Im Januar 2014 haben der Mann und ich beschlossen, dass wir zusammenziehen. Nach all der Zeit, all den Höhen und Tiefen, den On-and-Offs unserer Beziehung haben wir entschieden, dass wir nunmehr einen Schritt weiter gehen müssten. Uns trennten etwas über vierhundert Kilometer - und wir waren beide an einen Punkt gekommen, wo wir müde geworden waren. Im Job beide voll beansprucht, jeder mit seinem Alltag - wir wussten: Wir müssen JETZT etwas entscheiden, ansonsten werden wir uns verlieren, weil uns nach gut 7 Jahren Fernbeziehung die Energie ausging.
Habe ich diese Entscheidung bereut? Nein. Ich denke, sie war wichtig für mich und auch für ihn - und auch für meine Söhne. Das einzige, was mir immer nachhing, war die Trennung von den beiden. Ich bin jetzt keine Übermama, die auf ihren Kindern hockt und nicht loslassen kann oder will. Aber ich wollte, dass es ihnen gut ging. Ich wollte, dass sie sich ihre Wünsche und ihre Träume erfüllten - und ich wünschte mir für sie, dass jemand in ihrer Nähe war, wenn es ihnen gerade nicht gut ging. Dass jemand greifbar war, wenn sie es brauchen würden.
M ist eine Stadt, in die ich mich sehr, sehr schnell eingelebt habe. Mich persönlich hat das wirklich überrascht: M ist eigentlich bekannt für Schickimicki, für sehen-und-gesehen-werden, für den schönen Schein nach außen, während es im Inneren modert. Das ist nicht meine Welt. Mich interessiert nicht, was jemand an Hab & Gut besitzt und welches Label er spazieren führt. Das beeindruckt mich nicht. Bussi Bussi und falsches Getue widern mich an, genauso wie diese Mädels mit ihren Taschen in der Armbeuge. Was mich fasziniert und interessiert, sind Menschen, keine Darsteller. Nichtsdestotrotz ging es mit M und mir wirklich rasant. Ich gewöhnte mich in Nullkommanix ans U-Bahn-Fahren, obwohl Enge und Gedränge schwierig sind für mich. Nach Japan sollte ich da vermutlich nicht auswandern wollen ;) Es gibt so einige Ecken, in die ich mich verliebte - und die ich auch vermissen werde. Aber es war immer klar: Ich werde nicht für immer in M bleiben, auch nicht dort begraben werden. Es war immer klar, dass ich notfalls auch allein wieder weggehen würde.
Das Jahr 2022 hat so einiges an Überraschungen für mich bereitgehalten. Die eine war der Antrag vom Mann - und dass wir dann auch wirklich geheiratet haben. Die andere - für mich große - Überraschung war, dass wir eine Wohnung gefunden haben und im März umziehen werden. Und zwar nicht innerhalb von M - sondern zurück nach L. Anfangs konnte ich wirklich nicht glauben, dass der Mann dazu bereit sein würde. Ich war mir sicher, dass er spätestens dann, bevor es wirklich ernst würde, einen Rückzieher machen und genug Gründe finden würde, nicht wegzugehen. Aber auch er überrascht mich immer wieder - auch nach so vielen Jahren noch. Bei unserem vorletzten Besuch in L haben wir uns gemeinsam ein paar Wohnungen angeschaut - und uns für eine von diesen entschieden. Sie hat alles, was uns wichtig war (na gut, nicht ganz, ich vermisse mein Mal-Schreib-Musik-Zimmer, also ein Zimmer ganz für mich allein). Sie liegt in einem der beliebtesten Stadtviertel in L, wir können fußläufig zur Mama oder auch auf einen Kaffee in die Innenstadt, ich habe einen entspannten Weg ins Office - und wenn der Mann seine sportlichen Anfälle bekommt, kann er sich im angrenzenden riesengroßen Park austoben nach Lust & Laune. Und ich kann jederzeit meine Söhne sehen oder sie zu mir einladen, wenn sie es möchten.
Wir haben den Zuschlag bekommen, obwohl die Wohnung von einem anderen Paar reserviert worden war. Das muss aber wohl schon länger her sein - und jetzt haben wir sie genommen und bekommen. Preiswert ist sie nicht, das muss man sagen. Aber auch hier hat mich der Mann überrascht, als er zu mir sagte: "Du hast nie wirklich schön gewohnt, ich hab nie wirklich schön gewohnt. Wir haben unser ganzes Leben lang viel gearbeitet und sollten uns jetzt einfach mal etwas gönnen." Zurück in M, kündigte der Mann die dortige Wohnung, den dortigen zusätzlichen Tiefgaragenstellplatz, fand in Nullkommanix einen Nachmieter, entwickelte Pläne und Ideen, dass selbst ich kaum hinterher kam. Und natürlich sind wir auch fast sofort in einen Ehekrach gestrandet, weil jeder von uns seine Ideen und Vorstellungen einbringen will, die - klar - nicht zu den Ideen und Vorstellungen des anderen passten. "Wir könnens auch lassen und hierbleiben", hat der Mann gefaucht. "Wir werden uns schon noch einig", hab ich geantwortet, "aber nicht dahingehend, dass alles nur nach deinem Kopf geht." "Aber auch nicht nur nach deinem!" "Natürlich nicht", habe ich breit gegrinst.
Am Freitag kommt er nach L, am Montag fahren wir zur Wohnung, geben den unterschriebenen Mietvertrag ab, messen alle Räume nochmal genau aus. Auf unserer virtuellen Liste stehen bereits eine Menge Dinge, die wir brauchen werden. Auf Instagram haben wir einige Dinge im Speicher, die uns inspirieren.
Früher war es ja immer so: Ich habe ungefähr einen Tag vor dem Umzug alles zusammengepackt, am Umzugstag alles transportieren lassen und dann bis in die frühen Morgenstunden so lange geräumt und geputzt, bis ich todmüde ins Bett fallen konnte, irgendwann später wieder aufstand und alles an seinem Platz fand: Vom Kaffeelöffel und Kaffeebecher bis zur Zahnbürste war alles an seinem Platz. So liebte ich das! Dass das hier eine ganz andere Nummer werden wird, ist mir bewusst. Fest steht für mich nur, dass es bei mir und mit mir keine Kisten geben wird, die ungeöffnet irgendwo rumstehen. Der Mann kann sowas - ich nicht. Das stört mein ästhetisches Auge *kreisch* Insofern steht auch fest, dass zwar alles schnell seinen Platz bekommen wird - aber es steht auch fest, dass wir für das Gestalten unseres neuen Zuhauses etwas mehr Zeit brauchen werden. Es muss reifen - mit all den Ideen, die wir jetzt schon haben. Im März ist es soweit, dann gehen wir weg von M zurück nach L und ich denke, dass wir im Juni vielleicht oder auch erst im Juli oder August unsere Einzugsparty feiern werden. Aber Fakt ist vor allem: Wir freuen uns beide wahnsinnig auf diesen Schritt - auch wenn ich es irgendwie noch immer nicht glauben kann - und im Gegenzug der Mann langsam Muffensausen bekommt und auch schon erste Anwandlungen von "Wollen wir nicht vielleicht doch hier in M bleiben?"
Wäre alles nach Plan verlaufen, würde ich heute Abend in M meine Tasche packen und mich morgen früh auf den Weg nach L machen.
In der Realität aber bin ich von L beim letzten Mal gar nicht erst weggefahren. Sondern buchstäblich im wahrsten Sinne des Wortes einfach liegengeblieben - mit Blick zum Fenster hinaus. Dort ist quasi das Leben an mir vorübergezogen: Sonne, Sturm, Nebel, Regen, Schnee. Begleitet von kannenweise Tee jeden Tag, Fieber, Mörder-Halsweh und Husten. Und ja, es ist Corona. Hat der Sohn aus der Klinik mit nach Hause gebracht. Ausgerechnet derjenige, der sich übervorsichtig verhält. Der Coronapatienten nur im Vollschutz betreuen darf - und auch abseits der Coronapatienten empfindlich darauf geachtet hat, nichts ohne frische Handschuhe zu berühren und sowieso niemandem näher als notwendig zu kommen. Das Bubbelchen. Woher er dann trotzdem die Infektion bekam, kann er sich partout nicht erklären. Jedenfalls meine ist von ihm und begann nachts buchstäblich von einem Moment auf den anderen mit ordentlichem Schüttelfrost.
Wie fühlt sich Corona momentan für mich an? Wenn ich ehrlich sein soll, nicht anders als früher, wenn eine Virusgrippe ihre klebrigen Griffel nach mir ausstreckte. Damit möchte ich weder etwas relativieren noch verharmlosen. So fühlt sichs einfach an. Und mir sind zwei Dinge aufgefallen: Das Schmerzlevel ist in diesen Tagen deutlich niedriger als sonst. Und ich schwitze natürlich nach wie vor, grad als das Fieber so hoch war - aber ich habe null Schweißgeruch. Ich war immer sicher, dass ich jeden Tag ein Deo nutzen muss - ohne war überhaupt nicht denkbar für mich, auch wenn der Mann noch so beschwor: "Ich weiß gar nicht, was du hast, du riechst nicht!" ICH bildete mir ein, da wäre was; also habe ich jeden Tag Deo benutzt - und aktuell brauche ich das Null. Der Junge brauchte 1,5 Wochen, um wieder fit zu sein - bei mir sinds aktuell auch 1,5 Wochen und ich bin noch nicht ganz so weit wie er. Natürlich hab ich drüber nachgedacht, warum das so ist, unabhängig von dem Bewusstsein, dass ja jeder Mensch anders mit denselben Dingen umgeht. Ich denke, dass es bei mir insbesondere an den Spritzen liegt, die ich mir seit ungefähr einem Jahr jede Woche setzen muss und die mein Immunsystem unterdrücken. Genau das Immunsystem, das ich jetzt eigentlich bräuchte. Stattdessen liegt es sozusagen in der Ecke und guckt mir knurrend wie ein widerwillig gebändigter Kettenhund zu, wie ich mich hier abmühe, meinen Feind quasi mit Wattebällchen zu bewerfen.
Der Mann schrieb vor ein paar Tagen, es erinnere ihn an unsere früheren Zeiten - er sei dort, ich sei hier, er könne sich nicht um mich kümmern und es würde zwei oder drei Wochen dauern, bis wir uns wiedersehen. Damit wird er nun recht behalten. Wenn er zu Weihnachten nach L kommt, werden wir uns drei Wochen nicht gesehen haben. Dass wir uns also nichts schenken, stimmt damit auch in diesem Jahr nicht wirklich: Wenn ich bis dahin negativ bin, wird er mein Geschenk zu Weihnachten sein. Ich empfinde das umso mehr, wenn ich sehe, was aktuell in anderen Beziehungen um mich herum los ist - und warum. Betrachte irgendwie mit Wehmut, mit einer gewissen Traurigkeit, wie Menschen miteinander umgehen. Die aneinander hängen (bleiben), weil sie Angst vor dem Alleinsein haben, Angst vor einer ungewissen finanziellen Zukunft, aus Unsicherheit. Aus allem möglichen - aber am allerwenigsten aus Liebe. Liebe ist sicherlich nicht alles - aber sie sollte der wichtigste Grund sein, zusammen sein zu wollen.
Das Jahr 2022 ist fast vorüber, fast geschafft. Viel ist passiert, ganz viel Schlimmes, viel Nachdenkenswertes - und für viele von uns auch viel Schönes. Meine Dankbarkeit dafür möchte ich nicht verlieren. Das, was wunderbar ist, möchte ich auch morgen noch sehen können, sehen dürfen - und wertschätzen. Auch im Jahr 2022 bin ich erschüttert vom Egoismus, der mich mehr oder weniger nah umgibt; von der Gleichgültigkeit und von Desinteresse an Dingen, die für bestimmte Menschen nicht uninteressant sein dürfen. Ich bin enttäuscht von manchen Menschen - und im Gegenzug positiv überrascht von anderen, auf die ich aktuell eher weniger gekommen wäre. So ist es wohl, dieses einzige Leben, das wir alle haben. Manchmal beißt man sich durch mit der Kraft eines Löwen - und manchmal kämpft man mit Wattebällchen.
Als ich mir irgendwann mal vor einiger Zeit diese Sendung mit obigem Titel anschaute, da schimpfte der Mann irgendwas von Unterschichten-TV und forderte vehement: "Mach das aus!" Er fragte mich, ob ich nichts anderes hätte, mit dem ich sinnvoll den Tag füllen könnte - und ob mir meine Lebenszeit dafür nicht zu schade sei; ihm nämlich schon.
Was mich an dieser Sendung interessierte, war jedoch der Mensch: Was ist es, das einen Menschen dazu bringt, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren? Dass Essen der einzige Mittelpunkt im Leben eines Menschen wird? Wie fühlt sich das Leben für einen Menschen an, der aus eigener Kraft teils nicht einmal mehr aufstehen kann, teils nur unter größtmöglicher Anstrengung unter die Dusche findet oder auch von Familie oder Freunden im Bett gewaschen werden muss? Was muss passieren, damit im Kopf ein Umdenken entsteht und auch der Wille: Ich muss und ich will runter von diesen dreihundert Kilo? Am meisten jedoch faszinierte mich an dieser Sendung, wozu ein Mensch tatsächlich in der Lage ist, wenn er wirklich will. Wenn er ein Ziel hat. Wie er sich durchkämpft, auch wenn es Rückschläge gibt. Und wie er sich im Gegenzug aber auch herausreden kann, wenn der Wille nicht stark genug ist.
Heute Morgen telefonierte ich mit meiner Kolleginfreundin im Office. Sie meinte was von "erstmal ein Käffchen" und fügte hinzu, dass es doch tatsächlich Kolleginnen gäbe, die den steten Vorrat an Nüssen, Gummibärchen und - ganz brandaktuell - mit Lebkuchen immer wieder auffüllten. "Da isses doch kein Wunder, wenn man hier im Büro immer breiter wird", meinte sie und ich musste derart herzhaft lachen, weil mir spontan obige Sendung wieder einfiel und ich kreischte begeistert: "Das is ja genial, dann muss ich die Sendungen nicht mehr im TV anschauen, dann haben wir das live im Büro!" Ebenso begeistert erzählte ich ihr, dass der Mann, der vergangene Woche gemeinsam mit mir in L verbrachte (aus Gründen, erzähle ich aber ein anderes Mal), von einer überdimensionalen unsichtbaren Hand in einen kleinen Tante-Emma-Laden gezogen wurde, der noch echte Pulsnitzer Lebkuchen und sowas verkauft. Als wir Freitagnachmittag wieder zu Hause ankamen, fragte ich vorsichtig an, ob die Lebkuchen eigentlich bis Weihnachten ausharren müssten oder schon jetzt zum 1. Advent entkleidet werden könnten. Letzteres wurde zwar gnädig gestattet - doch als wir Samstag unseren Einkauf erledigten, knurrte er mich an: "Wehe, du kaufst irgendwas Süßes, wir haben wirklich mehr als genug!" Letzte Nacht, als der Mann schon längst schlief und ich irgendwie noch einen Kaffeedurst entwickelte, besah ich mir im Küchenregal die süßen Vorräte und musste grinsen: Wir haben wirklich genug da. Weiß zwar keiner, wie lange, aber erstmal haben wir genug da. Wobei ich dazu sagen muss: Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass der Schrei nach Süßem im Grunde ein Schrei nach Liebe sei. Ob das stimmt, weiß ich zwar nicht, aber aktuell gelüstet es mich ziemlich heftig nach einer bestimmten Sorte Apfel - nach Süßem tatsächlich eher wenig. Was das jetzt über den Mann und mich aussagt, führe ich an dieser Stelle nicht weiter aus. Jedenfalls, Stichwort Investitionsplan der Firma: Kollegin 1 hatte um einen Laptop gebeten, damit sie auch mal von zu Hause aus arbeiten kann. Mit zwei kleinen Kindern sei sie ja doch öfter mal nicht da und könne aber dann von daheim aus was machen. (Ob sie diese Entscheidung nicht doch irgendwann mal noch bereut, wird sich zeigen ;)) Kollegin 2 hingegen meinte heute Morgen, sie bräuchte einen neuen Drehstuhl. Einen mit Stahl verstärkt, schließlich sei bald Weihnachten und aktuell damit ohnehin die Zeit, in der man mehr naschen würde und so. Wir haben beide richtig herzhaft gelacht, entschieden, dass es sowas wie Montags-Blues bei uns gar nicht gäbe - und es nun aber Zeit für ein Käffchen sei.
Käffchen.. ist ja immer noch eine richtig gute Idee. Bin dann mal in der Küche.
Mein Hase, jedesmal, wenn ich daran denke, Euch ein paar Zeilen zu Eurem Geburtstag zu schreiben, dann denke ich auch: Huch.. die letzten Zeilen sind doch noch gar nicht so lange her? Wo sind die Tage, Wochen, Monate geblieben? Wo ist die Zeit geblieben?
Als ich vor ein paar Tagen dieses Foto von uns dreien fand, da ging mir das ziemlich unter die Haut, aus zweierlei Gründen. Zum einen war das eine Zeit, in der zumindest für Euch noch die Welt in Ordnung war. Für Euch gab es die Familie, den Vater, die Mama, den Bruder und Euer Zuhause, Euer gemeinsames Zimmer mit den Dinosauriern, Machbox-Autos und den gefühlt tausenden kleinen Schnipseln, auf denen Ihr aufgemalt habt und ausgeschnitten habt, was Ihr real nicht besessen habt.
Für Euch habe ich mir gewünscht, dass Ihr eine unbeschwerte, glückliche Kindheit habt - und auch wenn ich selbst die Entscheidung zu gehen niemals auch nur eine Sekunde bereute, so schmerzt mich der Gedanke daran, was es für Euch bedeutet haben muss, wie Ihr Euch gefühlt haben müsst, tatsächlich bis heute.
Inzwischen bist Du nicht nur erwachsen, Du hast nicht nur Deinen Job, sondern mittlerweile auch ein eigenes Zuhause mit Deiner Liebsten. Mit ihr entdeckst und bereist Du die Welt, besprichst nun mit ihr den Alltag, teilst ihr Deine Gedanken mit und so ganz leise wie über Nacht bist Du nicht mehr mein Baby, bin ich nicht mehr Dein erster Anlaufpunkt, nicht mehr das Wichtigste in Deinem Leben.
Nicht dass Du mich falsch verstehst: Mir tut es nicht weh und ich hadere nicht mit dieser für mich neuen Situation. Du bist glücklich - und das ist es, was mich glücklich macht!
Was ich fühle, ist die Wehmut, wie schnell letztlich doch die Jahre vergangen sind, in denen Du nachts mit Deinem Kuscheltier an meinem Bett standest und fragtest, ob Du bei mir schlafen dürftest; Du hättest schlecht geträumt und würdest nicht mehr schlafen können. Wie schnell die Jahre vorbei sind, in denen ich Dir vom Fieber durchschwitzte Schlafanzüge auszog, gute-Nacht-Geschichten vorlas, Deine Hausaufgaben kontrollierte, Dich so lange zum Kinderarzt begleitete, bis wir feststellten, dass die mysteriösen Bauchschmerzen keine körperliche Ursache, sondern mit der Situation auf dem Gymnasium zu tun hatten; Dich in Deinen Ferien immer zu Oma und Opa ans Meer und später ins Ferienlager brachte, weil ich etwas anderes einfach nicht bezahlen konnte; Deine kleinen Liebesbriefe so lange aufgehoben hatte, bis die Farbe rettungslos verblasst war. Es gibt so vieles, von dem ich so oft denke, das sei doch noch gar nicht so lange her.. Wie Du zwei Monate lang auf meiner Heimatinsel zur Schule gingst, weil ich in der Klinik war. Mein Antrag auf Haushaltshilfe wurde abgelehnt mit der Begründung, dass Du schon 12 seist. "Aber ich kann doch einen Zwölfjährigen nicht zwei Monate lang allein zu Hause lassen", hatte ich verblüfft reagiert. "Das ist uns bewusst, aber das ist eine Gesetzeslücke der Politik." Im Gegenzug empfindest Du die Insel bis heute als Dein zweites Zuhause und würdest auch am liebsten dort leben. Am allerliebsten in so einem Mehrgenerationenhaus, wo wir alle zusammen wären, wenn auch jeder mit seinem eigenen abschließbaren Wohnbereich. Aber eben.. alle zusammen. Welch wundervoller Gedanke!
Vielleicht lässt sich dieser Wunsch eines Tages erfüllen, vielleicht auch nicht in dieser Form. Wichtig ist im Grunde auch nur eins: dass es Dich gibt. Dass Du glücklich bist. Dass Du so ein wunderbarer Mensch bist, der es am liebsten hat, wenn es harmonisch und entspannt ist. Ich liebe diese Ruhe in Dir, die Gelassenheit, Deinen Mut, Deine Zuversicht, Deine Unbeschwertheit. Ich liebe es, wie Du Deinen Weg gehst, unbeirrt, scheinbar mühelos. Ich liebe Deine Freundlichkeit anderen Menschen gegenüber. Ich liebe Dein Lachen. Ich liebe Dein offenes, sonniges Wesen.
Früher habe ich Euch auf die Beine gestellt, Euch das Laufen gelehrt. Das Radfahren. (Nie werde ich vergessen, wie Du damals, kaum sieben Jahre alt, sagtest, du könntest es nicht, ich also immer mit Dir mitlief und Dich am Gepäckträger hielt - und irgendwann auch mal losließ. Prompt schlugst Du einen Bogen, bist mit dem Rad ins stachlige Gebüsch gekippt und wütend kamst Du rausgestiefelt: "ICH HAB DOCH GESAGT, DASS ICH DAS NICHT KANN!" Von da an konntest Du es dann aber ;))
Ich hab Euch durch den Schnee gezogen, ganz gleich, wie anstrengend das zuweilen gewesen war.
Es wird die Zeit kommen, da werde ich es sein, die Du auf die Beine stellst. Die Du an das Laufen erinnerst (vielleicht), an das Essen und Trinken (vielleicht). Es wird die Zeit kommen, in der ich Dich brauche wie Du mich brauchtest, als Du ein Kind warst (vielleicht). Es wird die Zeit kommen, in der ich Deine Kraft brauche (vielleicht). Aber soll ich Dir was sagen? Es ist ein wahnsinniges Glücksgefühl, wenn man weiß, dass am Ende des eigenen Lebens jemand da ist - so jemand wie Du.
Vorletzte Nacht konnte ich einfach nicht schlafen, nicht zur Ruhe finden. Erst malte ich noch ewig lang Steine und Postkarten, bis der Rücken krumm wurde, dann legte ich mich rüber aufs Sofa und wühlte mich durch Spotify. Irgendwann um drei Uhr steckte der Mann seinen verstrubbelten Kopf mit den müden Augen um die Ecke und meinte: "Denkst du dran, dass du nachher arbeiten musst?"
(Ich muss ja immer lachen, WIE er seinen Kopf um die Ecke schiebt. Kennt Ihr noch Jurassic Park? Der Dino in der Küche, der seinen Kopf in Profilposition langsam vor die Küchentür schob - genauso machts der Mann auch :)) Jedenfalls lächelte ich: "Ja weiß ich." Er legte sich wieder schlafen, ich stöberte noch ein bisschen und ging dann gegen halb vier ins Badezimmer. Eher der Vernunft geschuldet denn der Müdigkeit, denn ich lag auch im Bett noch eine ganze Weile wach, wühlte mich hin und her, richtige Schlafposition, ne, doch nicht, andersrum, Beine raus, Beine rein, zu warm, zu kalt, ach es war nervig irgendwie :) Jedenfalls habe ich in dieser Nacht eine neue Playlist zusammengebastelt. Alle meine ganz persönlichen Hits aus der Zeit der Achtziger in meiner ganz persönlichen Liste. Im Dauerrepeat, so viel und so lange und so oft ICH möchte. Ach, was kam DA alles an Erinnerungen hoch!
Ach und wie hab ich DAS geliebt, mich zurechtzumachen! Eine Friese dank Zuckerwasser und Haarspray wie Angela Davis, Kosmetik von Action (das war damals einfach das Beste, was es auf unserem Markt gab), die hautengen Jeans vom Bruder, in die ich mich zwang, auf dass der Knopf die ganze Nacht lang halten möge, den Kassettenrekorder auf Maximalstufe im Badezimmer, das ich natürlich stundenlang blockierte für das ganze Programm vom Duschen bis zum perfekten Lidstrich und im Kopf immer die Aussage von Jennifer Rush: "Ich liebe Schwarz. Schwarz macht schlank und sieht geil aus."
Die erste große Liebe, der erste schüchterne Kuss - und aus uns trotzdem nichts wurde, weil wir beide zu schüchtern waren. Wie er mich trotzdem beobachtete, wenn ich in der Disco tanzte.
Wie ich die Blümchentapete in meinem Zimmer mit Postern von Peter Cornelius tapezierte und von meinem ersten echten Freund träumte, der hoffentlich so sehnsuchtsvolle blaue Augen hatte wie der Wiener Liedermacher.
Wie ich mich draußen vor meinem Fenster halbnackt im Schnee wälzte, nur damit ich krank wurde und meinen zweiten Liebeskummer wenigstens verkrochen und versteckt zu Hause rausheulen konnte - und aber eben leider trotzdem nicht krank wurde.
Hach ja. Mit so vielen Jahren Abstand blicke ich heute ganz verklärt auf diese Zeiten. Was die Musik heute vor allem in mir auslöst, ist die Lebendigkeit von einst. Die pure Lebensfreunde. Die pure Lebenskraft. Diese Ausgelassenheit. Als der Mann gestern Abend nach Hause kam, spielte gerade genau dieses Lied Catch Me I'm Falling - und ich tanzte ausgelassen und vergnügt vor seinen Füßen, egal, wohin er ging. In der Küche, im Wohnbereich, im Schlafbereich und wieder zurück. Nein, es hat ihn nicht genervt, ganz im Gegenteil. Ich liebe seinen Blick, wie er mich dann anschaut, wie er dann lächelt, wie er sich über mich freut und wie er sich anstecken lässt. Wir haben gestern Abend den ganzen Abend Musik gehört, getanzt, gesungen, es war einfach wunderbar.
Als ich mir heute Morgen nach dem Duschen in den Fuß schnitt, das Blut auf die weißen Fliesen tropfte, da dachte ich: Okay, schlimmer wirds heut nimmer.
Schon länger vermeide ich es, im Blog zu schreiben, wenn ich mich gut fühle. Schon länger antworte ich auch auf die Frage, wie es mir geht, eher verhalten mit "Joar, passt schon." Weil die Erfahrung einfach immer wieder bewies, dass genau dieses wunderbare Lebensgefühl durch das Außen ins Gegenteil verkehrt wurde.
Insofern habe ich heute Morgen auf dem Weg ins Büro die Morgensonne genossen, das Goldgelb an den Bäumen genossen, die Musik genossen - und in jenem Moment gedacht: Grad fühlt sich alles irgendwie rund an. Wundervoll rund. "Ich frag dich heute nicht, wie es dir geht", begrüßte mich anschließend auch die Kollegin. "So wie du aussiehst, geht es dir super."
Vergangene Woche habe ich ein Blutbild anfertigen lassen. Das ist Standard, wenn man sich jede Woche eine Spritze setzen muss. Drei Werte passen nicht, aber der Doc maß dem nicht all zu viel Bedeutung bei. "Ich geh mal davon aus, dass wir bei Ihnen keinen Schlaganfall oder Herzinfarkt befürchten müssen." "Na jaaaa... Also wenn ich mir so meine Familie anschaue, würde ich das vielleicht jetzt nicht so unterschreiben", scherzte ich noch. "Wieso? Gibts da Häufungen?" "Meine Großmutter ist nach einem Schlaganfall verstorben, mein Vater hatte einen Herzinfarkt und anschließend einen Schlaganfall - und mein Sohn hatte auch einen in diesem Jahr." Vom Sohn war er erschrocken und überrascht, auch über die Information über den ärztlicherseits vermuteten Auslöser, die Impfung. "Dann werden wir Ihre Werte doch lieber genauer überwachen", meinte er.
Am Montag ist noch ein weiteres Familienmitglied hinzugekommen, das habe ich erst heute erfahren. Heute Abend habe ich dann mit ihm telefoniert. Er ist runter von der Intensivstation, sprachlich habe ich meinen großen Bruder auch schon besser verstanden - aber es geht ihm besser. Wie sehr mich das "angefasst" hat, wurde mir erst in dem kurzen Telefonat mit ihm bewusst - und in den Stunden danach. An meinem jüngeren Bruder hänge ich, weil ich dessen trockenen Humor so liebe. An meinem älteren Bruder hänge ich, weil er mir so ähnlich ist - in seinem Denken und in seinem Handeln.
Vor kurzem haben wir aus der Mediathek ein Porträt über Anna Lang ausgegraben. Als sie ihr erstes Kinderfoto zeigte, erinnerte ich mich wieder an sie und daran, dass ich diesen Beitrag vor langer Zeit schon einmal gesehen hatte. Ich hab ihn mir dennoch noch einmal angeschaut und war erneut tief berührt von einer Frau, die Zeit ihres Lebens das Leben anderer gelebt hatte - aber nicht ihr eigenes.
Ihren Vater kannte sie zunächst nicht, ihre Mutter heiratete stattdessen einen Mann, der das Kind völlig ablehnte, weil es nicht sein eigenes war - und dies dem Mädchen auch in jeder ihm zur Verfügung stehenden Form zeigte. Warum, wird in diesem Beitrag nicht beleuchtet, aber auch ihre Mutter war nicht in der Lage, ihrem eigenen Kind das grundlegendste zu vermitteln: Liebe. Im Gegenteil: Sie hat zu gehorchen und sie hat den Weg zu gehen, der ihr vorgegeben wird. Sie hat die Ausbildung zu machen, die Geld verspricht - und nicht den Weg ans Theater zu gehen, was eigentlich ihren Neigungen entspricht. Sie hat einen Mann zu heiraten, den die Mutter ihr vorgibt, auch wenn sie diesen nicht liebt. Sie hat das Leben mit diesem Mann zu führen, der tut, wonach ihm ist - und im Gegenzug erwartet, dass sie arbeiten geht, den Haushalt führt, das Kind erzieht, seine Wäsche wäscht und ihm das Essen zubereitet. Sie darf nicht sein, wer sie ist. Ihre eigentliche Fröhlichkeit ist nicht gewünscht, erst recht nicht außerhalb der eigenen vier Wände. Es gibt keinen Raum für ihre Wünsche, für ihre Bedürfnisse.
Anna Lang hat sie alle überlebt: den Stiefvater, die Mutter, den Ehemann. Sie ist etwa neunzig Jahre alt gewesen, als der Mann starb und sie vor allem eins war: frei. Endlich einfach nur noch frei. Mit ihrer Tochter hat sie nachgeholt, was ihr in all der Zeit verwehrt geblieben - und was jetzt noch möglich war: Sie hat sich die Welt angeschaut, so gut das noch möglich gewesen ist. Sie hat das Leben genossen, das ihr jetzt noch möglich war. Sie war 107 Jahre alt, als dieses Porträt aufgenommen worden ist. Mit 107 hat sie noch in ihrer eigenen Wohnung gelebt und sich ihr eigenes Essen zubereitet. Etwa genau ein Jahr später hat sie sich dann für immer verabschiedet. Doch wenn man sich das genau vor Augen führt... War es Glück? War es ihr unbedingter Wille, nicht von dieser Welt gehen zu müssen, solange sie nicht gelebt hatte? Was braucht es, um sie alle zu überleben, sie alle hinter sich zu lassen, bei denen man zu Lebzeiten nicht die Kraft hatte, sich durchzusetzen? Was, wenn sie keine einhundertundsieben Jahre alt geworden wäre?
Der Mann und ich, wir konnten zunächst nicht wirklich etwas sagen. "Das ist genau der Grund, warum ich mich von meinem ersten Mann getrennt habe", sagte ich schließlich zu ihm. "Es war genau das, dass ich ein Leben führte, das nicht meins war. Wir wissen nicht, wie alt wir werden. Werde ich wirklich die hundertvier, die ich immer werden wollte - oder bereue ich diesen Wunsch vielleicht noch? Und hätte ich wirklich warten können, bis ich vielleicht achtzig oder neunzig werde und erst nach dem Tod des Mannes wirklich mein Leben hätte führen können? Ne... Ich bin froh, ich bin wirklich sehr froh, dass ich damals gegangen bin und noch genug Zeit hatte, ein neues Leben anzufangen." Der Mann schaute mich an und sagte dann: "Ich bin auch sehr froh, dass du gegangen bist damals."
Ich war 33, als ich die Entscheidung traf. Es war meine allererste Entscheidung, mit der ich mich durchsetzte. Mein allererstes konsequentes "Nein." Was dieser Entscheidung folgte, waren die - für mich - bis dahin traurigsten, schwierigsten, aufregendsten, tiefgründigsten, lehrreichsten, hoffnungsvollsten, einsamsten, zuversichtlichsten, zweifelndsten, zerrissensten - und liebevollsten Jahre. Sie alle haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Heute, wo der Mann manchmal belustigt den Kopf schieflegt, manchmal verblüfft lacht, manchmal sprachlos ist und dann sagt: "Warst du eigentlich immer schon so oder lerne ich dich immer wieder neu kennen?" Manchmal bedauert er, dass wir uns nicht damals schon kennengelernt hatten. Damals, mit zwanzig, als alles noch vor uns lag. Dann schlinge ich meine Arme um seinen Hals: "Hauptsache, wir haben uns jetzt." "Ja, aber jetzt sind wir alt." "Wir sind nicht alt. Wir werden niemals alt."
Natürlich: Wenn ich mich heute im Spiegel betrachte, dann sehe ich die feinen Linien um die Augen, neben den Mundwinkeln, die tiefe Falte rechts und links der Nase. Aber.. Wann immer ich in den Spiegel schaue, sehe ich irgendwie immer nur das Mädchen mit 33 Jahren. Keinen einzigen Tag älter. Genauso habe ich mich damals gefühlt: wie ein Mädchen, das die Welt beginnt zu entdecken. "Das, was du heute erlebst, hatten wir alle mit sechzehn oder siebzehn", hat A. damals zu mir gesagt. Möglicherweise habe ich mich deshalb auch mit 33 noch wie ein Mädchen gefühlt. In meinem Kopf, in meiner Seele war ich das einfach auch. Auch wenn ich mich manchmal wundere, weil das Spiegelbild nicht ganz zu dem Bild passt, das bis heute in meinem Kopf und in meiner Seele ist: Bis heute bin ich keinen einzigen Tag älter als 33 - und ich werde eines Tages im Alter von 33 sterben; ganz gleich, welche Zahl tatsächlich in meinem Pass steht.
"Hast du schon wieder Musik im Kopf?" fragt der Mann mit missmutigem Blick auf meinen rechten wippenden Fuß, als wir auf unserem Sofa lümmeln, uns einen Film reinziehen und aber die dort dargestellte Situation alles andere als musikalisch anmutet.
"Ja hab ich."
"Du machst mich nervös!"
Meine neueste Entdeckung des obigen Tracks dank Streaming vor einigen Tagen ging mir sofort ins Ohr, ins Blut und in die Beine. Der Mann kann dieser Musik nichts abgewinnen, sie triggert seinen Tinnitus und nervt ihn ob seiner Hyperakusis. Ich selbst bin ja nun auch mit so einigem "geschlagen", aber glücklicherweise weder mit Tinnitus noch der damit oft verbundenen Hyperakusis. Wenn, dann leide ich eher unter selektiver Hörschwäche ;)
Insofern könnte ich mir diesen Track stundenlang reinziehen, natürlich in entsprechender Lautstärke, weil, leise geht bei SO einer Musik nun wirklich nicht. Wenn das gerade nicht möglich ist, weil wir ja auch noch ein gemeinsames Leben miteinander führen, dann spielt diese Musik unablässig in meinem Kopf. Ich kann da nichts dafür, ich wurde so geboren!
Nicht umsonst sag ich ja immer, dass meine Blutkörperchen aus Kaffeebohnen und die Blutplättchen aus Musiknoten bestehen.
Es ist die Musik, die mir derzeit hilft, das eine oder andere so lange ausblenden zu können, bis einen die Realität wieder einholt. Ich weiß gar nicht, ob ich Menschen bewundern oder bemitleiden soll, die es schaffen, sich täglich oder wenigstens regelmäßig mit Nachrichten zu versorgen.
Eine Schulfreundin, die ich in der vergangenen Woche nach ewig langer Zeit wiedersah, meinte, sie müsse sich das regelmäßig anschauen bzw. anhören, weil sie sich vorbereiten wolle.
Ja nur... Vorbereiten auf was? Ist es nur (m)ein Gefühl oder haben wir aktuell wirklich eine der unbeständigsten Zeiten? Was bleibt, was ändert sich, was kommt, wie wirds?
Jeden Tag neue, andere, ähnliche, auch wieder zurückgenommene Meldungen - muss man da nicht irre werden im Kopf?
Als die Havarie der Nordstream-Leitungen bekannt wurde, sagte ich zum Mann: "Und du wirst sehen, sie werdens den Russen in die Schuhe schieben."
Erste Meldungen gehen mittlerweile tatsächlich in diese Richtung - verbunden mit der Aussage, dass beide Leitungen irreparabel beschädigt seien. Was der Russe von dieser Zerstörung haben soll, erschließt sich mir noch nicht. Gas abzustellen genügte ja auch, um die Versorgung zu kappen und die Abhängigkeit deutlich zu machen.. Eher könnte ich mir die ganz andere Richtung vorstellen; zum einen, um bestehende europäische Konflikte zu vertiefen; zum anderen, um "die drohende Gefahr" etwaiger diplomatischer Lösungen zur Wiederaufnahme der Versorgung vorsorglich gleich ganz vom Tisch zu fegen. Wie war denn das zum Beispiel mit dem Irak-Krieg? Amerika und England wollten diesen Krieg unbedingt, und hatte sich Powell nicht später entschuldigt dafür, dass dieser Krieg auf Lügen aufgebaut gewesen war?
Waren die Amerikaner nicht von Anfang an gegen dieses Leitungssystem?
Und: Wem nutzt es wirklich, wenn Nordstream 1 und 2 nicht mehr betrieben werden können?
Wem nutzt es, wenn Europa instabil wirkt und wird?
Was mir zum Beispiel nicht so bewusst war, ist, dass das Land Niedersachsen auf so reichen Erdgasvorkommen sitzt, dass damit Deutschland gut ein Jahrzehnt lang versorgt werden könnte. Zeit also, um dieses Erdgas zu fördern und zu nutzen, währenddessen an der alternativen Energie gearbeitet werden kann?
Die Wege freizumachen für zum Beispiel Wasserstoff: Fördermittel freigeben, Genehmigungsverfahren vereinfachen bzw. verkürzen. Denn wenn Jahre verschenkt werden, um Geplantes überhaupt erstmal genehmigt zu bekommen, neue Systeme aber ebenso Jahre brauchen, um gebaut zu werden, dann wirds irgendwann knapp..
Wobei ich ja auch immer irgendwie schmunzeln muss: Wie sie doch alle schreien nach der erneuerbaren Energie - und wie schwierig die Umsetzung dahingehend ist, als dass die Energie aus Sonne und Wind, die sich bis dato noch nicht speichern lässt, aus dem Norden beispielsweise ja auch in den Süden geleitet werden müsste/ könnte, die Menschen jedoch die damit verbundene Trasse, ob nun ober- oder unterirdisch, aber nicht haben wollen. Und Windräder wollen sie auch keine in ihrer Nähe.
Dazu hatte ich unlängst übrigens gelesen, dass die Windkraft selbst allein durch die Errichtung von Windrädern abnimmt - und damit weniger Energie gewonnen wird als zu Beginn des Ganzen. Also ist dieser grüne Weg auf lange Sicht auch keine Perspektive?
Warum man also auf einer so unsicheren Basis die Atomkraftwerke stilllegt, erschließt sich mir da auch nicht. Ich bin nicht für Grün und hab die auch nicht gewählt, aber diesen Beschluss haben auch nicht die Grünen gefällt, sondern die Schwarzen. Die Grünen wollen nur weiter dran festhalten, aber ich frage mich, ob das in der aktuellen Situation das Richtige ist.
Diese ganze Energieproblematik kostet einen so dermaßen Haufen Asche, dass einem schwindlig davon wird - und dann befeuern wir das alles noch, indem wir überteuerte Energie aus Nachbarländern, Asien und Amerika beziehen, die im Übrigen auch bloß keine grüne ist. Für den Übergang, heißt es - aber wie lange soll dieser Übergang andauern? Könnte man diesen Übergang nicht auch "einfacher" haben, wenn man beispielsweise die Laufzeit der AKWs limitiert verlängert, bis wir selber eigene Alternativen geschaffen haben?
So viele Gedanken und Fragen, aber auch so vieles im Konjunktiv - worauf soll man sich nun vorbereiten?
Quelle: Cartoon Madness - Clemens Ottawa
Manchmal, da liegen der Mann und ich nachts Nase an Nase, halten uns an den Händen und flüstern leise über dies und jenes. Über das Heute, über das Jetzt und Hier. Manchmal atmen wir tief ein ob der schweren Gedanken, aber manchmal lachen wir einfach auch. Ist es nicht der Humor, der verhindert, dass einem der Kragen platzt? Und ist es nicht der Humor, mit dem sich alles irgendwie leichter er/tragen lässt? Jedenfalls hin und wieder?
Letzte Nacht lagen wir wieder so beieinander, und ich schwör, ich liebe diese vertrauten, stillen Momente.
Vertraut und still bis zu jenem Moment, in dem er rügte, dass ich seiner Meinung nach immer noch zu wenig trinke.
"Die drei Tassen Tee heut Abend sind nicht genug."
"Ich hatte noch zwei große Käffchen tagsüber."
"Das machts Kraut auch nicht fett."
"Es könnten auch drei gewesen sein!"
"Das! Reicht! Nicht! Bei deiner Körpermasse..."
Was er dann noch sagte, verstand ich nicht mehr; das ging unter in meinem herzhaften Gelächter, unter dem ich fast vom Laken gesprungen wäre.
"Hast du jetzt echt KörperMASSE gesagt?" kreischte ich begeistert.
"Du weißt doch, wie ich das meine! Du mein Rosenblatt."
"Hast du jetzt etwa RosenPFERD zu mir gesagt??" Ich kam aus dem Lachen echt überhaupt nicht mehr raus.
"BLATT! Ich sagte: RosenBLATT!"
"Ach soooo! Na ja MASSE und PFERD liegen ja nun auch nicht soooo weit auseinander!"
Es sind solche Momente, die mir guttun.
Und es ist die Musik, die mir guttut.
Ich weiß, dass man nicht alles ignorieren, ausblenden oder wegtanzen kann. Dass das nur für begrenzte Momente so funktioniert.
Mir ist bewusst, dass man sich auf ein anderes Leben einstimmen muss. Anders als das, was wir bisher kannten. Mir ist auch bewusst, dass der Mensch dem Überfluss so lange frönt, bis er dazu gezwungen ist, es anders zu handhaben. Dass er seinen Überfluss nicht freiwillig aufgibt.
Aber ich denke an all jene Menschen, die eben nicht im Überfluss leben. Und wie ich es erst letztens zum Chef sagte: "Du musst da gar nicht nur an die Rentner oder Hartz IV-Empfänger denken. Wir sind auch schon längst angekommen bei den mittleren Einkommen, für die das Leben immer weniger bezahlbar wird."
Ich denke da an meinen Ältesten, der - und da könnte ich tatsächlich immer noch vor Freude im Kreis tanzen - Anfang September seinen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen hat. Ihr glaubt gar nicht, wie glücklich, dankbar und erleichtert ich bin. Von meinem Begeisterungsschrei müsste der Junge eigentlich einen Hörschaden erlitten haben; wenigstens entrang es ihm ein latent genervtes "Orrrrrr Mudders!"
Gefreut hat es ihn natürlich auch, aber das Igelchen mit seiner harten Außenschale kanns halt nicht mehr so zeigen.
Aber selbst mit dem Einkommen aus dem nun unbefristeten Vollzeitjob wird er sein Leben nicht so ohne Weiteres allein finanzieren können, wenn er noch etwas mehr vom diesem Leben wünscht als zu schlafen, zu essen und zur Arbeit zu fahren. Auch deshalb hält er weiterhin fest am Nebenjob, egal was wir um ihn herum dazu sagen. Er weiß, dass er das auf lange Sicht nicht durchhalten kann, beispielsweise drei Wochen am Stück ohne auch nur einen einzigen Tag Pause durchzuarbeiten.
Aber er sagt: "Solange ich das hinkriege, werde ich das machen müssen."
In den letzten Wochen bin ich immer öfter in verschiedenster Hinsicht an diesen Punkt gekommen, wo ich mir sage: "Entspann dich. Rankommen lassen. Du kannst nicht alles ändern und hast auch nicht alles in der Hand."
Und es ist vor allem die Musik, die mir dabei hilft, das auch so zu leben.
Ganz gleich, ob sie den Raum füllt oder nur in meinem Kopf spielt.
Warum das so ist, kann ich gar nicht begründen, aber sobald ich weiß, dass der Mann für ein paar Tage verreist, dann packe auch ich meine Taschen und ziehe von dannen: In der Wohnung allein in M fühl ich mich irgendwie.. unsicher. Totaler Blödsinn eigentlich, denn rings um mich herum wohnen zig Leute, und dass die Behausungen nicht grad lärmgedämmt sind, haben wir ja schon oft genug erfahren können.
Ist er mal nur eine Nacht nicht da, schlage ich mein Nachtlager für gewöhnlich auf dem Sofa auf. Wie um bereit zu sein, im Notfall auf den Balkon zu stürzen und Alarm zu schlagen. Dank der baulichen Gegebenheiten kann man sicher sein, dass der Schrei Risse ins Betonwerk zu bringen vermag. Ein Schallpegel also, um mindestens die umliegenden Familien kerzengerade aus ihren Betten zu katapultieren.
Jedenfalls - geht er auf Reisen, geh ich es auch.
Und wohin ziehts mich, wenn ich kann? Natürlich nach Hause, ans Meer. Das dritte Mal in diesem Jahr - und ich weiß gar nicht, ob die Mama soviel Tochter verträgt? Immerhin hat es auch Jahre gegeben, in denen ich nicht ein einziges Mal dort sein konnte. (Wie ich das überstanden habe, weiß ich allerdings auch nicht ;))
Was doppelt schön war: Ich konnte alle beide Söhne mit einpacken. Das erinnerte an die spontanen Zeiten von einst, als sie noch klein waren. Nur wir drei, zwei Taschen Klamotten, fünf Rucksäcke Spielzeug, Bücher und so. Mit dem digitalen Zeitalter veränderten sich zwar die Beschäftigungsutensilien, jedoch nicht die Menge der mitzunehmenden Sachen. Fünf Geräte, fünf Kabel zum Aufladen, fünf Kabel zum Koppeln, Ladegeräte, Akkus, diverse Spiele (als man(n) noch nicht online zockte), Plüschtiere, Lieblingskissen - ich staunte immer wieder.
Ich staunte also vergangene Samstagnacht wiederholt nicht schlecht, als der Ältere angeschlurft kam, während der Jüngere und ich bereits am vollgepackten Auto warteten - und der Ältere immer noch nen ganzen Arm voll mitbrachte.
"Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?" fragte ich entgeistert. Drei ganze Kissen wollte er noch mitnehmen.
Ohne die ginge es nicht, meinte er.
Solche Allüren kenne ich ja durchaus vom Mann auch: Er kann nur auf seinem Kissen schlafen, ein ergonomisch geformtes Dingsda mit Einsinkfunktion, das die Halswirbelsäule stützt und die Schulter schont.
Vorbei sind die wilden nackten, halt(er)losen und vor allem spontanen Zeiten!
Hoch lebe die geriatrische Ära der Stützstrumpf- und Franzbranntweinfraktion!
Aber äh, ne, ich merke, ich schweife ab.
Was wolltsch sagen, ach so, ja, der Junge also mit den drei Kissen.
Und was soll ich noch sagen: Alle drei Kissen liegen hier sorgsam aufgestapelt VOR seinem Bett. Sein holdes Haupt bettet er hingegen auf das von der Oma bereitgelegte Kissen.
(Aktuell muss man sich aber tatsächlich hüten, ihn anzusprechen; erst recht, wenn man Kritik üben will: Seit er vor ungefähr drei Wochen nun endlich beschlossen hat, das Rauchen aufgeben zu wollen - und der Junge hat wirklich extrem viel geraucht! - kann von einer Zündschnur nicht mehr die Rede sein: Man zündet die Bombe quasi direkt und sofort.)
Die Oma wiederum staunte auch nicht schlecht, als sie uns morgens gegen drei Uhr an der Haustür empfing - und unser Gepäck anmuten ließ, man würde länger als 6 Tage bleiben wollen.
Seither sind 4 Tage vergangen. Der Papa liegt seit drei Tagen mit Fieber im Bett, mag nicht aufstehen, nicht essen. Mehrfach getestet und für negativ befunden, fristet er nun trotzdem sein abgeschiedenes Dasein mit Blick auf das noch grüne Laub vor dem Fenster und dem Fencheltee auf dem Nachtschrank.
Der Jüngere schwächelt inzwischen auch und der Ältere erholt sich nur langsam, aber stetig von der Dauerbelastung eines Vollzeit- und eines Nebenjobs.
Was die Mama und mich gestern spontan entschließen ließ: Wir fahren beide in die nächstgrößere Stadt und gehen bummeln.
Das stellte ich mir so ganz entspannt vor bei Sonnenschein, Käffchen in der Sonne, ausgestreckten Beinen. Vermutlich dachte sich die Mama ähnliches, sie wirkte aufgekratzt und vergnügt. Keiner da, der jammert, man könne nicht mehr laufen oder hätte schlichtweg die Nase voll und wolle wieder heim. Keiner, der misstrauisch die Kreditkarte beäugte, die möglicherweise da und dort gezückt würde.
Sowas entspannt ja auch mich, weil beispielsweise der Mann keine zehn Minuten braucht, um zu befinden, dass die Stadt viel zu voll ist, viel zu viele Menschen in seinen Tanzbereich eindringen und ihn sowieso auch die TascheninderArmbeuge-Mädels ankotzen, die gerne zu dritt oder viert nebeneinanderlaufen, schnattern, nicht gucken und einfach voraussetzen, dass man ihnen aus dem Weg geht, als dass vielleicht auch mal die Platz machen könnten, wenn sie schon den kompletten Gehweg einnehmen. (Nebenbei: DIE nerven mich auch. Vermutlich wissen die nicht mal, wie man Knigge schreibt.)
Insofern war das gestern ein mega entspannter Tag bei Sonnenschein, Käffchen, ausgestreckten Beinen - und ohne Männer mit genervtem Gesichtsausdruck.
Da konnte ich schon auch mal geflissentlich darüber hinwegsehen, dass die Mama oftmals beherzt und spontan und vor allem viel zu zeitig von außen den Vorhang zur Seite riss, mich in meiner ganzen ungebügelten Dreifaltigkeit bloßlegte und fröhlich rief: "Na? Wie siehts aus? Passts?"
Für heute haben wir beschlossen, ans Meer zu fahren.
Wenn die Jungen ausgeschlafen haben.
Ja, es ist 12:43 Uhr - und ich höre erste Stimmen von nebenan ;)
Heute Abend bin ich müde. Nicht angestrengt müde, nicht ausgelaugt müde. Einfach nur müde.
Am liebsten würde ich mich schlafen legen, doch da gibt es noch einige Dinge, die ich erledigen möchte, bevor ich morgen wieder in den Süden zurückfahre.
"Wie lange wird das noch so gehen?" hat der Mann mich am vergangenen Freitag gefragt, als wir am Abend in unseren Korbstühlen lagen, dem Sonnenuntergang zusahen, den Kopf zurückgelegt und die Arme um die Knie geschlungen. "Ich sehe dich entweder nur noch arbeiten oder schlafen."
Zunächst wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte. Er hatte recht, und ich war mir unsicher, ob er meine Antwort würde akzeptieren können. Glich ich vor Jahren eher noch einem offenen Buch, dem jede einzelne Zeile im Gesicht geschrieben schien, so hüte ich den Inhalt dieses Buches heute eher wie einen Schatz.
Vor gut zwei Wochen, auf dem Rückweg von L nach M, da fühlte ich mich nicht gut. Es ging mir nicht gut. Und ich fragte mich, ob dies der Preis der vergangenen Wochen und Monate sei. Zuviel arbeiten, zu wenig schlafen, zu wenig Raum in meinem Kopf, zu viel um mich herum.
Ich nehme Stimmungen um mich herum wahr, fange sie auf, beschaue sie von mehreren Seiten, lege sie zur Seite oder nehme sie mit in den spärlichen Schlaf. Höre die Sorgen und Ängste, Zweifel und Sorgen, Frust und Neid, unerfüllte und erfüllte Bedürfnisse anderer. Das eine geht mir unter die Haut, das andere raubt mir die Geduld. Ich schaue auf die lange Reihe der Aufgaben, die mir zugetragen werden, und frage mich, ob ich je eines Tages zum Ende kommen werde.
Ganz oft im wahrsten Sinne des Wortes laufe ich von einem Punkt zum anderen, bewege, bewältige, erledige, erschaffe, aber was.. macht das alles mit mir?
Gestern wurde meine Prokura notariell beurkundet - und mittlerweile bekomme ich Furcht vor mir selbst. Was, wenn ich all diesen Aufgaben überhaupt nicht gewachsen bin? Was, wenn ich den Erwartungen an mich überhaupt nicht gerecht werden kann? Was, wenn ich versage? Was, wenn ich scheitere?
Können wir wirklich vertrauen oder habe ich doch falsch beraten? Habe ich selbst mich für den falschen Weg entschieden?
Wie bekommt man ihn hin, diesen Spagat, sich auf die Hochzeit des einen vorzubereiten, während parallel ein anderer darüber nachdenkt, dieses Leben nicht mehr zu können, nicht mehr zu wollen?
Wie bekommt man es hin, Menschen ganz sehr umarmen zu wollen, sie einfach nur festhalten zu wollen, die zur Dir sagen, dass sie in einem prognostizierten halben Jahr nicht mehr da sein sollen? Wie kann man mit ihnen bei einer Tasse Kaffee sitzen, über Gott und die Welt reden - und dieses Gefühl nicht loszuwerden, dass die Zeit wie feiner Sand zwischen den Fingern hindurchrieselt?
Wie viel ist zu viel?
"Ich frage mich, wie du das alles schaffst", hat mir jemand unlängst wiederholt gesagt. "Ich frage mich, wie du das alles aushältst und so ruhig dabei bleiben kannst. Und man sieht dir den Stress überhaupt nicht an. Ich wäre froh, sähe ich so aus wie du."
Diese Worte haben mich wirklich sehr, sehr gefreut, weil ich weiß, von wem sie kamen - und damit wusste, dass sie auch wirklich ernst gemeint waren.
Du kannst viele Jahre, vielleicht eine gefühlte Ewigkeit, etwas mit Dir herumtragen. Etwas, das Dich nicht loszulassen vermag. Oder etwas, von dem DU nicht loszulassen vermagst.
Nicht wirklich. Nie wirklich.
Und dann genügt ein einziges Bild, das Du siehst; ein einziges Wort, das Du liest - und auch wenn es Dich schmerzlich berührt, so ahnst Du dennoch fast im selben Augenblick: Genau das war es, das Dir gefehlt hat. Die Konsequenz aus dem, was Du siehst.. macht Dich endlich frei.
Du bist frei - nicht nur im Außen, sondern endlich auch im Innen.
Du hast verstanden, einer für Dich wirklich großen Lüge aufgesessen gewesen zu sein - und nun kannst Du loslassen.
Und das Bedeutsamste an dieser Erkenntnis: Heute schmerzt es nicht mehr.
Ab heute bist Du einfach endlich nur frei.
Und so sitze ich heute Abend hier, in der vollkommen dunklen Küche meiner Wohnung in L, mit der Musik in den Ohren - und plötzlich wird mir bewusst: Es gibt kein Zuviel. Alles, was ich brauche, habe ich hier in meinen Händen, in meinem Kopf - und in meinem Leben. Ich muss nur gut umgehen mit dem, was ich habe. Hoffentlich bekomme ich das auch hin.
Solange ich zurückdenken kann, habe ich Angst vor der Dunkelheit.
Vielleicht könnte ich ergründen, woher das kommt, jedoch erspare ich mir das. Gut möglich, dass ich mit dem, das ich erfahre, gar nicht umgehen kann.
Letzte Nacht lag ich eine Weile noch wach. Ich dachte an meine Großmutter, bei der ich jeden Sommer meine Ferien verbrachte. Die Großmutter, bei der ich Kartoffelkäfer von den Blättern sammelte, Frösche im Teich fing, nur um mir diese genauer anzuschauen und anschließend wieder freizulassen, auf Bäumen herumkletterte oder mit ihr in den kleinen Kaufmannsladen gegenüber ging, um Spritzringe einzukaufen.
Als ich noch ganz klein war, schlief ich zwischen ihr und dem Opa.
Als ich etwas älter wurde, schlief ich auf dem kleinen Sofa in der guten Stube, Tür an Tür zum Schlafzimmer der Großeltern.
Nur selten vorbeifahrende Autos warfen ihre Lichtkegel an die gemusterte Tapete, malten ihre Fratzen an die Wand.
"Ich lass die kleine Lampe auf meinem Nachttisch an und die Tür einen Spalt breit offen", versprach die Großmutter - und hielt sich auch jede Nacht daran. Dann lag ich auf diesem kleinen Sofa und solange ich nicht einzuschlafen vermochte, schaute ich auf den schwachen Schein dieser kleinen Lampe mit diesem wundervoll warmen Licht. Es schenkte mir Sicherheit. Und es schenkte mir Geborgenheit. Ich fühlte mich so unfassbar wohl und sicher mit diesem kleinen Lichtschein.
Bis heute liebe ich sanftes Licht. Indirektes Licht. Und denke, dass es irgendwie doch auch interessant ist, woher wir so manche Eigenarten haben...
In unserem Badezimmer habe ich irgendwann eine Bodenvase aus Glas aufgestellt, sie mit Muscheln aus Dänemark befüllt und dazwischen eine Lichterkette verteilt, so eine mit kleinen milchigen Gläsern und einem wunderbar sanften Licht. Der Mann hat diese Lichterkette an einen Bewegungsmelder angedockt, so dass wir nachts nirgendwo mehr Licht machen müssen, wenn wir das Bett verlassen und in das Badezimmer tappen.
Und ich.. ich liebe ganz sehr diesen Moment, wenn ich das Badezimmer verlasse, das unserem Schlafzimmer direkt gegenüber liegt, die Tür einen Spalt geöffnet lasse und mich in mein Bett zurücklege. Dann schaue ich so lange auf die Badezimmertür, spüre die Behaglichkeit, die dieser Anblick der Fliesen und der Waschmaschine in diesem sanften Licht in mir auslöst - und wenn das Licht erlischt, schließe ich die Augen.
Dann fühle ich mich wohl, dann fühle ich mich sicher. Dann fühle ich mich unbesiegbar..
In den Zeiten wie diesen, die wir aktuell haben, wünschte ich, jeder hätte irgendwie (s)ein Licht, auf das er schauen kann - und das ihm Zuversicht, Geborgenheit vermittelt - und dieses Gefühl, dass vielleicht ganz bestimmt doch eines Tages alles wieder gut wird.
Kennst Du auch das Gefühl, dass man manchmal so vieles erzählen möchte, dass im Kopf all die bunten Gedanken herumkullern, so dass man sie gar nicht zu fassen bekommt? Wie man dann zu erzählen beginnt und der Kopf schon weiterstolpert und man irgendwie schon beim nächsten Gedanken ist, noch bevor man den einen überhaupt zum Ende gebracht hat? Wie man sich ausmalt, eine Flasche gut gekühlte Weißweinschorle mitzubringen, gerne auf Deinem Balkon die Füße hochlegt, in die Sonne blinzelt - und der Kopf mit einem Mal schlagartig leer ist und man einfach nur genießt, dass man da sitzt, wo man gerade sitzt? Und dass man dann irgendwie glücklich und zufrieden ist?
Natürlich könnte ich Dir jetzt so einiges erzählen. Wie unser Hochzeitstag war. Wie wir uns das ausgemalt hatten. Dass das eigentliche Kleid - mit kleinen bunten Blumen bestickter Tüll - also genau, was ich bin ;) - das ich für diesen Tag gerne gehabt hätte, viel zu spät geliefert wurde und ich stattdessen auf Plan B zurückgreifen musste. Dass ich in die Chucks, die ich eigentlich zu diesem Tag hatte anziehen wollen, nicht mal ansatzweise hineinkam, weil der rechte Fuß meinte, sich aufblasen zu müssen. Dass ausgerechnet an diesem Tag die Haare einfach nicht das machen wollten, was sie sollten. Dass mir dann irgendwie die Zeit weglief, weil wir für das Ja-Wort am Ufer meines geliebten Meeres noch ein gutes Stück Weg hatten.
Dass also irgendwie gar nichts gelang, wie ich mir das vorgestellt hatte - und es am Ende aber auch wieder völlig egal war, weil einzig der Moment zählte, an dem wir uns an die Hand nahmen und der Mann mich noch anzischte: "Du weinst jetzt aber nicht! Du! Weinst! Jetzt! Nicht! Du... ach Scheiße" und ihm dann selber die Tränen kamen.
Ich könnte Dir vom Fotografen erzählen, der uns am Kennenlerntermin fragte, warum ausgerechnet jetzt, nach all der Zeit? Und ich antwortete, dass manche Menschen heiraten der Steuer wegen oder weil sie eine Familie gründen wollen oder schon gegründet haben. Weil sie es für oder wegen der Kinder tun. Und dass für mich einzig und allein nur ein einziger Grund zählte: dass wir es einfach nur aus Liebe tun.
Und was soll ich Dir sagen... Es fühlt sich wirklich wundervoll an, wenn es der Mensch ist, neben dem Du morgens erwachen und des Nachts einschlafen möchtest. Es fühlt sich wundervoll an, wenn an der Wohnungstür nur noch ein Name steht. Wenn Du morgens erwachst, in die Augen des anderen blickst, der Dich schon die ganze Zeit betrachtet, und Du flüstern kannst: "Guten Morgen, Ehemann" und er zurücklächelt: "Guten Morgen, Ehefrau."
Ich könnte Dir aber auch von dem Behördenirrsinn erzählen, den ich mir so in dem Ausmaß nicht vorgestellt hatte. In digitalen Zeiten wie diesen denkt man doch, man braucht nur eine E-Mail zu schreiben, die Eheurkunde anzuhängen und schon hätte sich der Lack. Aber das wäre ja alles viel zu einfach, nicht wahr? Meine eine Bank zum Beispiel meinte, ich könnte das alles online einrichten. Aber wenn ich neue Kreditkarten und so bräuchte, dann müsste ich schon in die Filiale kommen. Da hab ich noch drüber geschmunzelt und es einfach gemacht. Blöd allerdings: In dem Moment, wo Du eine neue Karte beantragst, wird die alte wertlos. Sprich: in der Filiale zersägt. Was doppelt blöd ist, wenn Du in ein paar Tagen wieder nach L verreisen willst bzw. musst. Wie bezahlst Du dann unterwegs? Also erstmal nur die EC-Karte neu anmelden und für die neue Kreditkarte muss ich dann eben in vierzehn Tagen noch mal hin. Aber okay. Bewegung tut gut, findet ja auch mein Fitnesstracker. (Dieses blöde Ding, weißt Du, da steigste zum Beispiel mal ein einige Treppen hoch, wo Du denkst, hoffentlich kommste bald an, bevor Du auf den letzten Stufen noch das Zeitliche segnest - und in genau diesem Moment vibriert es am Handgelenk und das blöde Teil fragt Dich allen Ernstes, ob Du überhaupt noch trainierst oder es abgeschaltet werden kann. Kannste Dir so ne Frechheit vorstellen? Ja, kannste bestimmt, sowas würde ja normalerweise auch von Dir kommen :))
Meine andere Bank meinte, ich könnte das online erledigen, meinte aber mit Online: Sie können sich die PDF herunterladen, ausdrucken, unterschreiben, eine Kopie der Eheurkunde anhängen und postalisch von A nach B schicken. Eyesroll, kann ich Dir sagen - aber das war noch nicht das Beste.
Das Beste ist das hiesige Bürgeramt. Die bieten Termine bis maximal in drei Monaten, weil sie genau wissen, dass sie jeden Tag mehr als ausgebucht sind. Beim ersten Termin fragte mich die sehr nette Dame, warum ich zum Ummelden nicht gleich noch den Antrag auf den neuen Personalausweis mitgebucht hätte. Hä was? Ich dachte, deswegen bin ich hier? Nein, Sie haben sich nur zur Namensänderung angemeldet, Antrag auf Personalausweis muss extra gebucht werden. Obwohl der Wartebereich draußen proppenvoll war, meinte sie, wenn ich n Passbild dabei hätte, würde sie es jetzt einfach mit einschieben. Hatte ich aber leider nicht. Hätte ihr nur eins vom Mann oder wahlweise von den Söhnen anbieten können, aber na ja. Die sind sowieso (glaube ich) älter als 5 Jahre und DAS wusste ich schon, dass DAS auf dem Amt nicht akzeptiert wird. Dir könnte ja inzwischen ein drittes Auge auf der Stirn gewachsen sein!
Die war aber wirklich nett, der konnteste gar nicht böse sein. Die wollte noch meinen Führerschein sehen und wir haben dann beide ein bisschen herumgegackert. Das Foto is um die zwanzig Jahre alt, da war ich noch blond (gefärbt bitte sehr!) und wir amüsierten uns köstlich über die Friese von Anno Dunnemals.
(Wusstest Du eigentlich, dass man den Führerschein nicht ummelden muss, nur kann? Es sei denn, Du hast die gesetzliche Frist erreicht, ja, dann musste halt. Aber sonst nicht. Wusst ich auch nicht. Und DAS in Deutschland! :))
Jedenfalls: Ich bin dann einfach nach Hause geeilt, habe den Rest des Tages und den nächsten Morgen damit verbracht, einen neuen passenden Termin zu erhaschen. Und wähnte mich glücklich, tatsächlich für Freitag einen zu bekommen.
Habe Passbilder in der Tasche gehabt vom Antrag auf Ausweis im letzten Jahr, als ich noch nicht wusste, dass der Mann begehren würde zu ehelichen. Stimmst Du mir zu, dass man davon ausgeht, dass man die nehmen darf, weil noch nicht mal ein Jahr her?
"Nein, das geht nicht, wird von der Bundesdruckerei abgelehnt", sagte dieser schnöselige Fatzke. Weißt Du, so einer mit gegelten Haaren, der gerade ein Lob vom Vorgesetzten eingestrichen und diesem dafür fast bis zur Halskrause in den Allerwertesten gekrochen war. Die hab ich ja gerne! Vor allem, wenn die einen dann noch so von oben herab behandeln. Neben Ungerechtigkeit bringt mich nichts so schnell aus der Fassung wie Arroganz! Da vergesse sogar ich mal meine gute Kinderstube - und das hab ich an diesem Tag auch, aber eins nach m anderen. Will Dich ja nicht überfordern mit Deinen Cocktails, die Du da derzeit zu Dir nehmen musst.
Woher soll man auch wissen, dass man dasselbe Passfoto nicht nochmal nehmen darf, auch wenn der vorherige noch nicht mal ein Jahr alt ist? Warum das nicht geht, wollte ich wissen. Du kennst mich, ich will ja die Dinge oft auch verstehen. (Manches is mir ja auch vollkommen wurscht, aber weißt Du, wenn man da extra noch ein zweites Mal hinstiefeln muss, nur um endlich diesen blöden Ausweis beantragen zu können, dann wird man ja noch mal fragen dürfen?)
"Das ist nicht gestattet, das ist eben so!" wurde ich abgebügelt.
"Sie können schnell zum Automaten gehen, der ist einen Wartebereich weiter. Und achten Sie bitte darauf, dass keine Haare in den Augen sind. Auch nicht an der Seite. Wenn die Haare Schatten werfen, muss ich das Foto ablehnen."
Da hab ich schon mal dezent tief Luft geholt, aber nix gesagt. Is ja nich so, als hätte ich noch nie Fotos machen lassen und wäre dieser scheißblöde Automat dort nicht quasi schon mein bester Freund.
Also Fotos machen lassen, alle Haare aus der Stirn gezwirbelt, damit das Cortison-Mond-Gesicht so richtig schön aufgehen konnte, aber scheiß drauf, wen interessiert schon ein Foto im Personalausweis?
Wieder zurück, gewartet, wieder Platz genommen... nur um dann den herablassenden Auswurf des Gegenübers wahrzunehmen: "Ich habe Ihnen doch EXTRA gesagt: Die Haare NICHT in die Augen! Ich muss das Foto ablehnen!"
Kurz vermutete ich sowas wie "Versteckte Kamera", aber ne, der meinte das völlig ernst!
Ich erbat mir das Foto, ums mir selber anzuschauen, aber ich sah.. NIX! Kramte die Brille aus der Tasche und sah wieder.. NIX! Gut.. Der Mann rügt ja immer, wieso ich nicht eine von diesen drölfzig Brillenetuis nehme. Meine Brillen seien wahlweise entweder immer mit klassischem Fingerabdruck direkt im Sichtfeld oder hätten Kratzspuren. Dazu muss man sagen, war der Kabuff dort tatsächlich beschissen beleuchtet. Sowas wie n Keller mit drei Funzeln. Fazit: Ich habe wirklich ehrlich KEIN Haar in der Suppe überm Auge gesehen, scherzte noch: "Meinen Sie das da? Das is ne Falte, kein Haar."
Er meinte dann, ich hätte ja wohl keine Falten im Auge (*kreisch*), und dann sprang der auf und riss die Arme hoch. Ob ich ihm sagen wolle, dass er lüge oder was ich ihm unterstellen wolle?! Hä? Was war denn mit dem los? Ich hab nur eben dieses verkackte Haar nicht gesehen und ich WOLLTE ENDLICH DIESEN BLÖDEN AUSWEIS BEANTRAGEN!
Kannst Du Dich mir da vorstellen, wie mir DA die Haare zu Berge standen?
Im Nachhinein könntsch ja drüber lachen:
"Da ist ein Haar!"
"Ich seh aber kein Haar!"
"Da ist aber ein Haar!"
"Tut mir echt leid, ich seh da kein Haar!"
Aber dort im Termin war mir tatsächlich nicht nach Lachen - und mir ging auch erst später auf, was genau mich eigentlich so wütend gemacht hatte: Das war seine herablassende Art und Weise und vor allem der Tonfall, wie er mit mir sprach. Das kann ich echt auf den Tod nicht ab, wenn Menschen sich so geben.
Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich hätte einfach gesagt "Ach huch, schauense mal, da hat sich doch noch ein Haar übers Auge gelegt, gehen Sie schnell nochmal, ich nehm derweile den nächsten dran, und dann kommense einfach nochmal her."
Wäre das nicht das Einfachste gewesen? Bei seinen Kolleginnen geht sowas nämlich durchaus. ER konnte das nicht. Oder wollte es nicht. Er riss noch mal die Arme hoch (solche Gesten habsch ja auch gerne, weißte) und wollte wissen: "Wollen Sie vielleicht, dass sichs noch ein anderer anguckt, oder was?"
Und DA hatte er mich und ich antwortete: "Ja, das möchte ich bitte!"
Der guckte mich so fassungslos ob meiner Antwort an wie ich ihn wütend anstarrte ob seines Habitus.
Provokation hin oder her - JETZT wollte ich das. Ich sah nämlich immer noch kein Haar und näherte mich obendrein gefährlich meiner eigentlich hoch angesetzten Hutschnur. Also drückte er das Foto seiner Kollegin in die Hand und die meinte nach nem kurzen Moment: "Ja, ich seh da auch ein Haar."
Er meinte noch, ich könne ja nächsten Freitag nochmal kommen. Obwohl ich grad erst gesagt hatte, dass ich kommenden Freitag nicht da bin.
Weißt Du, P., mir ist das wirklich zum allerersten Mal passiert, dass ich mir die Fotos und den alten Ausweis mit einem Griff genommen und ihn stehenlassen habe. Eigentlich hasse ich sowas. Das ist genauso wie mitten im Telefonat den Hörer frustriert auf die Gabel zu schmeißen (hach! manchmal vermisse ich ja so ne Möglichkeit). Macht man nicht, gehört sich nicht! Vor vielen Jahren hatte ich mal einen Typen an der Strippe, der mich tatsächlich beleidigte, nur weil ich mich meiner Aufgabe entsprechend quer vor die Tür zum Chef gelegt hatte und niemanden durchließ. Bildlich gesprochen natürlich, was denkst Du denn?
Ich hab ihm die ganze Zeit zugehört und den labern und ausufern lassen und als er dann fragte, ob ich noch was dazu zu sagen hätte, antwortete ich: "Ja, habe ich: Ein Gespräch auf dieser Ebene ist mir zu dumm. Schönen Tag noch."
Schönen Tag noch - hab ich wirklich gewünscht.
Hättsch am Freitag also wenigstens auch machen können. Erziehung und so! Haltung bewahren! Aber kennst Du auch so Situationen, wo einem das einfach nicht mehr gelingt? Wo man zum einen so dermaßen wütend ist, dass man gleich wie ein Flummi aus dem Raum springt - und zum anderen so sprachlos und irgendwie auch überfordert ist?
Kennst Du eigentlich auch diesen Spruch, dass man einer wütenden Frau von weitem ein Stück Schokolade zuwerfen soll? Müsste ich dem Mann vielleicht noch mal zur Erinnerung schicken, denn nach seinem Spruch "Geh erstmal nach Hause und kühl dich ab" wäre ich am liebsten stante pede ins Bürgeramt zurückgestiefelt und hätte die Scheidung beantragen wollen!
"Entschuldige, ich wollte doch nur was Liebes sagen!" schmollte der noch.
Ey was? WAS LIEBES? Was is n an DEM Spruch LIEB???
Ich war so aufgebracht, dass ich mir keine U-Bahn-Rückfahrkarte kaufte, sondern den ganzen Weg nach Hause gegangen bin. Ach, was heißt gegangen.... mit fliegenden Haaren und wehenden Schrittes nach Hause geflogen - oder so :)
Na ja, was soll ich Dir erzählen... Zwei Kaffeepötte und eine Kirschschnitte später hatte sich der Puls spürbar gesenkt. Bei Tageslicht draußen habe dann endlich auch ich dieses verschissene Haar überm Auge gesehen. Ich habe mir dann am Abend in der Stadt beim Fotografen Passfotos anfertigen lassen, biometrische natürlich. Und DIE Bedienung dort war wiederum so herrlich sympathisch, dass mir da schon wieder s Herz aufging. Und nachdem der Geheiratete mir einen lecker Milchkaffee ausgab, um die Wartezeit bis zur Abholung der Passfotos zu überbrücken, und ich Beine baumelnd dem ordentlichen Gewitterguss vor der Tür zusah, da war meine Welt dann auch wieder völlig in Ordnung.
Muss ich jetzt also nur nochmal am kommenden Montag noch vor meiner eigentlichen Aufstehzeit und vor allem vor Reiseantritt zum dritten Mal ins Bürgeramt - wegen einem einzigen Ausweis.
Bei meinen Online-Shopping-Konten übrigens konnte ich fast überall problemlos meinen Namen ändern. Bis auf einen, der mir jetzt schrieb, dass sie eine Personalausweiskopie haben wollen. (Ob ich DAS will, weiß ich noch nicht. Bin eher geneigt, das Konto dann eben zu löschen.) Aber welchen wollen die jetzt eigentlich - den alten oder den neuen? *kreisch*
Hach P., ich vermisse Dich. Du würdest gar nicht versucht haben, mich runterzubringen. Du hättest vermutlich so lange mit in meine Kerbe geschlagen, so dass ich dann selber hätte lachen müssen. Wir hätten uns mit Käffchen bis zur Halskrause zugeschüttet und über meine romantische Vorstellung, die mit dem Ehelichen eines geliebten Menschen verbunden ist, kaputtgelacht, weil die offensichtlich ziemlich dolle an der behördlichen Realität vorbeischrammt.
Aber egal. Jetzt hab ich J wie JA gesagt - jetzt kann ich das B wie Behörde auch noch singen :)
Was ich in der letzten Nacht träumte, weiß ich nicht mehr. Hab ich überhaupt etwas geträumt? Immerhin war die Nacht recht kurz. Der Junge rief mich gestern an und fragte, wann ich eigentlich wieder in L sei - und hieraus entwickelte sich wie schon vor einigen Tagen ein Telefonat von gut eineinhalb Stunden. Und wie schon vor einigen Tagen beschränkte ich mich fast ausschließlich auf das Zuhören. "Mein Auskotz-Stream", benannte der Junge unser Telefonat und ich dachte, was für ein Glück, dass er das überhaupt tut. Viel zu vieles frisst er in sich hinein, macht er mit sich selbst aus. Was grundsätzlich vielleicht positiv sein mag, kann einen aber auch irgendwann von innen heraus zerfressen. Ich hatte das Gefühl, dass er so sehr wie lange nicht darauf wartet, dass ich wiederkomme - und ich musste daran denken, wie der Mann und ich aktuell Wohnungsinserate rauf und runter suchen, um lang gehegte Pläne nun endlich in die Realität umsetzen zu können.. Wie gut das hoffentlich auch für meinen Jungen werden könnte. Bis 3.30 Uhr lag ich auf dem Sofa, ließ mich berieseln vom Nachtprogramm und der Kopf war so hellwach, die Gedanken drehten so derart im Kreis, dass ich einfach nicht in die Schlafruhe fand. Dass ich mich dann irgendwann doch ins Badezimmer aufraffte, war eher der Vernunft geschuldet und der Tatsache, dass ja heute wieder ein Arbeitstag ist.
"Guten Morgen Geburtstagskind" flüsterte der Mann mir heute Morgen in aller Herrgottsfrühe zum Abschied zärtlich in das Ohr, "wir sehen uns dann heut Nachmittag". Ich lächelte, mummelte mich tiefer in die Decke, dehnte und streckte mich wie ein Kätzchen - und schlief noch einmal ein. Nicht ohne daran zu denken, wie eigentlich mein Leben früher war. Wie wenig erfüllt. Wie zerfressen von der Sehnsucht nach einem Leben, in dem ich mich wohl und glücklich fühlte. Ich wusste nicht, was es bedeutete, "angekommen" zu sein, weil ich es noch niemals vorher erlebt hatte. Das Leben vor dem Mann war eher eins, das immer vom Wunsch dominiert wurde, nicht nur die Randfigur zu sein. Nicht nur zusehen zu müssen. Nicht das zur Gewohnheit gewordene Möbelstück und aber auch nicht nur der Ersatzspieler zu sein. Sondern einfach... ich. Mit all dem, das mich ausmacht. Dass das jemand genau so haben wollte - und dass mir mit diesem Menschen auch keine Wünsche mehr offen bleiben würden. Und jetzt.. Heute Morgen, in dem Halbdunkel unseres Schlafzimmers, in dem Bett, das ich so liebe, weil ich darin so gut wie kaum sonst irgendwo schlafe, da fühlte ich mich einmal mehr angekommen. Einmal mehr glücklich mit dem Leben, das ich hier führen kann und mit dem Mann, der mir pünktlich zur Aufstehzeit noch einen Screenshot seiner heutigen Terminerinnerung schickte.
"Was wünscht man denn jemandem, der schon alles hat?" fragte mich der Chef heute Morgen und ich lächelte, antwortete darauf aber nicht. Es sind sehr persönliche Dinge, die ich mir wünsche: Dass es meinen Jungen gut geht. Dass der eine nicht zu sehr vereinnahmt wird, so dass alles komplett hinten runterfällt - und der andere aus seinem Tief wieder herausfindet und endlich auch mal so etwas wie ein bisschen Glück hat. Es gibt so viele Menschen, die so wenig Glück im Leben haben, obwohl sie es einfach verdienen - und er gehört absolut dazu. "Ach was solls, ich hab mich damit arrangiert", hat er gestern gesagt. "Wenn das so wäre, würde es dir ja nicht so weh tun", hab ich leise widersprochen.
Liebes Universum, wenn Du mich also hörst.. Ich wünsche mir einfach nur ein bisschen Glück für meine Jungen. Denn wenn es ihnen gut geht, dann kommt alles andere ganz von selbst.
Dieser Spruch "Erst auflegen, dann Arschloch sagen" wird für mich heute zur peinlichen Realität. Aber ist mir an der Stelle tatsächlich nur ein ganz klein wenig peinlich. Sorry Guy, aber kam von Herzen :)
Nr. 2
Sich Rhabarberkompott in der Mittagspause kochen zu wollen, ist eine nette, aber schlichtweg dumme Idee. Stichwort: Telefonterror. Stichwort: Rauchmelder im Arbeitszimmer ;)
Nr. 3
Bin ich eigentlich der einzige Depp, der trotz intermittierenden Fastens (6/18) eher zu- statt abnimmt? Zum Kotzen ist das. Ungerechte, blöde Welt. Und nein, ich nehme in den 6 Stunden nicht mehr Kalorien als "erlaubt" zu mir, viel zu oft sogar weit unterm erlaubten Schwellenwert. Und ja, ich mache auch immer noch Sport (muss ich auch, sonst rächt sich das bitter auf der Schmerzskala). Und nein, ich stelle kein Muskelwachstum an mir fest. Und nein, die Klamotten passen jetzt auch nicht viel besser als sonst. (Aber wenigstens auch nicht schlechter ;))
Nr. 4
Menschen, die ihr Leistungslevel schon vor Jahren von hundert auf schätzungsweise maximal fünfzig Prozent runtergefahren haben, beklagen sich noch immer, dass sie zuviel arbeiten und es ihnen keiner dankt. Das sind übrigens die, die aus Lust & Laune heraus Immobilien und Luxusschlitten kaufen, dich rund um die Uhr anrufen, wochentags, an Wochenenden und Feiertagen - und das meistens wegen ihrem Privatkram, egal ob du beispielsweise grad mit eigenem Kummer oder zum Beispiel auch unter Magenkrämpfen auf der Porzellanschüssel um dein Leben kämpfst *harhar*, während du beinah täglich bis in den Abend hinein damit beschäftigt bist, deren berufliches und auch privates Chaos zu ordnen.
Nr. 5
Wer billig kauft, kauft zweimal? Pfff. Ich kenne einen, der fährt nen hunderttausend-Euro-Schlitten - und ruft mich regelmäßig auf seinen langen Fahrstrecken an, weil sein Navi ihn wahlweise unbegründet von der Schnellstraße leiten oder ihn blindlings in nen kilometerlangen Stau reinfahren lässt. S gibt da so ne Webseite, nennt sich verkehrslage.de - super zuverlässig - fast so gut wies Google-Navi ;) Und mindestens für letzteres brauchste keine teure Kutsche mit super modern eingelassenem Navi, das auch bloß Quark erzählt, wenns denn überhaupt was erzählt.
Nr. 6
Der Empfindlichkeitssensor bei Menschen ist schon recht erstaunlich ausgeprägt. Stichwort: Das Gleiche ist nicht dasselbe.
Nr. 7
Was ich immer wieder feststelle: Kaum etwas ergreift Menschen mehr als der Gedanke an ihren eigenen Edelmut 😉
Was lerne ich aus allem? Nicht aufregen, nur wundern. Und: Ein Käffchen löst keine Probleme. Schmeckt aber tausendmal besser als ein blöder Grüntee - und das entspannt - jedenfalls bei mir - markant den Blutdruck. In diesem Sinne: Holladiarrhö - es ist langes Pfingstwochenende, zelebrierts oder lasst es bleiben, aber egal wie: Lassts Euch gut gehen :)
"Für mich musst du das nicht machen, ich brauche keinen Kuchen", sagt der Mann hin und wieder, wenn er mir dabei zusieht, wie ich in Rezepten herumkrame oder mich zu etwas Neuem inspirieren lasse.
"Weiß ich", antworte ich dann meistens nur - und mache trotzdem weiter. Stelle mich in die Küche, ziehe die Kopfhörer auf und lasse mich treiben, drehe mich, wiege mich im Takt der Musik, singe manchmal mit, während ich das Equipment nach und nach aus den Schränken hole und mir die Zutaten bereitstelle.
"Außerdem ist es Genuss ohne Reue", sage ich dann beinah genau so oft und verweise auf kalorienbefreite Zutaten und die Vorliebe für Dinkel- oder Mandelmehl statt Weizen.
Vermutlich habe ich in meinem ganzen bisherigen Leben nicht so oft - oder besser gesagt: so regelmäßig - gebacken wie derzeit. Ich könnts ja genauso machen wie der Mann: mich einfach aufs Rad schwingen oder joggen, bis der Hausarzt abwinkt. Zwar schwöre ich nach wie vor auf die dem Yoga sehr ähnlichen Übungen, die mir vor allem im Kampf gegen den Körperschmerz tatsächlich gute Dienste leisten. Aber den Kopf frei pustets mir aktuell während der schätzungsweise 50minütigen sportlichen Betätigung mit musikalischer Untermalung eher nicht. Vielleicht brauchts dazu ja wirklich auch die frische Luft und so. Könnte mich also wie andere an die Isar legen und dort hin und her biegen. Anschließend vielleicht sogar gleich mal ins eiskalte Wasser springen. Der Mann nämlich beobachtet dort beim Joggen seit einiger Zeit ein Paar, beide vielleicht um die 70 - 80 Jahre alt, die den Mut dazu aufbringen.
"Das könnte ich mir für uns auch vorstellen", sagt der Mann. "Ist auch gut für die Haut!"
"Das sind Apfelsinen auch", bügle ich seine neueste Idee kurzerhand ab und lege demonstrativ statt der bisherigen zwei großen Navelinas gleich zwei ganze Kilogramm davon in den wöchentlichen Einkaufskorb. Ich und eiskaltes Wasser! Wie lange kennt er mich?
Als ich noch allein mit meinen Kindern lebte, da hing alles an mir: der Job, der Haushalt, jede Entscheidung für uns als Familie und für jeden einzelnen von uns. Jedes Kümmern bei Krankheit und verhassten Schulaufgaben. Jedes Kümmern bei aufgeschlagenen Knien oder Kummer. Jedes Kümmern um einen Kontostand, der den Kindern und mir ein warmes, behagliches Zuhause mit einem vernünftigen Essen auf dem Tisch irgendwie sicherte. Zu Beginn meines Singleseins war diese Aufgabe für mich vollkommen neu. Würde ich damals schon die Wege und deren Konsequenzen mal von A bis Z durchdacht haben, hätte ich vermutlich Angst (vor mir selbst) bekommen. So aber habe ich mich Anfang 2003 einfach hineingestürzt und habe.. einfach gemacht. Was anderes blieb mir auch gar nicht, denn nur eins war noch größer als die Angst vor dem Scheitern: zurückzugehen in das bisherige Leben.
Seit Februar 2005 nun begleitet mich obendrein auch diese ominöse Schmerzerkrankung.
Und irgendwann, mit den Jahren, mit der Zeit... Da wurde ich irgendwie müde. Ich selbst hab das gar nicht so realisiert, mein Umfeld schon. (Heute, rückblickend, sehe ich das übrigens auch. Manche Fotos sind so gruselig, dass ich sie klammheimlich vernichte.) Mehr als nur einmal kam ich an diesen Punkt, wo ich mir leise wünschte, es würde nicht alles immer nur an mir allein hängen. Würde nicht immer nur ich gefordert sein. Dass mir jemand die Verantwortung abnimmt, die Aufgaben abnimmt, darum ging es mir nicht. Aber ich wünschte mir jemanden, wo man sich Aufgaben entweder auch mal teilen konnte oder aber mir das Miteinander Fluchten bieten würde. Diese kleinen Inseln meines Alltags, die mit der Blümchenwiese, auf die ich mich retten konnte. Diese Inseln, auf denen ich mich mental in der Sonne aalen, meinen Lieblingskaffee schlürfen, die Sonnenbrille auf der Nase balancieren und die Beine baumeln lassen konnte. Allein daraus kann ich unfassbar viel Energie ziehen, und in diesen bewegten Jahren war das.. eher ein seltenes Highlight.
Das änderte sich, nachdem der Mann und ich uns nach dem vierten oder fünften Neustart beschlossen hatten: Jetzt versuchen wirs aber mal richtig - und ich dann irgendwann auch zu ihm zog. Das Leben pendelte sich ein in eine Gemütlichkeit, von der mich manchmal das Gefühl überkam, als würde es seicht und unaufgeregt an mir vorbeiplätschern. Dieses Gefühl jedoch hielt nur wenige Wochen oder maximal wenige Monate. Jetzt erlebte ich das, wonach ich mich in den Singlejahren gesehnt hatte - und dachte: Huch na ja.. Öhm.. Hoffentlich driften wir jetzt nicht ab in ein langweiliges Leben?
Natürlich kamen dann auch wieder andere Zeiten. Berg hoch, Berg runter, das Leben in Achterbahnen, Schlängellinien und kleinen Parkbuchten links und rechts. Im Moment wünsche ich mir weder ein bewegteres noch ein ruhigeres Leben - sondern einfach eines, in dem die Menschen glücklich sind. Am allermeisten wünsche ich mir das von meinen Söhnen.
Der eine hat seinen Schlaganfall überstanden und trainiert noch immer die Muskulatur, um die Lähmung im Gesicht zu überwinden. Wenigstens ist die Lähmung der Zunge zurückgegangen; ich denke, das ist ein gutes Zeichen. Auch wenn er sich als Souvenir aus der Klinik noch einen Keim mitgenommen hatte. Ich dachte noch an den Kinderarzt von früher, als sie noch klein waren.
"Wenn Kinder zu mir kommen, denke ich immer, das ist alles ganz einfach, ich gebe dies und das. Aber bei Ihnen weiß ich, dass IMMER noch etwas hinterherkommt. Dass das bei Ihnen eben NICHT so einfach ist." Daran dachte ich einmal mehr, als der Junge dank Medikamenten auch den Krankenhauskeim überstanden hatte - und gleich im Anschluss an Corona erkrankte.
Da dachte ich dann schon auch: Ey....
Und mein Großer? Der ist gesundheitlich fit wie ein Turnschuh, trotz Rauchen und wenig Essen, trotz der Doppelbelastung von Vollzeit- und Nebenjob. Aber dafür.. hängt seine Seele ordentlich durch. Er ist einfach zuviel allein, er weiß das und er fühlt das - nur ändern lässt es sich nicht.
Zu Beginn des Mai habe ich sie mir beide noch eingepackt und mit an das Meer genommen. Nur für ein Wochenende und eigentlich, um meine Mama zu überraschen. Eigentlich hatte der Große gar nicht so recht Bock auf das alles, die weite Fahrt, der Aufwand - und das alles "nur" für eine Nacht?
Mich selbst aber erinnerte dieser Trip an früher, als sie eben noch klein waren. Als ich Kind und Kegel in mein Wägelchen lud und sie mit ans Meer nahm. Er hat immer gefragt: "Sind wir bald da?" oder "Wie lange dauert das noch?" oder "Jetzt überhol den doch mal!"
Inzwischen fragt er gar nichts mehr, er streckt sich einfach auf der Rückbank aus, hört Musik und daddelt, schläft nach der Nachtschicht auch mal ein Stündchen ein - aber sobald wir die Insel betreten, da schaut er mit blanken Augen in die Welt.
Und nur einen Tag später, am Abend vor der Rückreise, da stand er vor seinen Großeltern, lächelnd, wehmütig, und er sagte: "Ich will hier nicht weg."
Dieser Satz geht mir seitdem immer wieder im Kopf herum. Ich weiß genau, was er und wie er sich gefühlt hat. Dass er dasselbe fühlte wie ich: die Erinnerung an eine Zeit, die für ihn eine bessere, eine entspanntere war. Eine Zeit des Miteinanders vor allem mit seinem Bruder, an dem er so hängt. Weil er mit diesem wiederum eine Zeit verbindet, in der sie vor allem sich hatten und wussten, dass sie einander hatten. Eine Zeit, in der die Eltern getrennte Wege gingen und Auseinandersetzungen dennoch kein Ende zu nehmen schienen.
Ich wusste das alles, noch bevor wir am vergangenen Wochenende sehr lange miteinander sprachen.
Und all die Jahre war ich mir sicher, dass meine Söhne und vor allem er immer eins NICHT waren: Mitläufer, die aus einem Gruppenzwang heraus Dinge tun, die falsch (für sie) sind.
Das hatten mir doch all die Jahre letztlich auch bewiesen.
Und dann musste ich in dem langen Gespräch mit ihm erkennen, dass die Einsamkeit, diese verdammte Einsamkeit Menschen dazu bringen kann, Prinzipien über den Haufen zu werfen. Nicht weil man um jeden Preis dazugehören will. Sondern weil man... einfach drauf scheißt. Weil einem ab irgendeinem Punkt alles irgendwie egal ist.
Das hat mich ziemlich.. erschüttert.
Auch weil ich immer, wirklich immer stolz und froh war, gewisse Sorgen um und mit meinen Jungs nicht zu haben, nicht gehabt zu haben.
Vergangene Woche habe ich ihn einfach reden lassen. Ihm einfach nur zugehört. Ich war zutiefst erschrocken, aber wiederum froh und dankbar, dass er mir überhaupt davon erzählte. Dass er mir versicherte, dass es keine Wiederholung geben würde - und der Kontakt zu jener Gruppe seither auch wieder eingeschlafen sei. Wie es halt zuvor ja auch gewesen war. Ich baue darauf, ich vertraue darauf. Das muss ich einfach.
Aber da, wo andere Menschen sich im Sport abrackern, auf der Bühne den Schweiß aus dem Körper tanzen oder singen - da stehe ich in meiner Küche, schaue nachdenklich zum Fenster hinaus und backe dem Mann den hundertzweiundzwanzigsten Kuchen.
Über diesen Artikel bin ich heut gestolpert, während ich nach der Arbeit einfach nur die Beine hochlegen und mich der Musik hingeben wollte. Draußen ist es schon längst dunkel geworden, vom eigentlich trüben Tag haben die kleinen Lampions draußen dennoch genügend Licht mitgenommen, das sie nun aufflammen ließ.. Ich liebe diese Stimmung so sehr.. Dieses Verträumte, die Stille, diese furchtlosen Momente, solange man an nichts denken muss..
Der Mann ist noch unterwegs, irgendeine Party, zu der er eigentlich gar nicht gehen wollte - und meistens sind genau die die besten. So will es das Gesetz. Insofern breite ich mich hier aus in diesem dunklen Raum, nur schwach beschienen vom Licht des Bildschirms, von den kleinen Lampions draußen vor dem Fenster, löse mich auf in tausende kleine, zart vibrierende Noten, verteile mich im Zimmer, bin überall und nirgends und doch hier.. So wie meine Gedanken.
Bis ich dann jenen Artikel las und in mich hinein fragte, wie ich jetzt und hier und ganz spontan auf diese fünf Fragen antworten würde?
Was erwartest Du vom Leben?
Nichts. Tatsächlich nichts.
Irgendwann mal, vor vielen Jahren, da hat mich jemand, zu dem ich schon seit ein paar Jahren keinen Kontakt mehr habe, gelehrt, dass der Mensch keine Erwartungen haben dürfte. Weil er selbst dann zwangsläufig enttäuscht werden muss. Und weil sein Gegenüber zwangsläufig nur verlieren konnte.
Was kann ein anderer Mensch für das, was wir uns wünschen, wonach wir uns sehnen?
Vielleicht passt es gar nicht zu dem, was der andere Mensch gerade geben möchte oder kann?
Und warum sollte es die Aufgabe eines anderen Menschen sein, die eigenen Erwartungen zu erfüllen?
Vor noch mehr Jahren, in einem "anderen" Leben, da sagte jemand zu mir: "Ich will derjenige sein, der dich glücklich macht." Zu jener Zeit fand ich den Gedanken schön. Ich liebte das Gefühl für mich, das aus diesen Worten entsprang. Obschon wir vermutlich beide schon zu jener Zeit wussten, dass es so nicht werden würde. Nicht werden konnte.
Der Schmerz danach blieb sehr lange. Und als mir dann jemand begegnete, der mir sagte, der Mensch dürfe keine Erwartungen haben, da fragte ich wütend, ob das dann eine Art Freifahrtschein sei, dass jeder machen könne, was er wolle, ganz gleich, was es für den anderen bedeutete?
Damals wusste ich nicht, dass ich mit dieser Empfindung vollkommen falsch lag. Aber irgendwann habe ich das verstanden. Begriffen. Mitgenommen. Und für mich umgesetzt.
Heute mit dem Mann in meinem Leben, da schmunzle ich oft und denke, dass genau diese Erkenntnis mir hilft in meinem Leben. Mehr als ihm. Ich erwarte beispielsweise nicht, dass man mir die Tür aufhält oder in den Mantel hilft. Ich erwarte nicht, dass der Nachbar in seiner Wohnung raucht statt vor seiner Haustür, was dank der räumlichen Gegebenheiten dann unweigerlich durch unsere Wohnung zieht. Ich erwarte nicht, dass sich jemand um mich kümmert oder für mich einkauft, wenn ich krank im Bett liege.
Aber ich freu mich immer sehr, wenn genau das geschieht. Ich freu mich über jede einzelne Geste oder das Lächeln eines fremden Menschen im Vorbeigehen, in der U-Bahn, irgendwo in der Stadt, weil er nichts tun muss, aber es trotzdem tut. Für mich oder einfach so.
Und ich bin sehr dankbar darüber, dass der Mann und ich ein gemeinsames Leben haben, weil wir es so wollen. Dass wir Mann & Frau werden wollen, nicht müssen.
Was erwartest Du von der Liebe?
Nichts mehr.
Ich empfinde es ähnlich wie mit dem Leben: Ich habe keine Erwartungen mehr.
Bevor der Mann und ich zusammenzogen, da hatte ich mir schon etwas beklommen die Frage gestellt, wie dieses Leben werden würde. Ob das überhaupt passt, wenn er als Frühaufsteher den Tag mit unfassbar viel Leben füllen möchte, während ich Wochenenden geradezu zelebrieren kann in all ihrer Herrlichkeit. Puzzeln, Malen, Musik hören, vielleicht ein bisschen Wäsche bügeln, das Zuhause gemütlich machen. Im Moment backe ich total gern und ich liebe diesen Geruch nach Vanille und Orange, diese warme Behaglichkeit.
Ich liebe es, dass der Mann sich überraschen lässt und mit mir gemeinsam die Beine ausstrecken kann. Auch allein zum Beispiel wie ein Irrer auf dem Fahrrad durch die Gegend hechtet und es liebt, wieder nach Hause zu kommen. Da, wo ich bin. Meistens jedenfalls :)
Ich liebe den Gedanken, dass er sich an jedem einzelnen Tag darauf freut, zu mir nach Hause zu kommen. Wie er mich dann anschaut. Wie er dann lächelt, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle und meine Arme um seinen Hals lege.
Ich liebe es, dass wir Abende lang Musik hören, mitsingen oder auch einander aus unserer Kindheit erzählen. Von Dingen, die uns bewegt haben, die wir geliebt haben. Wie wir waren.
Ich liebe es, wenn wir nebeneinander liegen, uns etwas vorlesen und unsere Gedanken dazu mitteilen.
Und ich liebe es sehr, wenn wir das Buch, das Handy, den Beitrag dann aus der Hand legen...
Kannst Du mit Realitäten umgehen?
Heute ja.
Ich gebe zu, meine Vorstellung von Leben und Liebe war schon ein bisschen Disney-World, ohne Disney je gekannt zu haben. DDR halt. Da gabs sowas nicht. Trotzdem - und warum auch immer - war mein Blick auf das Leben und die Liebe ein völlig verklärter, verträumter.
Wenn ich heute so manche DDR-Filme gucke, dann wundere ich mich immer, wie hysterisch die Frauen teils waren. Wie schnell die sich über irgendwas aufgeregt und dann losgeschimpft haben.
Als junges Mädchen ist mir das gar nicht so aufgefallen, heute aber schon.
Und je mehr mich die Realität einholte, desto klarer wurde der Blick, so dass ich zwar denke, ich hab heut schon noch immer ein Faible für das Romantische. Aber die Dimension hat sich verschoben. Vieles, das ich früher romantisch fand, empfinde ich heut als Kitsch.
Es darf nicht zu dolle sein, sonst werde ich misstrauisch. Und fühl mich unwohl :)
Bist Du bereit zu scheitern?
Ja. Ganz klar: Ja.
Irgendwann in meiner Singlezeit las ich von irgendwem den Satz: "Wer in der Liebe eine Garantie haben will, soll sich einen Kühlschrank kaufen, da gibts zwei Jahre drauf."
Ich für mich lebe den Gedanken, dass ich niemandem gehöre - und auch mir niemand gehört. Kein Mensch ist der Besitz eines anderen.
Dass man sich auch verlieren kann, wenn man sich liebt.
Dass man auch aufhören kann, einander zu lieben.
Heute weiß ich, dass ich daran nicht zerbrechen werde. Dass mein Leben auch dann immer noch lebenswert ist - und liebenswert. Ich weiß auch sehr genau, wie dieses Leben dann aussehen würde.
Heute weiß ich, dass ich auch allein bestehen kann.
Und nie mehr mit einem Mann zusammenziehen werde. Vielleicht hätte ich dann Katzen. Vielleicht auch einen Hund. Ich hätte Freundinnen und vielleicht auch einen Liebhaber. Viele Bücher und genug Platz für mein Malzeug und meine Musik.
Es wäre auch ein schönes Leben.
So wie es mit dem Mann jetzt und hier auch ein schönes Leben ist :)
Liebst Du Dich selbst?
Ja, ich denke schon.
Ich weiß noch, als mein geschiedener Mann und ich meinen Eltern gemeinsam sagten, dass ich mich trennen möchte. Der allererste Satz meines Vaters war: "Wie könnt ihr das nur tun, in der heutigen wirtschaftlichen Lage." Und nach einer Weile kam der zweite Satz: "Komm mir bloß nicht mit 'ich muss mich selbst finden' und so'n Scheiß!"
Das habe ich zu jenem Zeitpunkt weder gesagt noch gedacht.
Aber heute weiß ich, dass genau diese einsamen Jahre, die ich so oft verflucht habe, das Beste waren, das mir passieren konnte.
Ich musste lernen, allein zu leben.
Ich musste lernen, allein zu bestehen.
Allerdings lernte ich auch, niemandem so zu vertrauen, dass es mich abhängig macht. Ich lernte, nicht alles auf eine einzige Karte zu setzen und darauf zu vertrauen, dass schon alles gut würde.
Heute gibt es in meinem Leben immer ein Netz mit doppeltem Boden.
In meinem heutigen Leben habe ich mir alles so angelegt, dass ich jederzeit und überall neu beginnen könnte.
Das ist Selbstfürsorge, denke ich, und die gehört auch dazu, sich selbst anzunehmen und zu lieben.
Nein zu sagen, wenn ich etwas nicht möchte.
Aber ich gestehe, dieser Punkt ist ein Punkt, an dem ich noch etwas konsequenter arbeiten muss.
Wenn ich meinen eigenen Text so überfliege, noch bevor ich ihn veröffentlicht hab, dann denke ich, dass mir vermutlich doch einiges an Romantik und Leichtigkeit abgegangen ist in den letzten Jahren.
Aber dann lausche ich wieder auf den Klang der Musik, dann löse ich mich wieder auf in all die abertausend kleinen vibrierenden Noten, verliere mich in der Nacht draußen vor meinem Fenster. Erinnere mich an ganz vieles, das ich mag und das ich liebe - und dann wird tief in mir alles wieder.. ganz weich und anschmiegsam. Und sehnsuchtsvoll. Und überhaupt.