Montag, 6. August 2018

"Du musst ja auch mal an dich denken."

Dieser Satz eines Freundes auch im Hinblick auf mein aktuelles Arbeitsmodell und die ständigen Fahrten nach L schwebte mir im Kopf herum, als mir eine Freundin einen Beitrag zuschickte, der sich mit dem Pendeln und dessen Auswirkungen auf die Umwelt beschäftigte. Wenn ich ehrlich sein darf, habe ich den Videobeitrag bis jetzt noch nicht angeschaut, mir stattdessen aber alle Kommentare dazu durchgelesen.

Was mich persönlich betrifft: Ich "pendle" zur Arbeit, seit ich meine Ausbildung abgeschlossen habe. Weil die Wohnung immer schon bezogen worden war, bevor ich den einen oder anderen Job annahm.
"Wieso hast du immer noch keinen Führerschein?" hatte mich eine Freundin damals gefragt. "Auto fahren können ist nicht nur praktisch, das ist vor allem auch Freiheit."
Rückblickend kann ich sagen, dass die entscheidenden Wege beruflich und privat tatsächlich erst damit möglich wurden, dass ich lernte, ein Auto zu fahren und dann auch ein eigenes zu besitzen.
Gerade beruflich: Die besten Angebote, die besten Chancen liegen viel zu selten in Greif- bzw. in sprichwörtlicher Laufnähe. Je nach Wohnsituation nicht einmal in günstiger ÖPNV-Lage. Soll man deshalb jedesmal umziehen - oder eben verzichten und nicht die Möglichkeit nutzen, sich nicht nur finanziell, sondern insbesondere auch persönlich weiterzuentwickeln? Hm. Für mich nicht vorstellbar. Was ich auch in all den Kommentaren, in all dem Pro & Contra vermisste: MUSS man denn da wohnen, wo man auch in die Arbeit geht? Betrachte ich das Arbeitsumfeld des Mannes, muss ich offen gestehen: bitte nicht. Eine öde Betonklotz-Gegend, während wir am aktuellen Wohnort absolut die Nähe zu Parks und zur Isar genießen. Fußläufig 5 min, um baden zu gehen und das Abendessen in einem der daneben gelegenen Biergärten zu genießen. Fußläufig 5 min zu Bus & Bahn, zum Supermarkt und zur Apotheke. Und - sollten wir uns für diesen entscheiden - künftig auch nur noch 5 min fußläufig zum potentiellen neuen Hausarzt. Zum Paketdienst 5 min - und wenns mal doch zur Bank oder zur Post gehen muss, sind es maximal 2 Stationen mit dem Bus. In die Innenstadt 4 - 5 Stationen mit der U-Bahn. Wenns mal quer durch die City sein muss, sinds 30 min mit der U-Bahn. Aber dann ist man tatsächlich einmal quer durch die gesamte City gefahren - mit dem Auto bekommt man da eher einen Krampf- oder wenigstens Schreianfall. Vor allem im Berufsverkehr. Was ich immer wieder erlebe, wenn ich mich nicht wöchentlich, aber in regelmäßigen Abständen zwischen 7 und 8.30 Uhr auf den Weg nach L mache. Gute 50 min brauche ich dann, bis ich auf der Autobahn ankomme. Und gute Nerven zuweilen, weil man mir entweder die Vorfahrt nimmt oder mich nicht einfädeln lässt, weil jeder Angst hat, dass er selber dann 5 min später ans eigene Ziel kommen könnte. Ein Wahnsinn, dem ich mich nie und nimmer täglich stellen wollte. Aber ich hab mal drauf geachtet: Die wenigsten führen ein heimisches Kennzeichen an ihrem Kfz spazieren.
Und: Aktuell habe ich - mehr oder weniger - die Wahl. Überwiegend arbeite ich von daheim aus (und mich hat wirklich selber überrascht, wie diszipliniert ich trotzdem bin. Hätte ich tatsächlich von mir nie gedacht ;)) Muss ich dann nach L,  kann ich selbst entscheiden, ob ich 7 Uhr oder doch lieber 11 Uhr fahre, wenn sich aller Irrsinn beruhigt hat. Ich kann mitentscheiden, an welchem Wochentag ich nach L fahre. Für jeden Weg hier innerhalb der Stadt nutze ich das wirklich sehr gut ausgebaute Netz der ÖPNV. Nur - und das ist ein Knackpunkt: Wohnt man außerhalb des U-Bahn-Netzes, sieht alles wieder völlig anders aus. In den Stoßzeiten fahren die U-Bahnen im 5-Minuten-Takt - und glaubts mir: Das ist auch wirklich notwendig bei dem allmorgendlichen Ansturm. Fällt jedoch eine S-Bahn aus, wartet man mindestens zwischen 30 und 45 Minuten auf die nächste. Für jemanden, der in die Arbeit muss, ein No Go - vor allem, da sich dieses "Schauspiel" insbesondere in den Wintermonaten immer und immer wieder wiederholt. Das macht kein Arbeitgeber mit - und man selbst auch nicht, wenn man für den Weg zur Arbeit nicht mehr 30 - 50, sondern 120 min einplanen muss. Vor allem nicht, wenn man diesen Weg täglich bewältigen soll.

Auch in L hatte ich mich im aktuellen Job für das Pendeln mit dem Auto entschieden - aus pragmatischen Gründen. Die Verbindung von meinem Wohnort bis zum Arbeitsort ist derart grottig, dass ich morgens und abends jeweils 90 bis 120 min einplanen muss. Verpasst man abends Bus oder Bahn, muss man schlappe 60 min auf die nächste Bahn warten. Das ist reine Lebenszeit, die man da verschenkt für einen Weg, den man mit dem Kfz bequem (na gut, zügig ;)) in 25 min zurücklegen kann. Vor allem, wenn man bedenkt, dass man es einfach niemals pünktlich aus dem Büro heraus schafft. Jedenfalls nicht in unserem Laden. Und sowieso nie freitags. Nie! "Freitags werden die Faulen fleißig" hieß es schon bei meinem 2. Arbeitgeber nach der Lehre - und erfuhr mit den Jahren recht grimmig, was das bedeutete: Alles, was die Woche über vertrödelt wurde, durften die braven Assistentinnen dann freitags erledigen, während die eigentlich Verantwortlichen spätestens pünktlich nach Hause gingen und dem Dolce Vita fröhnten. Was habe ich DA abgekotzt die Jahre ;) 
Und der jetzige Arbeitgeber: Als ich noch in L wohnte, bin ich in den letzten Jahren regelmäßig nicht vor 18 - 19 Uhr aus dem Büro herausgekommen. Wenn ich dann noch Minimum 90 min bis nach Hause rechnen müsste, hätte ich grad mal noch Energie, um Abendessen zuzubereiten - und das wars dann. Alles private, alles haushaltliche würde sich in das Wochenende verlagern - in die Zeit, die man eigentlich haben möchte, um irgendwas Schönes zu machen, irgendwas, wo man die Seele baumeln lassen und die eigenen Energiereserven wieder auffüllen kann. Anfangs habe ich so oft wochentags bis in die Nacht rein Ordnung gemacht, Wäsche gebügelt, Hausaufgaben kontrolliert, bei der Anfertigung von Aufsätzen.. äh.. assistiert (Sohnemann weiß noch, wie ich morgens gegen zwei Uhr, als wir endlich mit seiner Hausarbeit fertig waren, die natürlich am nächsten Tag abzugeben war, den vorletzten CD-Rohling wutentbrannt durch das Zimmer schmiss, als der Laptop kurz vor Ende des Brennvorgangs meldete "Der Datenträger kann leider nicht beschrieben werden" und meinen Sohn anraunzte "BETE, dass der letzte Rohling funktioniert!"), na ja und so weiter.


Grad die letzten Jahre vor dem Wechsel von L nach M zeigen mir rückblickend, wie ausgebrannt ich irgendwann war: Samstags habe ich ausgiebig ausgeschlafen, im Bett gefrühstückt, gelesen, nachmittags oder abends eingekauft, Wäsche gewaschen, die Wohnung in Ordnung gebracht, gebügelt, keine Verabredungen mehr angenommen oder anstehende abgebogen, ich wollte auch keinen Besuch mehr bei mir daheim haben - weil man den ja nicht einfach rauskomplimentieren kann. Ist man aber bei jemandem zu Gast, kann man aufstehen, sich für alles bedanken und gehen.
Da hatte ich nun sozusagen vor der Nase mindestens 2 Seen, aber die sah ich - wenn überhaupt - nur noch sonntags.
Das ist alles nichts Schlimmes, das ist auch nichts Tragisches, mir ist auch völlig bewusst, dass es all den Pflegern, den Krankenschwestern und überhaupt den Schichtdienstlern noch viel beschissener ging - dennoch stellte ich mir irgendwann die Frage, ob ICH das alles so wollte - und wie lange noch.
Vor dem Wechsel von L nach M bin ich an den Wochenenden auch nur noch mit Mitfahrgelegenheiten gependelt, nicht mehr allein gefahren. Nicht aus Kostengründen. Aber wer schon einmal - wie ich - am Steuer einnickte, der begreift spätestens dann, was er für einen Unsinn betreibt und was er da aufs Spiel setzt. Wer freitags todmüde das Office hinter sich zuschließt, der hat einfach keine vierhundertdreißig Kilometer mehr zu fahren. Punkt, Ende, aus.

Wenn ich heute nach L pendle und in meiner "alten" Wohnung, die ja seit 2014 meine Söhne bevölkern, übernachte, würde ich - vor allem in den Wintermonaten - ja auch am liebsten mit der Bahn pendeln. Grad mit der neuen schnellen Verbindung ist man nach gut 3,5 Stunden in L. Aber dann hätte ich immer noch das Problem mit der Verbindung vom Wohnort in die Arbeit. Und ganz ehrlich - ich binde mir keine zwei Stunden jeweils morgens und abends an die Kniescheibe, dafür ist mir die wenige Zeit mit meinen Söhnen nach der Arbeit einfach auch zu schade. Das hat sicherlich etwas mit Bequemlichkeit zu tun - für mich persönlich aber einfach etwas mit Zeitmanagement.
Fahrgemeinschaften? Nicht umsetzbar, weil ein Großteil der Kollegen im Dunstkreis des Büros arbeitet - und der Rest in L in völlig entgegengesetzter Richtung zu mir.
Denkbar für mich wäre hier eher Car-Sharing - aber solange das Netz in L nicht auch im Outback ausgebaut wird und ich immer noch zuviel Zeit verliere und obendrein "sinnlos" bezahle, weil das Fahrzeug nur vorm Büro rumsteht, bis es wieder heimwärts geht (weil mans dort nicht abgeben und abends wieder ein neues mieten kann - was für die Zeit vor der heimischen Haustür genauso gilt), nutze ich dann doch lieber das eigene Kfz.

Mir ist schon bewusst, dass man nicht jedem die perfekte, passende Lösung auf den Arsch schneidern kann. Aber solange die "perfekt ausgestatteten" ÖPNV-Netze lediglich die Innenzonen von Großstädten abdecken, ist es aus meiner Sicht zu kurz gedacht, dem größten Teil der Pendler das Befahren der Innenstadt zu verbieten oder nur noch mit der Abgasnorm 6 zuzulassen - und den Leuten glaubhaft machen zu wollen, dass damit ein wichtiger Schritt zur Reduzierung der Stickstoffbelastung in den Städten gemacht worden sei.

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