Donnerstag, 24. November 2011

Geh ein Stück von mir weg

...damit du mich besser sehen kannst.
Diese Worte gingen mir heute Abend spontan durch den Kopf, als ich den Kommentar zu meinem letzten Blogeintrag las. Irgendwie... ist es doch auf eine bestimmte Weise faszinierend, dass ein Mensch, der mich gar nicht kennt und auch nicht bei mir um die Ecke wohnt, mit einem Satz auf den Punkt bringt, was mir seit Wochen oder gar Monaten durch den Kopf und durch den Bauch geht, ohne dass ich wirklich auch imstande war, bewusst erfassen zu können, was eigentlich mit mir los ist...
Und jetzt begreife ich es endlich.
Ich will Veränderung. Veränderung, die weitaus mehr ist als sich das Haar abzuschneiden oder ein neues Auto zu kaufen. Ich will Veränderung mit jedem Zentimeter meines Körpers - und dennoch fehlt mir die Kraft dazu. Und das macht mich so müde, das macht mich stellenweise aggressiv, es macht mich schlaflos, unruhig - aber zugleich auch lethargisch. Aber ich habe das alles nicht begriffen - bis heute Abend nicht - und meinem eigenen Ich irgendwie so hilflos gegenüber zu stehen, erweckt Zorn in mir, den ich in mir trage, jeden Tag. Und der sich entlädt zum Beispiel in so nichtigen Momenten, wenn es mich nach einem Bürokaffee verlangt und die Kanne aber schon wieder leer ist. Leer, obwohl ich selbst erst frischen Kaffee aufgesetzt hatte; leer, obschon ich nicht einen einzigen Schluck davon genommen hatte. Leer - und keiner sagt einen Ton.
"Das ist so scheiße unkollegial!" habe ich wütend gebrüllt und einen neuen verdammten Kaffeefilter aus dem Schrank gezerrt.
"Du machst dir grad Luft", hat ein Kollege geschmunzelt, "bloß an der falschen Stelle."
Und heute Abend lese ich diesen Kommentar und endlich klickt es in meinem Kopf. Endlich löst sich diese unangenehme, widerliche Starre in mir. Ich meine... Mir gehts ja nicht schlecht oder so. Nicht wirklich. Und zuweilen glaubte ich auch, ich hätte diese starre Phase wieder überwunden. Nur um trotzdem jeden Tag mit dem Bewusstsein weiterzumachen, dass ich eben nicht weitermachte. Was für ein zähes, widerliches Gefühl.
Irgendwie will ich gerade so viel - und nichts von alledem vermag ich aber zu bewältigen.
Im Büro warte ich auf die Tage, die meine Auszubildende da ist. Weil sie mir dankbar alles abnimmt, zu dem ich mich nicht aufraffen kann. Die mir ungefragt meinen Lieblings-Schokopudding kauft, auf den Tisch stellt und sagt: "Ich glaub, Ihnen gehts grad nicht so gut."
Zu Hause angekommen, erledige ich alles automatisch: Essen zubereiten, Wäsche bügeln, Ordnung in die vier Wände bringen - doch am liebsten möchte ich einfach nur da liegen und in den Nachthimmel starren.
Ich möchte anders leben.
Woanders leben.
Mich auch nicht immer um alles kümmern müssen, nicht immer für alles zur Stelle sein müssen. Nicht immer alles nur an mir hängen wissen müssen.
Jeden Tag schiebe ich Dinge vor mir her, die ich zu erledigen hätte - und verschiebe sie Tag um Tag.
Ich müsste E-Mails beantworten - und verschiebe es Tag um Tag.
Meine "ruf doch mal zurück"-Liste wird immer länger - und ich verschiebe es Tag um Tag.
Ich fühle mich ständig hin und her gerissen zwischen Pflicht und Bedürfnis. Und tue am Ende... gar nichts.
Und jetzt... jetzt spür ich, wie diese Starre von mir bröckelt, abzufallen beginnt. Nur weil ich endlich realisiere, was eigentlich mit mir los ist? Eigentlich ist doch nichts passiert und eigentlich ist doch jetzt auch gar nichts anders wie noch heute Nachmittag? Aber hab ich nicht auch schon immer gesagt: "Wenn ich etwas verstehen kann, dann kann ich auch loslassen"?
Nach meinem letzten Blogeintrag  habe ich schon mit mir gehadert: "Du schreibst hier über deine Problemchen mit Körpergewicht, Haare, Haut und woanders kämpfen Menschen mit Krankheiten, in Kriegen, mit dem Hunger, mit dem Durst - und solltest dich eher glücklich schätzen, dass es dir gut geht, du ein warmes Zimmer hast, für sauberes warmes Wasser musst du nur den Hahn aufdrehen und im Kühlschrank hast du etwas zu essen. Hör auf mit der Jammerei, du widerst mich an!"
Und heute Abend... kommt Veneficias daher und mir war, als würde sie mich wachrütteln: "Es geht gar nicht um den Spiegel, es geht um mehr!"
Danke, Veneficias. Du warst weit genug weg, um mir so nah kommen zu können.
Ich glaube, jetzt bin ich wieder da. Jetzt bin ich wieder ich. Auch ohne einen neuen Spiegel. Und gleich morgen früh beginne ich mit dem Abarbeiten meiner Listen.

1 Kommentar:

Veneficias hat gesagt…

Hach...es freut mich so sehr, dass meine Worte so viel bei Dir bewirkt haben und als Denkanstoß dienten, denn ohne das Du es weisst (ja, ich weiß ich bin manchmal extrem kommentarfaul) tun Deine Worte dies auch all zu oft bei mir.
So auch gestern als ich Deinen Eintrag las und mir selbst bewusst wurde, dass ich im selben Hamsterrad der Nichtigkeiten laufe, nur um nicht an dem Marathon der essentiellen Dinge teilnehmen zu müssen.

Die to do Liste im Kopf ist schon längst geschrieben. Über diesen Schritt bin ich schon hinaus....
Das Problem ist, dass ich noch in Hauspuschen auf dem Sofa liege, statt die Joggingschuhe zu schnappen um in die kühle Luft der Veränderung einzutauche.