Mittwoch, 8. August 2018

Wenn Träume fliegen lernen

Das Kind hat einen Hang zum Minimalismus. Von mir hat er das ganz sicher nicht - ich bekenne mich zu meinem verspielt-verträumten Stil von "Landhaus meets Ikea". Oder so. Auf jeden Fall gemütlich und in warmen, hellen Farben. (Na ja gut, zumindest würde ich das gern - mal sehen, ob wir es noch schaffen werden, eine passende Bleibe zu finden, die ich dann auch gestalten darf, bevor uns Atem und Zähne ausgehen und wir ins Altenheim übersiedeln dürfen.)
Jedenfalls zeigte Sohnemann mir dieses Foto und fragte: "Das kann doch weg oder?"
"Hä was?" rief ich entgeistert. "DU willst MEIN Foto wegschmeißen??"
"Ist doch alt", stellte er vollkommen realistisch, aber herzlos fest, "siehst doch heute eh ganz anders aus."
Ich nahm das Foto an mich.
"Untersteh dich!"

Diese Momentaufnahme aus dem Jahr 1994. Ich erinner mich daran so genau, weil ich das Blumenkleid wiedererkenne, das ich mir in diesem Jahr kaufte und auch nur in diesem einen Jahr trug. Das erste schwierigste Jahr nach der Heirat. Das erste schwierige Jahr, in dem mir die ersten Gedanken gekommen waren, ob ich es vielleicht auch allein schaffen könnte - nur das Kind und ich... Und die ich wieder verwarf, als der Mann sich nach dem Tod der Mutter umso mehr an mich klammerte.
Je länger ich dieses Foto betrachtete, umso mehr Erinnerungen stiegen in mir auf.
Ich als Kind.
Ich als Girlie.
Ich als junge Frau, die völlig überstürzt heiratete.
Ich als junge Frau, die ihr erstes Kind bekam, obschon ich mir zu jenem Zeitpunkt überhaupt nicht sicher war, ob ich nicht vielleicht doch lieber noch gewartet hätte.
Ich als junge Frau mit dem Kopf voller Träume und romantischer Vorstellungen, die noch nicht völlig von der Realität bezwungen worden waren. Die aufgehört hatte mit der Malerei und auch mit dem Schreiben, mit dem Ausdenken von Geschichten über Menschen und die Liebe zueinander.. Die stattdessen versuchte, ihren Platz im Leben zu finden - einem Leben ausschließlich in Verpflichtung, in Verantwortung, als Arbeitskraft, als Hausfrau, als Mama - und die irgendwann ging, weil so viel mehr zu einem wirklich erfüllten Leben gehört.

Wenn ich Fotos von einst und von heute nebeneinander lege, dann denke ich, dass ich damals trotz allem immer noch sehr viel mehr romantische Vorstellungen als heute besaß - und dass ich heute dafür eher konkrete Träume spür. Wenn ich heute Fotos von mir, sehe ich oftmals die Müdigkeit in meinem Blick, in meinem Augen - ungeachtet der Tatsache, dass ich ja auch älter geworden bin.

Vergangenen Sonntag fand ich alte E-Mails einer Freundin an mich, geschrieben vor rund zehn Jahren. Sie beschrieb mich - wie sie mich sah, wie sie mich empfand und unwillkürlich fragte ich mich, wie sie mich eigentlich heute sieht und ob sie immer noch dasselbe von mir sagen würde?
Im Grunde.. ist es vielleicht nicht wirklich wichtig, was ein anderer über dich sagt - sondern wie du dich selber fühlst?

Wenn ich auf meine Fotos von heute schaue, stelle ich für mich fest, dass sich das Mädchen in mir.. wohl endgültig verabschiedet hat.
"Du bist erwachsen geworden", sagte mir mal jemand, dem ich nach Jahren der Kontaktlosigkeit wiederbegegnet war.
Und ich weiß noch nicht, ob ich das gut oder weniger gut finden soll. Ich denke, ich habe geglaubt, den Peter Pan in mir ein Leben lang bewahren zu können. Ich denke, ich habe geglaubt, dass ich meine Träume fliegen lassen kann, ohne dass sie sich zugleich auch davonmachen.

Und jetzt gerade in diesem Moment denke ich.. ich sollte sehr viel mehr von dem ausgraben, das mich an mich selbst erinnert - um mich selber zu bewahren. Und seien es diese alten Fotografien von mir, denen ich noch heute, 24 Jahre später ansehe, dass ich wohl körperlich anwesend war, mit meinen Gedanken jedoch.. bereits ganz woanders.

Keine Kommentare: