn damit zu überraschen? Dass ich meine Gedanken und Empfindungen in erster Linie mit ihm teile?
Dass meine Zahnbürste neben seiner steht? 
Dass er an den Wochenenden das Frühstück zubereitet oder mir abends manchmal ungefragt einen Kaffee auf den Tisch stellt und es in dem Moment genau das Richtige war?
Kann man da sein und doch nicht da sein?
Kann man einander vermissen, obwohl man nebeneinander sitzt? 

In letzter Zeit sagt der Mann öfter, er würde das Uns vermissen. Er würde mich vermissen.
Während ich mit anderen Dingen hadere. Dass Angst und Sorge dominieren vor der Lebensfreunde. Dass das Lächeln hinter Masken verborgen bleibt und man sich maximal den Ellenbogen reicht, anstatt einander herzlich zu umarmen. Dass das Home Office Schutz bieten soll vor Ansteckungen und Kontakte möglichst online stattfinden.. Und Stück für Stück, schleichend und beinah unbemerkt schleicht es sich ein, dass der Mensch inzwischen lieber schreibt anstatt zu reden. Dass selbst das geschriebene Wort nach und nach weniger wird, weil selbst das irgendwann zu anstrengend wird..

Es ist Herbst geworden, endlich mit etwas mehr Kühle, die ich sehr genieße. Und während ich verträumt dabei zusehe, wie die Bäume hinter dem Haus mehr und mehr ihre rotgoldene Pracht auf den Rasen rieseln lassen, fühle ich, wie müde ich derzeit bin. Sehr, sehr müde. 
Müde von der Angst der Menschen, die in allem eine Gefahr, eine Bedrohung sehen. Müde davon, dass in gefühlt "allem" ein Problem gesehen wird, dass gefühlt "nichts" mehr mit Leichtigkeit genommen werden kann.
Es ist anstrengend...
Und so ermüdend...
Ich liebe es, wie der Mann mich anschaut, wenn ich mich zurechtmache, wir uns an die Hand nehmen und das Haus verlassen. Dennoch würde ich an manchen Tagen einfach lieber.. überhaupt nichts machen wollen... Einen Tag vertrödeln so wie früher, vielleicht was Schönes backen, nebenbei Badewasser einlassen, Musik hören..
Während der Mann mich vermisst, vermisse ich genau diese Momente wie früher. Mir fehlt die Ruhe in meinem Kopf, die Gelassenheit.. Dann und wann ertappe ich mich dabei, wie ich gerne einfach ein paar Tage ausspannen würde, ganz allein, irgendwo..

Zu Zeiten, in denen ich viel weniger Geld verdiente als ich das aktuell tue, da ging es mir finanziell nicht gut. Zukunftsängste sorgten mich, vor allem der beiden Kinder wegen; nachts konnte ich oft nicht schlafen, weil ich mir die Frage stellte, was morgen sein würde.
Damals quälte mich diese Aussage: "Vielleicht tust du ja nicht genug für deinen Job? Dann könntest du sicherlich auch mehr verdienen."
Arbeit habe ich niemals gescheut. Arbeit bedeutete immer auch Herzblut für mich.
Wo war ich damals, wo bin ich heute? Hätte ich jemals geglaubt, mich wirklich hocharbeiten zu können? Die Hierachie gab das doch einfach gar nicht her, glaubte ich. 
Sie tut es aber doch. 
Vor etwa acht Wochen habe ich das Gespräch mit meinem Chef gesucht und auf den Tisch gelegt, dass ich ein anderes Jobangebot bekommen habe. (Eigentlich zwei, aber von dem zweiten werde ich mich hüten, ihm das zu sagen.) Er hat mir daraufhin ein Angebot unterbreitet, das mir - offen gesagt - den Atem verschlug.
"Wer, wenn nicht du?" hat er gesagt.
Inzwischen hat der Chef bekanntgegeben, dass er sein Unternehmen verkauft und an wen. Er will noch zwei Jahre weitermachen, als Geschäftsführer, dann will er ganz aufhören.
Mir wird er die Prokura übertragen. Was ich bis dahin nur als (leeres) Gerede hielt, setzt er nun wirklich um. So hat er es allen offiziell mitgeteilt. 
Entscheidend für mich war dabei die Aussage, dass er nach zwei Jahren komplett aufhört. Maximal Beratertätigkeit, wenn überhaupt. Das war das einzige Kriterium, das mich davon abhielt, das andere Angebot anzunehmen. 
Ich finde es gut, gefordert zu sein und gefordert zu werden. Dinge entwickeln zu können. Neues lernen zu können. Verantwortung übernehmen zu dürfen. 
Aber es fordert sehr und mir ist bewusst, dass auch das mich momentan ausbrennt. 
Ich beginne zu begreifen, welche Dimension soziale Verantwortung im Dienst bedeutet - und wie leichtfertig hierbei meine Grenzen überschritten werden. 
Morgens ist es noch dunkel, wenn ich den Laptop einschalte. Abends ist es längst schon dunkel, wenn ich den Laptop ausschalte. Und dann immer noch in meinem Kopf sortiere, was ich morgen als nächstes abarbeite, bevor mir die Terminstellungen um die Ohren fliegen. Und wenn man mich auf dem einen Handy nicht mehr erreicht, wird eben auf dem privaten angerufen.
Herzrasen von heute Mittag an, nicht zum ersten Mal, und der Mann, obschon er davon nichts weiß, fragt mich heute Abend, ob das jetzt immer so weitergehen soll und ob das die Prokura und das neue Gehalt wert seien? Nein, ums Geld geht es mir dabei gar nicht. 

Aber.. Es ist die Summe des Ganzen.. 
Heute fragte mich eine Freundin, ob sie mir etwas Falsches gesagt habe, ob ich wütend auf sie sei, ich sei so still...
Da fällt mir wieder ein, dass ich sie eigentlich am vergangenen Wochenende hatte besuchen wollen. 
Also schreibe ich umgehend, dass es nicht an ihr liege, ich einfach nur landunter sei..
Den Rest verschweige ich. Ich habe nicht die Zeit und nicht die Ruhe, ihr zu sagen, wie ich mich derzeit fühle. Als ich am Abend den Laptop (zunächst) ausschalte und noch ein Geschenk verpacke, denke ich immer noch über ihre Worte nach und frage mich auch, ob auch ich mehr und mehr dazu neige, mich zurückzuziehen. Mich daran zu gewöhnen, wenig Kontakt zur Welt draußen zu haben. Tagsüber arbeiten, abends noch ein bisschen bei FB oder Instagram surfen, einschlafen. (Oder Krimis schauen in den Nächten, in denen ich nicht in den Schlaf finde.) Damit bin ich derzeit.. völlig ausgelastet. Bin ich überhaupt noch gesellschaftsfähig? Will ich überhaupt noch Gesellschaft? Oder einfach nur noch meine Ruhe? Könnte ich einen ganzen Abend lang mit anderen Menschen überstehen, wenn da nichts kommt außer irgendwelcher Smalltalk? Wo ist meine Leichtigkeit von früher, mit der ich mir in solchen Momenten ein Getränk orderte und versuchte, die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, mit dem Spießchen das Obst darin zu erhaschen? Wo ist meine Leichtigkeit von früher, mit der ich mir das Leben so machte wie es mir gefiel? Wo ist meine Fähigkeit hin, "wie ein Schmetterling von einer Blüte zur anderen zu treiben", wie es einst eine Freundin von mir sagte?
"Hat die Blume einen Knick, war der Schmetterling zu dick" - fällt mir dazu grad ein. So fühl ich mich derzeit: Schwer. Nicht von der Körpermasse her. Sondern innerlich...

Es ist Herbst geworden, und mit sich gebracht hat er diese sanfte Melancholie, die ich eigentlich so liebe. Ich bin nur.. zu müde dazu im Moment. Und ich fürchte, das wird auch bis zu den Weihnachtstagen nicht wirklich besser werden. 

Ich weiß nur eins: Ich bin immer noch verdammt froh, damals gegangen zu sein. 
Heute ist jeden Tag alles, wirklich alles möglich. Und damals war es das nicht. Es hat nicht das Beste aus mir herausgeholt, sondern erdrückt. 

Mittwoch, 8. September 2021

Zeit der Sehnsucht

 

Es gab Tage, da hatte ich angenommen, der Sommer sei in diesem Jahr schon vorüber. Angekündigt mit den letzten herbstlich angehauchten nasskalten, trüben Tagen, die bei mir nicht auf die Stimmung drücken, sondern eher ein Gefühl des Aufatmens vermitteln. Befreit von der Hitze der Tage und der Nächte, die einen mehrmals am Tag das bisschen Stoff herunterreißen und unter einer kühlen Dusche aufatmen lassen.
Vorbei aber auch die Tage am Meer. Da, wo die Seele atmet.Ich weiß, ich hab das schon tausendfach gesagt und wiederhole mich immer und immer wieder - aber.. In Tagen wie diesen blättere ich mich durch die Vielzahl der Fotos, mit denen wir in diesem Sommer die Tage am Meer eingefangen haben. Sie sind in meinem Kopf, aber es hat nochmal eine andere Dimension, wenn ich sie mir anschauen kann, Stück für Stück. Die gefühlte Sorglosigkeit betrachte, mit der ich mich durch diese Tage treiben ließ.

"Veränderungen machen mir Angst", gestand der Mann mir vor einiger Zeit. Ich habe darauf nicht geantwortet, weil ich es schon seit Jahren weiß. Und dieses Jahr fühlt sich so an, als warteten mehrere Veränderungen auf ihn, auf mich, auf uns alle - und überwiegend jene, die ich kenne, betrachten diese Zeit mit Argwohn, mit Furcht, aber auch mit Hoffnung und immer noch Zuversicht. Kann es nur noch besser werden und nicht schlimmer? Was wartet auf uns, was erwartet uns?

Vor wenigen Tagen rief ich eine Freundin an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Wir hatten uns länger nicht gehört, sie bei mir nichts lesen können, dafür ich bei ihr. Und sie hatte in einem ihrer letzten Posts ein Gefühl in einem Satz zusammengefasst: Wenn ich auf das Jahr zurückschaue, ist da nichts..
Nichts wirklich, kein Ereignis, an das man sich zurückerinnert und noch nach Jahren noch weiß, wann da etwas gewesen ist. Schon das letzte und auch dieses Jahr fühlt sich eher diffus als erlebt an - und mittlerweile fühlt es sich auch so an, als warte man nur noch darauf, dass dieser Schleier zerreißt und alles wieder klar und wirklich wird. Zum Anfassen wirklich..

Vor ein paar Tagen war Laschet in Erfurt. Dort oben auf der Tribüne stand er und ließ zu, dass jemand ganz ungeplant zu ihm auf die Bühne sprang. Ganz nah. Zu nah? Es war Herr Lauterbach, der umgehend twitterte, das bisschen Abstand zwischen den beiden sei in Zeiten wie diesen einfach unverantwortlich.
Wo ich darüber las, weiß ich nicht mehr, ich habe meinen Twitteraccount schon vor langer Zeit gelöscht. Aber ich las es und das erste, was ich dachte, war: "Dein Ernst jetzt, Karl? Hast du echt nichts anderes zu sagen, als auf einen Abstand hinzuweisen?"
Es ist Wahlkampf, na klar. Da wird jeder mit jedem möglichen Dreck beworfen, und sei der Haufen noch so klein. Hauptsache, er trifft. 
Dennoch. Ich fragte mich: Wo werden wir hinkommen? Wohin soll diese Reise gehen, wenn das erste, woran wir bei einer Begegnung denken, nicht mehr der Gedanke ist: "Ich freu mich so, dich zu sehen", sondern "Oh Gott, hoffentlich geimpft, hoffentlich nicht zu nah"?
Wenn ich jemanden nicht mehr herzlich umarmen darf, mir stattdessen ein Fuß oder ein Ellenbogen hingehalten wird? Wenn die unterschwellige Angst immer und immer wieder befeuert wird, niemanden mehr wirklich an sich heranzulassen? Wenn die, die sich wenigstens ein bisschen Nähe und Herzlichkeit bewahren wollen, als verantwortungslos angesehen werden?

Ich bin ungeimpft, nach wie vor. Und wenn mich jetzt hier wieder jemand mit Verbalscheiße bewerfen will - bitte sehr. 
Mit dem Mann habe ich mich immer wieder mal lange über das Thema unterhalten. Er hatte sich in einem Impfzentrum angemeldet. Eine Anmeldung, die nach einiger Zeit verfiel, weil er keinen Termin vereinbarte. Er beliest sich wie ich. Er hat weniger Furcht als ich und kann sich dennoch auch nicht dafür entscheiden. Und er versteht die meine.
Sechzehn Jahre. Fast siebzehn Jahre. 
Sechzehn Jahre Kampf gegen einen Schmerz im Körper, der mich so oft nicht schlafen ließ, nicht lange sitzen, nicht lange stehen, manchmal nicht atmen ließ. So lange, bis irgendwann neurologische Auffälligkeiten eintraten. Ein Leben wie mit Watte im Kopf. Wie untergetaucht unter Wasser, Geräusche nur von irgendwoher, alles ganz diffus. Ein Gangbild, als hätte ich schon morgens 3-8 im Tee. 
Und niemand, wirklich niemand, der Dir helfen kann. Was man bisher nur von anderen kennt, erfährt man selber: Dass da viel mehr Ignoranz und Gleichgültigkeit ist als Hilfe. Ein ewiger Kampf gegen Windmühlen, den man manchmal aufgeben möchte, weil man nicht mehr kann und nicht mehr will.
Da hilft Dir einfach niemand raus - stattdessen wird Dir immer wieder gesagt, Du hättest ja vielleicht doch ein psychisches Problem. Stressbedingt. Sozialbedingt. Was-weiß-ich-bedingt.
Als wär das nicht auch normal, dass man jenseits der 30 oder 40 einen Rucksack mit sich herumträgt, in dem nicht nur Schokoladenkekse liegen. 
Nach all dieser Zeit habe ich jetzt zwei Ärzte, die mich behandeln, und das erfolgreich. Ich bin fast wieder die Alte. Ich bin fast wieder die, die ich vor dem ganzen Irrsinn war. Und ja, ich habe verdammt nochmal Furcht davor, dass ich mir das wieder kaputtmache. Mit etwas, das weder erprobt noch erforscht noch hinsichtlich einer Langzeitwirkung bekannt ist. Da brauche ich nicht mal irgendwelche alternativen oder gar dubiosen Kanäle zu bedienen - sondern einfach nur den Mainstream-Medien zuzuhören. Nicht mal täglich, aber kontinuierlich. 
BTW: Ich lese bis heute nicht auf alternativen oder fragwürdigen Kanälen. 
Aber ich hinterfrage - bis heute. 
Und viel zu oft bleiben Fragen ohne Antworten.
Aber vielleicht will ich ja manches auch wieder zu genau wissen?
Ich weiß nur eins: Wenns schiefgeht, hilft mir kein Schwein. Kein einziges. Dann steh ich wieder ganz am Anfang, fange ganz von vorne an zu kämpfen. Nicht nur um Gesundheit, sondern auch um Akzeptanz. Noch mal sechzehn, siebzehn Jahre? Oder mehr oder weniger? 

An dieser Stelle hier hatte ich ein paar Zeilen mit meinen Gedanken zur aktuellen Situation geschrieben - und sie gerade alle wieder gelöscht. Es ist mir zu müßig und genau genommen ist es auch egal. Es ist egal, was ich denke - oder was andere Menschen denken. Wir ändern es nicht - auch nicht mit fragwürdigen Demos. Was (für mich) fehlt, ist der allgemeine Zusammenhalt. 
Menschen interessieren sich nicht dafür, warum sich jemand für die Impfung und der andere dagegen entscheidet. Alle wollen sie nur eins: raus aus dieser Situation. Und der eine macht den jeweils anderen dafür verantwortlich, dass das nicht geschieht. Es liegt aber nicht an Dir oder mir, wie lange wir in dieser Starre hängen. 
Die Stadt Rosenheim führte Ende August aufgrund ihrer Inzidenz eine Kontaktbeschränkung ein - ohne Rücksicht auf geimpft oder genesen. Sie zählten alle mit rein. Dieser Beschluss wurde dann eine Woche später wieder gekippt - mit Vorliegen der aktuellen Bayrischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung.
Und Jens Spahn äußerte vor kurzem im Hinblick auf das Testen folgendes: 

„Am Ende messen wir dann Inzidenzen von geschützten Menschen, die keinen Aussagewert haben, mit denen wir aber dann nie aus dieser Pandemie kommen. Außerdem muss Impfen ja auch noch einen Unterschied machen. Warum soll ich mich impfen lassen, wenn sich trotz Schutz um mich herum nichts verändert?“
Wenn man da mal zwischen den Zeilen liest.... Und eben nicht nur da. 

Fun Fact: Ich wollte heute Abend mal die aktuelle Inzidenz von M nachlesen. Auf der offiziellen Seite von M fand ich den Wert 56,4 - cool: Vor fünf Tagen lag er noch bei 70. Auf ner anderen Seite fand ich den Wert 79,5 und dazu die Aussage, die Inzidenz in M würde einen gewaltigen Sprung nach oben gemacht haben. Tja nun. Zwei Seiten mit zwei Werten für ein und denselben Kalendertag. Kann ich mir jetzt den aussuchen, der mir besser gefällt? Meine Freundin meinte: "Mach doch Schnick-Schnack-Schnuck" und ich antwortete "Ich glaub, das haben schon andere für mich gemacht." 

Vor etwa drei Wochen war ich bei meinem Rheumadoc. Er überlegte, ob er zusätzlich zu den Spritzen doch wieder vorübergehend Cortison in niedrigerer Dosis hinzufügt. Und sagte: "Ich geh doch mal davon aus, Sie sind inzwischen durchgeimpft."
Und ich antwortete: "Nein, das bin ich nicht. Ich konnte mich noch nicht dazu durchringen."
Meine Entscheidung versteht er nicht und ich hab noch immer im Ohr, wie er sagte: "Eins sag ich Ihnen: Sie als Rheumatikerin kommen nicht so einfach davon, wenn Sie sich infizieren."
Natürlich gibt mir das zu denken. Allein wissen tut er es nicht. Er vermutet es. Aber er weiß es genauso wenig wie er nicht sagen kann, ob und welche Wirkung die Impfung auf meinen Körper hat. 
Hinzu kommt aber auch, was irgendwie ganz oft unter den Tisch fällt: In 1,6 Jahren Infektionsgeschehen haben der Mann und ich uns verhalten wie sonst auch in Erkältungszeiten: Hygiene, kein Umarmen Dritter, wenn mindestens einer von beiden erkältet ist. Man hört doch nicht mit Umsicht, Vorsicht und auch Rücksicht auf, nur weil man sich gegen eine Impfung entscheidet?
Konsequenz jedenfalls ist, dass der Doc Cortison nicht dazugibt. Weil Cortison das Immunsystem unterdrückt und meinen Körper damit zu einem offenen Tor für alle möglichen Erreger macht.
Das verstehe ich. Und das akzeptiere ich. Kann ich, weil ich noch die Spritzen habe, die das alles wesentlich erträglicher und besser machen als ohne. 

Der Mann und ich haben in diesem Jahr schon gewählt, per Briefwahl. Es wird sich zeigen, wie es ausgeht. Und was dem dann folgt. Ich denke, da kommt eine Menge Veränderung auf uns zu. 
Da sind eine Menge Ideen von verschiedenen Leuten, auch viele Ideen, von denen man sich fragt, wer das alles bezahlen soll - und eigentlich weiß man die Antwort darauf schon. 
Für alles aber brauchts vor allem eins: eine florierende Wirtschaft. 

Der Mann hat Angst vor Veränderungen.
Ich manchmal auch. 

Ich hab Sehnsucht. Sehnsucht nach Meer. Ich wär jetzt gerne wieder dort. Einfach so. Dastehen. Am Ufer. Augen schließen. Für einen Moment einmal mehr aus dem Gedankenkarrussel aussteigen. Die Augen wieder öffnen. Durchatmen. Weitermachen. 

Mittwoch, 11. August 2021

....denn manche Bindungen sind für immer.


Liebe W.W.,

ich weiß, wir hatten uns eigentlich versprochen, dass wir zurückkehren würden zu Stift und Papier. Dass wir einander wieder schreiben würden so wie schon einmal vor vielen Jahren, als ich noch Deine Handschrift bewunderte und mich fragte, wie man so schreiben kann, ohne einen halben Tag für nur einen einzigen Satz aufwenden zu müssen. 
Aber weißt Du... Dieses Versprechen ist jetzt genau 9 Monate alt. Und weißt Du, manch eine bekommt in dieser Zeit ein richtiges fertiges kleines Kind so mit allem Drum & Dran, zehn Fingern, zehn Zehen und so. Wir nicht. Wir schaffen in all der Zeit nicht mal eine einzige Zeile und auf meine kleine Grußkarte aus dem kleinen pittoresken Badeort hast Du natürlich auch nicht reagiert. Ich fürchtete irgendwie schon, Du seist mir ein weiteres Mal abhanden gekommen, ausgewandert vielleicht, ausgewildert womöglich gar - und nichtsdestotrotz packte ich vor einigen Tagen ein kleines Päckchen zusammen. Du hattest nämlich Geburtstag. Vor - ich glaube - zwei Jahren widmete ich Dir hier ganz pünktlich einen ganz persönlichen Post. Aber weißt Du, dieses Jahr ist irgendwie der Wurm drin, ich weiß ja auch nicht so recht. Dem eigenen Bruder gratuliere ich geschlagene vier Wochen zu früh, Dir zwar pünktlich, wenn auch auf die allerletzte Minute beinah - aber das kleine Überraschungspäckchen erreicht Dich dann eben trotzdem einen Tag zu spät. Ein bisschen konsterniert hatte ich ja schon auf Deine Reaktion geschaut, die sich da in meinem Sperrbildschirm breitmachte. Von wegen "Na endlich!!" und ich dachte: Watt willse? 
Mit dem Öffnen des Nachrichtenfeldes jedoch besah ich das ganze Drama und musste dann doch auch irgendwie ein bisschen lachen. Es ist ja nicht so, dass die Erklärung des neunmonatigen Schweigens nicht auch doch zu Dir passen täte, von wegen so mit zerdeppertem Handy und kein Backup und all sowas, nun ja. Im Gegenzug könnteste mir ja auch vorhalten: Du Eule, schreib einfach eher und nicht erst nach 9 Monaten. Womit Du ja irgendwie wiederum auch recht hättest - aber ich rede mich ja doch ganz gerne mal aus heiklen Situationen heraus und beteuere, dass echte Bindungen ja irgendwie auch nicht gleich bedeuten, dass man sich jeden Tag schreiben oder gar sehen muss. Die Verbindung im Herzen, nicht wahr, die gibt es ja schließlich immer noch - und Du weißt auch ziemlich gut, glaube ich, dass ich Dich genau da überall mit herumtrage, von Nord nach Süd und Ost nach West und auch wieder zurück. 
(Habe ich da jetzt eigentlich gekonnt die Kurve gekriegt?)

Immerhin ist die Überraschung jetzt bei Dir - und Du schreibst mir, Du hättest gelacht und geweint zugleich und Dich einfach nur gefreut, alles ausgepackt - nur die Karte, die musste der C. Dir vorlesen, weil Du Deine Brille nicht finden konntest (Warte mal... C.? Hieß der junge Mann echt so, der Dich zu mir auf den Weihnachtsmarkt gebracht hatte? Oder gibts da was, das ich noch nicht weiß?).
Und wieso Brille? Bist Du jetzt auch schon soweit?
Moment.. Was ist das da für ein Bild vor meinem inneren Auge? Wir in dicken, hautfarbenen Thrombosestrümpfen mit ausgeleiertem Bund (ja genau, wenn schon, denn schon), mit Zahnprothesen und wildem grauen Haar.. Wir, die mit arthritischen Fingern versuchen, ein paar Anekdoten auf das Papier zu bringen, während wir ein bisschen lachen, weil wir uns vorstellen, wie sich die andere grad mit der einen Hand verzweifelt den Wollstrumpf überm Thrombosestrumpf hochzuziehen versucht, (frieren im Alter sei bekannt, sagt man), während sie mit der anderen Hand den Brief hält und versucht zu lesen. Was ja immer schwieriger wird, nicht wahr, Arthritis und Schönschrift, eine unglückliche Beziehung ohne Happy End - ganz im Gegensatz zum wahren Leben ihrer Besitzer..
Und denke mal  nicht, ich sei schon ganz komplett auf den Kopf gefallen - denn Du antwortest auf alles, nur nicht auf die Frage nach C. - aber Frollein, so kommst Du mir nicht davon. Ich habs in den Fingern, aber nicht im Kopf! 
Warte mal.. Was schickstn Du da? Oh ein Bild! Na gugge. Du und C., im Bett auch noch (Ihr tragt jetzt Sachen beim Sex? Ist es jetzt schon soweit?), aber warte mal, ja also C. - tatsächlich, das war doch der vom Weihnachtsmarkt, ich erkenn den wieder! 
Was schreibste? Du hättest das nicht absichtlich nicht beantwortet? Okay, kann man ja auch mal vergessen, alles klar. Wer schon ne Brille braucht, dem ist auch das Vergessen nichts Neues. 
Wie? Was haste gesagt? Jawohl, ich sprech da aus ein ganz klein wenig Erfahrung. Aber wirklich nur ein mimi-bisschen. 

Weißt Du, ich bin übrigens gestern morgen mit genau diesem Song von da oben ins Office gefahren. Ach was soll ich Dir sagen, die Sonne schien, es war schon am Morgen warm und diese Musik dazu - da habe ich mich einfach wieder gesehen. Das Funkeln in den kajalumrandeten blauen Augen, das damals noch blonde Haar zusammengezwirbelt und die feinen Härchen bezwungen, die sich hier und da wieder aus dem Haargummi lösten, den Kaugummi zwischen den Zähnen und die geile Jeans vom Bruder geborgt, weil, Du weißt ja, Kind des Ostens, die Eltern wenig Geld, ach na ja und überhaupt das ganze Gedöns von Planwirtschaft, die irgendwie nie recht in die Pötte kamen und eifrig hässliche Jeans imitierten, während sich der Geschmack der Jugend schon längst wieder in eine ganz andere Richtung gedreht hatte.
Und kennst Du noch diese Kassettenrecorder, wo wir immer und immer wieder zu unserem Lieblingslied zurückspulten, bis das Band irgendwann nicht mehr wollte und irgendwo hängenblieb und wir den Bleistift herauskramten - weil nichts die Stimmung trüben durfte, wenn man sich des Nachts in das wilde Getümmel warf und froh war, aus dem Alter raus zu sein, wo man sanft, aber bestimmt um Mitternacht vor die Tür geschoben wurde. Jugendschutz und so, na ja. 
("Hauptsache, du bist nicht erst Mitternacht zu Hause." Natürlich nicht Mitternacht. Ich Revoluzzer, es zwar zwei Uhr morgens und alles war dunkel im Haus und ich dachte, ich könnte mich unerkannt in mein Bett schleichen - aber denkste. Da saß die Mama in der guten Stube auf dem Sofa bei einer kleinen Kerze und rauchte eine nach der anderen, bis das Frollein Tochter ganz vorsichtig die Klinke herunterdrückte - ja und da gabs dann eben auch erstmal ordentlich Schmorze.)
Früher wurde ja überhaupt auch viel geraucht, irgendwie hat mir das damals gar nichts ausgemacht, jedenfalls nicht aufm Tanzboden - auch wenn ich selber nie einen solchen Stengel zwischen den Lippen hatte. Man hat sich einfach in das Getümmel geworfen, die Wangen gerötet vom Glas Stimmungswein, das man daheim noch schnell leergetrunken hatte, beschwingt von der Musik, die so verdammt Lust auf Nacht und Begegnungen machte. Überall Gesichter, Menschen, die tanzten, versuchten zu reden oder einfach nur einander die Zungen in den Hals steckten. Viele Blicke sind mir nicht gefolgt, ich war niemand, der auffiel, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Ich denke, ich bin auch heute immer noch die für den zweiten oder auch dritten Blick; irgendwann bleibt er halt hängen, wenn dann kein anderer mehr da ist. Aber der eine oder andere ist mir eben doch gefolgt - und hängengeblieben. Ach Gott ne, wie aufgeregt man da war. Und ich, ich war ja damals auch wie so ein offenes Buch, nicht wahr, alles konnteste mir im Gesicht ablesen - einfach! alles! 

Fast komme ich mir vor wie so ein altes Frollein, das allein mit ihren Katzen lebt, ein bisschen wundersam geworden, bunte Kleider, bunte Haargummis, bunte Murmeln im Kopp - die auf ihr Leben zurückschaut, in Erinnerungen schwelgt, als wär mein Leben schon fast vorbei; die ab und an mit sich selber spricht und auch immer noch über sich selber lacht.
Vielleicht werde ich ja mal so, vielleicht wird aber alles auch ganz anders - und wer weiß, wenn wir unsere Männer überleben sollten (also meiner wünscht sich das, dass er vor mir gehen darf, damit die ganze Scheiße des Bestattens und Betrauerns an mir hängenbleibt), aber dann hauen wir vielleicht erst nochmal richtig auf die Pauke? Und kaufen uns vom Erbe *kreisch* das heißgeliebte Cafe, zanken ein bisschen über die Einrichtung, weil Du wieder alles perfekt haben musst, während ich noch immer die Meisterin des Improvisierens geblieben bin - aber am Ende wird doch alles so, wie wir uns das vorgestellt und in den bisher ungeschriebenen Briefen (neun Monate, Frollein, ich wollts nur nochmal gesagt haben!) wieder und wieder ausgemalt hatten. 

Nur um eins bitte ich Dich: Schleppe mich bitte niemals an den See, in den Du Dich da so verliebt hast. Ich gönn Dir ja von Herzen Deine Liebeleien, aber weißt Du, es gibt nur eine einzige Leidenschaft - und die gehört dem Meer. Jedenfalls meine. Dem Mann habe ich es erst letztens wieder angedroht geschworen: Ich bleibe nicht für immer in M., ich geh sonst auch alleine wieder weg. 
Also egal, was Du Dir ausguckst, gucks Dir nicht an so einem See an, der noch weiter vom Meer weg ist als ich es jetzt schon bin. Ich war doch grad erst wieder dort, ich habe es gefühlt, ich habe es geschmeckt, ich habe es genossen, diese abertausenden Prickelperlen der Schaumkronen auf meiner nackten Haut; ich habe es geliebt, mich in die Wellen zu werfen, ungeachtet des Lidstrichs, der mich hernach aussehen ließ wie der leibhaftige Küstenpanda. Es gibt einfach nichts Vergleichbares, einfach gar nichts, glaub mir. Noch heute, nach all den Jahren ist es immer noch ein Nachhausekommen, ein ich-öffne-die-knarrende-Tür-und-bin-wieder-angekommen. Der Korb mit den Äpfeln auf dem Steingutboden, der Geruch nach frischer Wäsche und vielleicht nach ein bisschen Zimt und Vanille von Gebackenem. Die weißgetünchten Wände mit den Fotos von glücklichen Gesichtern der vergangenen Jahre - und wenn ich in den Spiegel schaue, dann will ich nicht eines dieser glattgezerrten, glattgespritzten Einheitsgesichter sehen. Nein, dann will ich es sehen, dieses Funkeln von einst in den immer noch blauen Augen, die inzwischen eingebettet sind in all den Runzeln, die ihre Geschichte erzählen. Die meine Geschichte erzählen von einem gelebten Leben voller Glück und voller Liebe, auch von den Nächten, in denen man voneinander abgewandt und voller Groll gelegen hat, bis man irgendwann darüber einschlief, weil es manchmal so arg schwer ist, nur die Hand auszustrecken und zu sagen "Sei einfach wieder gut"... Von den Zweifeln, die man an manchen Tagen zwischen den Zähnen hin und her zerreibt wie ein zähes Stück Fleisch, ob das jetzt wirklich alles so das Richtige ist, was man da so macht und getan hat - und dann doch morgens die Augen öffnet und in das geliebte Gesicht schaut und denkt: Das ist genau das, was ich sehen möchte, wenn ich die Augen öffne...
Ich wollte noch niemals, dass etwas perfekt ist - weil ich es langweilig finde. Weil Perfektionismus nichts ist, an das man sich reiben und auch wieder aufrichten kann. 

Es gibt nichts Faszinierenderes als das Unperfekte, das man immer wieder neu entdeckt. 

Du hattest einen glücklichen Geburts-Tag - das ist genau das, was ich Dir von Herzen gewünscht hatte. Es freut mich wirklich ganz sehr - und es freut mich ganz eigennützig noch mehr, dass Du mir nicht abhanden gekommen bist ♥️

Dienstag, 29. Juni 2021

Unbekannt verzogen

In diesem Jahr hatte der Mann partout keine Idee, mit was er mir zu meinem Geburtstag eine Freude machen könnte.
"Du kaufst dir ja eh alles, was du brauchst", meinte er und ich lächelte: "Zum Geburtstag würde ich mir auch nie was wünschen, was ich brauche." 

Er und auch Freundinnen mögen meine Ideen, sie zu überraschen.

Aber ich bin auch genauso schon seit vielen Jahren nicht nur in meiner Familie dafür bekannt, dass ich zwar an Geburtstage denke, auch pünktlich sogar - aber das Gratulieren meistens auf den Abend verschiebe, wenn man dann Ruhe hätte zu telefonieren - und den einen oder anderen dann doch vergesse. Ja, dafür schäm ich mich und ja, daran arbeite ich. Jedes Jahr und mit jedem Geburtstag neu!

Glücklicherweise gibts ja in digitalen Zeiten auch Medien, die uns daran erinnern. Mein Kalender im Handy beispielsweise ist gut bestückt. Offensichtlich rutscht aber auch da mal was durch - denn es war Facebook, das mich gestern doppelt daran erinnerte, dass mein kleiner Bruder Geburtstag hat.
Ich fragte den Mann per whatsapp, ob ich bis abends warte und wir dann gemeinsam gratulieren.
"Ja gerne!"
Am Abend erinnerte mich der Mann dann auch noch mal dran.
Für gewöhnlich rufe ich dann auch immer an. Innerhalb der Familie fände ich es schändlich, nur zu schreiben.
Gestern Abend - und das haben wir beim Bruder noch nie gemacht - entschlossen wir uns aber zu einem Videocall und dazu, ihm ein Ständchen vorzusingen. 
Als des Bruders Antlitz auf dem Bildschirm erschien, begannen wir zu singen und fast sofort hörten wir seine Frau, wie die im Hintergrund anfing zu schrei-lachen. Wir haben trotzdem tapfer bis zuende gesungen, während er die ganze Zeit schmunzelte und dann arschtrocken meinte:
"Gut gesungen - aber Ihr wisst schon, dass ich erst in vier Wochen Geburtstag hab?"
In diesem Moment wusste ich, warum ich den ganzen Tag irgendwie irritiert gewesen war.
"Facebook hat da was durcheinander gebracht, mir gratulieren schon den ganzen Tag alle möglichen Leute", erzählte er, nachdem wir alle ein bisschen gelacht hatten und der Mann mich beschuldigte, nicht mal zu wissen, wann mein Bruder Geburtstag hätte - und dass wir jetzt auswandern müssten.

"Umziehen reicht bestimmt auch", gackerte ich, "unbekannt verzogen!" 

"Aber macht euch nix draus, [die jüngere Tochter] hat mich auch schon angerufen, um zu gratulieren! Und die müsste es ja nun auch wirklich wissen."

Und was sagt uns das? Dass Facebook schuld ist? Ne.
Analog zu sein ist auch in modernen Zeiten wie diesen nicht immer das Rückständigste.

Freitag, 25. Juni 2021

Und da ist sie...

 ...die Million.

Nicht auf meinem Konto - leider! :) - aber hier in den Leserzahlen, hab es grad gesehen.

Ich danke Euch allen wirklich ganz von Herzen, die mir all die Jahre "die Treue hielten", die hier mitlesen und mitgelesen haben, die teilgenommen haben (mehr oder weniger ;)) - dafür, dass ich Euch habe. 

Jetzt könntsch irgendwie doch wieder e bissl wie heulen, aber wie gesagt: Der Lidstrich ist noch relativ frisch und ordentlich, und das sollte schon noch so bleiben. Bis heut Abend wenigstens, bis zum Abschminken. 

Danke, Ihr Lieben ♥️

Talk to Me


Einer der Gründe, warum ich es in meiner Ehe nicht mehr aushielt, waren die immer wiederkehrenden verbalen Ausfälle. Am Anfang hat es immer nur geschmerzt, in der anschließenden Phase verteidigte ich mich - und in der Schlussphase zuckte ich nur noch die Achseln. Das war eine meiner Erkenntnisse aus jener Zeit: Wenn dir etwas nicht mehr weh tut, dann bist du spätestens dann damit durch und hast abgeschlossen. 

Mit Worten ist es - wie ich finde - wie mit der Musik: Sie können alle deine Wunden heilen - und sie auch alle wieder aufreißen. 
Und wieder und wieder stelle ich fest, dass manche Menschen sich der Kraft ihrer Worte nicht bewusst sind. Sicherlich ist das auch abhängig von der eigenen Felldicke. Jedoch wenn Jahr für Jahr immer und immer wieder auf dieselbe Stelle eingehauen wird, dann wird an dieser Stelle das Fell dünn. Sehr dünn. Und eines Tages kann ich Verbalausfälle nicht mehr tolerieren - und muss es auch nicht. 

Ich überlege, wie ich es so formulieren kann, dass Beteiligte geschützt bleiben - und versuche es so: 

Person A trägt eine Forderung an dich heran und du übernimmst sie, weil sachlich und faktisch alles zusammenpasst, einen Sinn ergibt. Du erinnerst dich zwar, dass da doch noch etwas war, du lächelst auch und schmunzelst in dich hinein - aber du hinterfragst es nicht bei Person A. Musst du eigentlich auch nicht - weil wie gesagt, es passt alles - und außerdem hast du ja die Forderung von Person A erhalten.
Im Nachhinein jedoch stellt sich heraus, dass Person A etwas übersehen hat, etwas ganz Gravierendes. Was dann passiert, kann man sich kaum vorstellen.
Du weißt seit vielen Jahren, dass Person A nur nach außen so selbstsicher tut und wirkt  und es in ihrem Inneren völlig anders aussieht. Du kennst das alles, du hast das in deiner eigenen Ehe bis zum buchstäblichen Erbrechen erlebt und erfahren - in all seinen negativen Facetten. 
Insofern überrascht dich der Anruf an jenem Abend nicht - aber was du dir in diesem Telefonat alles sagen lassen musst, was in dieser halben Stunde über dich ausgegossen wird... Auch das erkennst du wieder, du kennst diese Muster, dass schwache Menschen jegliche Verantwortung für ihr eigenes Fehlverhalten nicht übernehmen können und wollen - allein das Wissen hilft dir jetzt auch nicht. 
Du weißt nur, dass, egal, was du jetzt sagst, alles nur noch schlimmer werden würde. Also bleibst du ruhig und still, sagst nur ganz wenig oder gar nichts - und hörst dir die ganze Scheiße von A bis Z an.
Es vergehen nur wenige Tage, in denen es unfassbar in dir arbeitet. Du schläfst schon seit Wochen schlecht, kannst nicht mehr wirklich abschalten - und kaum hatte sich dieser Umstand etwas beruhigt, genügt ein erster Anruf, um alles wieder aufzureißen.
Und die Kreise ziehen sich, weiten sich aus - und letzte Nacht stehst du irgendwann gegen ein Uhr auf und schreibst eine E-Mail an Person A. Kurz und knapp - aber unmissverständlich. Du stellst dich damit auch vor Person B, weil die am allerwenigsten dafür kann. 
Eine E-Mail deshalb, weil du derzeit nur die Möglichkeit zu telefonieren hättest, um Person A zu erreichen - und weil du weißt, dass dir entweder das Wort abgeschnitten oder einfach aufgelegt wird. 
Also schreibst du nachts mit zitternden Händen ein ganz kurzes, klares Statement - und schließt ab, während du dich wieder in dein Bett legst und versuchst, für den Rest der Nacht wenigstens noch ein bisschen Ruhe zu finden. Erst im Gespräch mit Person B bröckelt deine nach außen ruhige Fassade, und als du aufgelegt hast, weinst du so lange, bis du aufstehst und dir einen Lidstrich ziehst: Ab jetzt keine einzige Träne mehr, sonst verläuft ja alles. 

In den vergangenen Wochen habe ich mich hin und wieder gefragt, woran es liegt, dass die Haut so dünn geworden ist. Liegt es am fortschreitenden Alter - oder einfach daran, dass es Dinge gibt, die nicht sein können und auch nicht sein dürfen, und dich ein gewisses Maß an Lebenserfahrung deine eigenen Grenzen neu stecken lässt? Auch fragte ich mich: Wie viele Spritzen soll ich mir setzen, wie viele Medikamente soll ich nehmen, wie viel Sport soll ich machen, um gut über den Tag zu kommen, wenn dir an einer Stelle wieder und wieder deine Energie abgesaugt wird? Für Dinge, für die du mitunter nicht mal wirklich etwas kannst.. An denen du selber oft nicht mal beteiligt bist? Ich habe mittlerweile die offizielle  medizinische Bestätigung, dass die körperlichen Beschwerden keine psychische Ursache haben - aber mir ist durchaus bewusst, dass dieser Druck im Kopf das Ganze nicht besser macht und auch nicht positiv beeinflusst. 

Ich habe durch Person A eine ganze Menge erfahren, für die ich ihr wirklich sehr dankbar bin.
Dieser Umstand hat mich über so einige Jahre "gerettet", in denen ich mich längst lösen wollte. 
An dieser Dankbarkeit würde auch ein finaler Bruch nichts ändern. Nur wenn ich nicht nur an mir selbst feststelle, dass Person A mich nach und nach in meinem eigenen Inneren zerstört, dann müssen Konsequenzen über dieser Dankbarkeit stehen. 
Wie sagt Person B immer so schön? "Dafür ist mir meine Lebenszeit zu schade."

Vor 18 Jahren habe ich mich von meinem Ehemann getrennt, damit ich nicht aufhörte zu existieren.
Es hat viel Arbeit gebraucht, um mich von diesen Jahren zu lösen, die Schale aufzubrechen und hervorkommen zu lassen, was und wer ich wirklich bin.
Und ich habe keine Lust, mir das alles systematisch wieder zerstören zu lassen. 

Letztens sagte jemand zu mir: "Ich hätte schon vor zehn Jahren mein Leben ändern sollen."
Ich antwortete darauf: "Das kannst du jetzt nicht mehr ändern. Aber sei doch froh, dass du dein Leben jetzt geändert hast. Stell dir vor, du wärst am Lebensende angekommen und müsstest dir sagen: Hätte ich doch nur. Aber jetzt kannst du genießen, was du hast."
Und dasselbe habe ich aber auch vor. 

Donnerstag, 17. Juni 2021

you were good to me



Irgendwo hatte ich mal gelesen: "Musik heilt deine Wunden, und reißt sie alle wieder auf."
Aktuell ist es so, dass sie meine Seele heilt. Wenn es noch ein bisschen dauert, bis ich wieder am Ufer des Meeres stehen kann, die Augen schließe, den Kopf in den Nacken lege, die Arme ausbreite, um ganz tief einzuatmen - dann muss es jetzt für den Moment die Musik sein.. 

..ich freu mich so, so sehr auf das Meer, ich freu mich so, so sehr auf die Tage dort. Ich freu mich unfassbar sehr auf diese Auszeit, ich mag barfuß durch den Sand laufen, die Sandalen in den Händen schlenkern, mir den Wind in den Haaren wuseln lassen. Hier und da einen Crepe essen vielleicht, ein Käffchen trinken sowieso, ich mag liebgewordene Plätze besuchen und neue erkunden. 
Ich mag eintauchen in das Meer, die unendliche Weite erahnen, mit kraftvollen Bewegungen durch das Wasser gleiten, nichts tun müssen, aber wollen.. mich treiben lassen und mir abends den Sand aus den Haaren waschen.. Ich liebe den Geruch frischer Haut und frischer Wäsche.. Ich liebe es, beim Autofahren das Fenster herunterzulassen und den Wind durch die gespreizten Finger fegen zu lassen, die Musik aufzudrehen, mitzusingen.. Am liebsten sind mir die Momente, in denen wir beide mitsingen.. 

Gut eine Woche war ich jetzt hier in L, nachher werde ich in aller Ruhe meine Sachen zusammenpacken, noch einmal überall ein wenig Ordnung machen, bevor ich morgen früh das Haus verlasse. An der Situation der letzten Wochen hat sich nichts verändert, alles ist nach wie vor noch genauso belastend, anstrengend, bedrückend, doch meine Seele erholt sich grad wieder. So ist es irgendwie immer gewesen: Ich kann eine ganze Menge ab, bevor es mich dann doch in die Knie zwingt, - aber für gewöhnlich dauert es nicht wirklich lange, bis sich mein inneres Ich wieder ordnet und sortiert und mit neuer Kraft wieder aufsteht. Wenn ich wenigstens ein was in den letzten Jahren gelernt habe, dann, dass ich meine Grenzen respektiere. Dass ich mich mit mir selbst beschäftige, in mich hineinhöre im Sinne von "Was braucht es jetzt, um wieder aufzustehen?" und das dann aber auch so mache. 

Wenn ich morgen nach Hause komme, gehören der Rest des Tages, der Abend und die Nacht mir ganz allein - und darauf freu ich mich. Ich bin gerne mal allein. Für mich selbst. Nicht gefordert werden, nicht sprechen müssen, nichts tun müssen. Mich wie früher auf dem Holzfußboden ausstrecken, die Augen schließen und die Vibration jedes einzelnen Klanges aufnehmen. Spüren, wie die Klänge auf der Haut tanzen, die Härchen sich aufrichten. In solchen Momenten kann ich überall dort sein, wo ich gerade sein will. Ich kann mich überall hindenken, hinfühlen - und zurückkommen und noch immer ganz beseelt sein von den Bildern, die in meinem Kopf wohnen. Es sind diese Bilder, aus denen ich  meine Energie ziehen kann, die mich tragen, für heute, für morgen. Diese ganz privaten, persönlichen Rettungsinseln, für die ich nichts brauche.. außer Zeit mit mir selbst.. und Ruhe um mich herum.. 
Ich empfinde das als meinen ganz persönlichen Reichtum, der mir nicht genommen werden kann.

Donnerstag, 10. Juni 2021

Die Summe aller Dinge


Durch das Lesen verschiedener Postings hab ich auch immer wieder in meinen eigenen Blog geschaut und schon auch registriert, dass ich ein Weilchen nichts mehr geschrieben hab. Sicherlich gabs Momente, in denen ich dachte, ich müsste das jetzt mal aufschreiben - und am Ende eines Tages war ich dann doch irgendwie zu müde, innen wie außen.

Es war.. irgendwie zuviel.
Und es war zuletzt keine gute Zeit. 
Erst gestern Abend debattierte ich mit einer Freundin und merkte an, dass sie  - für mein Empfinden - irgendwie nur noch damit beschäftigt sei, zu allen möglichen Ärzten zu gehen. Hier ist was, dort ist was, im Blut eine Abweichung, dort ein Normwert latent überschritten. Manche Dinge sind vielleicht aber auch wie sie sind, ohne dass deshalb auch gleich irgendwelche Erkrankungen dahinterstecken müssen. So wie eben der eine große Ohren, der andere kleine Ohren hat. 
Sie meinte daraufhin, sich jahrelang nicht um sich gekümmert zu haben - aber eben jetzt.
Was mich zur spontanen Frage bewegte, ob das "sich um sich selbst zu kümmern" tatsächlich meint, permanent in sich selbst hineinzuhorchen und alles und jedes zu hinterfragen? 
"Wäre es nicht eher Zeit, loszulassen und sich mehr auf das Leben zu konzentrieren?" fragte ich sie - und ich fragte das auch mich. 

In den letzten Wochen hab ich eine ganze Menge einstecken müssen. Dass es dabei fast niemals um mich ging, hat mir vermutlich geholfen, das überhaupt so lange Zeit aufnehmen und irgendwie "wegstecken" zu können. Aber eines Tages war dann der Punkt erreicht, an dem ich eben nichts mehr aufnehmen konnte. Ein Zeitpunkt, an dem dann auch mir Fehler unterliefen. Keine gravierenden, keine, die Geld oder Ansehen oder überhaupt irgendetwas kosteten - aber Fehler, die an mir nagen, weil sie vermeidbar wären, würde mein Kopf sich nur ein bisschen freier fühlen. Und Fehler, die das Gegenüber vergessen lassen, was man an den anderen 362 Tagen leistet. Ganz gleich, ob es sich um dienstliche Belange oder mentalen Beistand handelt. 
Man ist einfach nichts mehr, wenn man nicht an 365 Tagen seine einhundert Prozent perfekt abliefert. 
Es ist nicht so, dass ich das nicht kenne - aber derzeit werden meine Grenzen wohl neu gesteckt. 
Das waren Tage, an denen ich noch vor sieben Uhr zu Bett ging, völlig hinüber und innen wie außen erschöpft, ich mich gar nicht so selten in den Schlaf weinte und mich dann ab etwa drei oder vier Uhr ruhelos hin und her wälzte. 
Ich konnte mich zu nichts mehr aufraffen, kein Buch lesen, kein Spiel zocken, keine Musik hören, keine neuen Steine bemalen - nichts. Nichts, das mir irgendwie inneren Frieden verschaffen konnte. Das Miteinander mit dem Mann - ein stilles Miteinander, in dem er respektierte, dass die Zeit grad keine gute Zeit war. Ein Miteinander, in dem er sich dann und wann sorgte und sich vermutlich fragte, wann ein Zuviel auch tatsächlich zuviel war. Ein Miteinander, in dem er sich durchaus zurücknehmen konnte, andererseits aber auch spüren wollte, dass ich ihn immer noch wahrnehme. Als Mensch, als Partner - und als Mann. 

Es waren Wochen, in denen ich spürte, wie dünnhäutig ich sein kann.
Auf die Nachricht, dass mein Kollege ganz überraschend in der Reha verstorben ist, reagierte ich, indem ich einen ganzen Tag lang weinte. Das Leben im Office geht weiter, als wär nix passiert, während ich ihn immer noch vor mir sehen kann, mit dem breiten Grinsen und seiner Zahnlücke. 
Ich spüre, was es mit mir macht, wenn über Mitmenschen gelästert wird, wenn regelrecht schlecht über Mitmenschen gesprochen wird - und ich ertrage es nicht mehr. Nicht die Art und Weise, nicht die Wortwahl. Es widert mich an.
Wenn man ein Problem mit jemandem hat, geht man hin und sagt ihm das - oder man lässt es und hält einfach sein Maul. 
Ich ertrage es nicht mehr, wenn Menschen, die alles haben, sich über andere erheben, die nicht soviel haben, oder sich einfach für einen anderen Weg entschieden hatten. Es muss nicht jeder alles können.
Ich ertrage es nicht mehr, wenn Menschen Verantwortung übernehmen - und sich genau darüber tagtäglich beklagen und auslassen. 
Kann man nicht einfach nur mal dankbar sein, verdammt?

"Wäre es nicht eher Zeit, loszulassen und sich mehr auf das Leben zu konzentrieren?" habe ich gestern Abend meine Freundin gefragt - und ich beziehe diese Frage auch auf mich, wenn auch aus anderen Gründen. Vielleicht gelingt mir nicht immer der Spagat zwischen Zuhören und Abgrenzen. Aber mein Akku ist leer, verdammt leer. Leergesaugt von Menschen, die das nicht achten, nicht zu schätzen wissen.

Am Samstag fährt der Mann für ein paar Tage weg und ich hab mich entschieden, nach L zu fahren. Ohne ihn fühl ich mich hier irgendwie.. verloren.. ängstlich beinah - ein komisches Gefühl. In meiner Wohnung in L geht mir das kurioserweise gar nicht so - hier schon. 
Und im Juli fahren wir ans Meer. Endlich, endlich wieder ans Meer. Wie sehr ich eine Auszeit brauche, spürte ich vor etwa zehn Tagen, als ich morgens erwachte und am ganzen Körper zitterte - und das auch den ganzen Tag lang so blieb.
"Ich möchte dann bitte auch wirklich Urlaub haben", sagte ich zur Kolleginfreundin. Was bedeutet: nur Anrufe, wenn sie wirklich unumgänglich sind. 

Vor wenigen Tagen hatte ich Geburtstag. Wieso ich das dachte, kann ich nicht mal beantworten, aber ich sagte mir: "Wenn es kein schöner Geburtstag werden sollte, dann werde ich mich einfach umschauen, ob ich irgendwo ein paar Tage ans Meer fahren kann - und dann mache ich das auch, ganz alleine." Auf der Rückbank in der Tasche nur ein paar Kleidchen, Sandalen, Bücher und meine Musik. Und dann hätte ich in diesen paar Tagen niemanden hören, niemanden sehen wollen, sondern einfach nur mal an mich gedacht - und es mir gut gehen lassen.
Während ich das hier grad so aufschreibe, überkommt mich grad so eine Ahnung, warum ich im Moment so denke und fühle: weil ich so müde bin. So unfassbar müde, dass ich mich kaum über etwas richtig freuen kann. Ich lächle, ich lache, ich umarme - aber in mir drin.. ist Müdigkeit. Und das muss ich ändern. Wenigstens kann ich jetzt schon wieder Musik ertragen. 

Freitag, 30. April 2021

Anekdötchen zum Freitag

Auf dem Geschäftskonto befindet sich eine Abbuchung der Pinkfarbenen, die niemand wirklich zuordnen kann, weil die Rechnung dazu fehlt. (Stimmen meinen ja, der Chef hat sie bloß verbummelt, weil er der einzige ist, der sich erinnern kann, sie mal gesehen zu haben. Aber gut.)

Also nehme ich mir den Kontoauszug, hänge mich in die Leitung und bin nach sage und schreibe zwei Minuten am Bearbeiter dran. Von wegen Früher war alles besser! :)
Er prüft, wundert sich, verspricht mir eine Umstellung von Papier- auf PDF-Versand (der treue Leser erinnert sich vielleicht, was das vor Jahren für eine scheiß Verrenkung war, weil sich das online partout nie einrichten lassen wollte) und die Nachsendung einer entsprechenden Kopie.

Er: "Haben Sie sonst noch irgendwelche Wünsche zu dieser Rufnummer?"

Ich: "Nein, vielen Dank, sonst passt alles."

Er: "Weil, ich kann ja mal gucken... Warten Sie mal... Ach Gott, bloß ne Sechstausender Leitung... Das kann man doch optimieren."

Ich: "Ne, kann man nicht, das geht dort in dem Ortsteil nicht, das wird erst noch ausgebaut, das Netz."

Er: "Na ja, aber ehrlich, sechstausend.. Normal geht unter Minimum Sechzehn nix mehr."

Ich: "Ja das stimmt, mit Sechs fange ich auch gar nicht erst an."

Stille.

Er räuspert sich, ich kriege einen roten Kopf. Wenigstens sieht er den nicht!