Sonntag, 27. März 2011

Mama, hilf mir!

Man sagt ja immer, dass Menschen, die aus Narkosen erwachen, alle möglichen oder unmöglichen Dinge erzählen, solange sie noch nicht wieder richtig "irdisch" sind, wenn ich das mal so formulieren darf.
Mir fällt da eine OP vor über zehn Jahren ein, wo auch ich im Vorfeld entsprechendes befürchtete und die Oberschwester zu meinem einstigen Ehemann sprach: "Tut mir leid, aber ich hab genau aufgepasst: Ihre Frau hat immer nur 'Mama! Papa! Oma!' gerufen; SIE waren nicht dabei."
Also irgendwie fand ich schon peinlich, als erwachsene, verheiratete Frau mit bereits einem eigenen Kind in unkontrollierten Zuständen nach Mutter & Oma zu rufen.
Gleichwohl fielen mir am heutigen ausgesprochen sonnigen Morgen genau diese Worte wieder ein, als ich zum ersten Mal nach bestimmt über drei Jahren nicht nur auf Inlineskates stand, sondern auch noch auf dieser Sorte Schnellfahrfraktion, die ich einfach noch nie an meinen Füßen gehabt hatte. Einst hatte ich mir zum Superschnäppchenpreis ein Paar Skates für schlappe zwanzig Euro ergattert (ich weiß übrigens, dass dieser Versandhandel bereits vor einigen Jahren pleite ging), die aber auch genauso fuhren: Nur mit größtem Schwung und überhaupt war ein Fortkommen je möglich und wenn ich das mal vergaß, blieb ich auch prompt stehen. Ein Stürzen war also praktisch fast unmöglich, wenn man sich nicht gerade komplett bescheuert anstellte - aber was ich heute erlebte... War eben die ganz andere Seite.
Super soft Rollen, leichtgängig, gut geölt vermutlich und kein noch so modriger Keller hatte ihnen je etwas anhaben können. Zwar zwei Nummern zu groß, aber hey, gut geschnallt und bestrickt klebten sie förmlich an meinen Füßen, während ich aufpassen musste, dass ich in Momenten, in denen ich von der Hand gelassen wurde, nicht bestenfalls ins Gras und schlimmstenfalls in den angrenzenden Graben stürzte.
"Nach vorne beugen!", "Lenken!", "Denk an die Technik!" war die stets wiederkehrende Belehrung, aber hey, auch multitaskingfähige Frauen kommen ins Schwitzen, wenn sie gleichzeitig auf die Koordinierung ihrer Füße, ihrer Beinhaltung, ihrer Armhaltung und auch noch einer Fahrtechnik achten sollen, von der sie in ihrem Leben noch nie etwas gehört hatten. Ließ Mann mich also los, nur um die bereits zerquetschte und mit Fingernagelabdrücken gemusterte Hand auszuschütteln, rollte ich - erstarrt wie einst Hiobs Weib - weiter, Körperhaltung 1A mit gebeugten Knien, einem herausgestreckten Arsch - aber unfähig zu lenken oder gar zu stoppen oder irgendwas - nur um vor der gefährlichen Grenze zwischen Asphalt und Rasenkante wieder eingefangen zu werden.
"Mama hilf mir!" habe in diesen gefühlsmäßig völlig unkontrollierten Momenten vermutlich nicht nur einmal gerufen und mich hernach aber schon gewundert, wieso man auch nach nunmehr einundvierzig Jahren in brenzlichen Situationen immer noch als erstes nach der Mutter schreit.
Ich hoffe, meine Söhne machen sowas nicht, wenn ihnen zum ersten Mal das Kondom platzt oder solche Sachen.
Aber immerhin - der Weg um den See misst exakt elf Kilometer, hab ich gerade nachgelesen - und die habe ich auch durchgehalten. Stolz wie Oskar, aber erschöpft wie nach der Geburt von Drillingen ließ ich mich anschließend auf dem nächstbesten Sitzplatz nieder, um die Inliner gegen die Turnschuhe mit super soft Sohle einzutauschen und nach Hause an den Frühstückstisch zu schleichen.
Bedenklich fand ich lediglich die Tatsache, dass kein Schwein mir glauben wollte, dass ich es tatsächlich um den ganzen See geschafft hatte. Jeder will jetzt Posemuggel-Schatzis Telefonnummer haben, um sich von der Wahrhaftigkeit meiner Erzählungen zu überzeugen. Pah. Als hätte ich es nötig zu lügen.
Und selbst Posemuggel-Schatzi findet, dass allein die Tatsache, dass er während der elf Kilometer, die ich zeitweise - zugegeben - ziemlich staksig vorangekommen war, nicht ein einziges Mal an mir herumgenörgelt hätte und jetzt vermutlich mit bandagiertem Unterarm auf dem Kanapee ruht, des Lobes genügend sei.
Noch mal Pah.
Ich finde, ich habe das super hinbekommen. Ich finde, ich kann ruhig stolz auf mich sein. Und ich finde, das Schokoladenei neben mir habe ich mir redlich verdient. Bon Appetit!

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