Unlängst wurde ich gefragt, ob ich okay sei, ich sei so still. Für einen Moment überlegte ich, was ich darauf antworten wollte. Wahrheit oder Unwahrheit?
Es ist ja nicht so, dass es mir schlecht ginge. Es ist aber auch nicht so, dass...
Und es ist auch, dass die Worte sich in mir verlieren so wie auch das Bedürfnis, überhaupt etwas zu sagen oder auch aufzuschreiben.
Dass es mir zugleich widerstrebt, ehrlich zu antworten, wenn ich sage "Es ist nicht alles so wie ich es mir wünschte, dass es so sei, weil..."
Möglicherweise bin ich mein größter Kritiker und möglicherweise habe ich eine etwas verschobene Eigenwahrnehmung, die mir sagt, lieber still zu schweigen, bevor ich wem auch immer auf die Nerven ginge mit dem ewigen eigenen Kreis, in dem ich mich zuweilen drehe.
In diesem ewigen Kreis aus Hin- und Hergeschoben werden von A nach B und diagonal wieder hin und zurück..
Mein Kopf und meine Seele fühlen schon seit vielen Monaten einen wunderbaren Einklang, eine faszinierende Stille inmitten eines zuweilen tobenden Meers, so dass ich manchmal nachts tatsächlich davon träume, an einem Meer zu stehen, vor mir, über mir riesige Wellen, die mich jedoch nicht wirklich ängstigen, zumindest nicht im Traum. Und vor denen ich mich immer wieder retten kann, zumeist aus eigener Kraft.
Ich denke, das beschreibt im Moment auch ganz gut, wie es mir am Tag geht.
Wenn man dabei außer Acht lässt, wie fremd sich derzeit mein eigener Körper für mich anfühlt.
Ein so völliger Gegensatz zu dem, was Kopf & Seele fühlen.
"Sie können ja gar nichts mehr", statuiert der Neurologe vor etwa zehn Tagen und verlangt das Komplettprogramm.
Dass ich gar nichts mehr kann, würde ich jetzt so allerdings nicht einschätzen, auch wenn der Mann vermutlich hier an dieser Stelle seine Veto-Augenbrauen hochziehen würde. Wäre er nicht, hätte ich vermutlich schon längst aufgegeben. Nicht aus Verzweiflung. Sondern einfach aufgrund der Tatsache, dass man über Monate hin und her geschoben wird, sich niemand so recht zuständig fühlt und mir letztendlich eben auch gar nichts anderes übrigbleibt, als mich erneut aus eigener Kraft zu retten.
Was in meinem konkreten Fall tatsächlich bedeutet, mit den Veränderungen leben zu lernen - so wie damals auch mit dem Schmerz. Vor 13 Jahren, als alles begann, glaubte ich, Schmerztherapie würde bedeuten, Ursachen zu erkennen, Wirkungen und Mechanismen zu verstehen und diese aktiv angehen zu können. Das ist jedoch nur zu einem geringen Grad die Wahrheit. Nämlich nur solange sich gewisse Parameterabweichungen im Labor feststellen lassen. Ist man "austherapiert", war es das - dann bedeutet Schmerztherapie vor allem eins: damit leben lernen.
Betrachte ich allein das, ist mir das - so würde ich es einschätzen - auch gut gelungen. Immerhin hat der Mann einige Jahre nichts gewusst und nichts geahnt.
Vor einigen Jahren habe ich ein Interview gesehen über eine Frau mit einer erwachsenen Tochter, die an unerklärlichen Schmerzen in ihrem Körper litt. Diese Frau hat eines Tages aufgegeben und sich das Leben genommen. Hier sprach die Tochter, die noch immer sehr unter dem Tod ihrer Mutter litt und in die Kamera die Frage stellte, ob es wirklich keine Lösung, nicht doch einen anderen Weg für die Mama hätte geben können?
Und ich dachte damals "Wie verzweifelt muss man am Ende eines Tages sein, wenn die Kraft zum Leben ausgeht?"
Und ich hoffte, dass mir selbst das niemals so ergehen würde, trotz allem - wir alle haben nur diese eine Leben, und es kann ja auch ein ganz wunderbares sein.
Inzwischen.. sehe ich es, das muss ich zugeben, ein wenig differenzierter. Es ist nicht so, dass ich dieses Denken angenommen hätte "Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.."
Aber ich gebe zu, dass ich manchmal denke "Ist das noch ein Leben? Ist das noch mein Leben? Wohin führt der Weg und wie lange will ich das?"
Weil es eben nicht mehr nur der Schmerz ist, der mich begleitet. Sondern Veränderungen, die der Neurologe vor zehn Tagen als "typisch neurologischen, schwerwiegenden Defekt" bezeichnet.
Wer mich im Alltag erlebt, wird mir vermutlich kaum etwas anmerken. Er wird kaum bemerken, dass in mir etwas nicht stimmt. Und vor allem wird er nicht bemerken, welch unglaubliche Energie ich an manchen Tagen aufbringe, damit das so ist. Nicht weil ich mir die Schwäche nicht ansehen lassen will.
Dass ich also ja gar nichts mehr kann, würde ich so immer noch nicht sagen - aber wenn man von diesen Spielchen wie auf einer Linie laufen, auf einem Bein stehen, Finger-Folge-Test, Finger-Nase-Test etc. ausgeht, ja gut, die kann ich tatsächlich seit einigen Monaten nicht mehr. Jedoch die muss man ja im Alltag auch nicht bringen.
Manchmal bedenkt mich der Mann mit einem Seitenblick "Wolltst du mich grad veralbern?", wenn ich ihm ein Glas oder so hinschiebe "Kannst du das mal bitte aufmachen, ich krieg das grad nicht" und er legt nur kurz Hand an und zack - ist das Glas geöffnet.
Manchmal zieht er die Luft geräuschvoll durch die Nase, wenn mir grad wieder irgendwas runterfällt, Schlüssel, Stifte, Deckel, irgendso Kleinzeug braucht man ja immer (mit einer Tasse Kaffee ist mir das glücklicherweise noch nie passiert ;)). Manchmal sagt er nichts dazu, meistens aber doch, das muss er, sonst platzt er *haha*
Na ja und so Sachen halt, die ich jetzt hier nicht alle aufzählen will.
Gleichwohl.. will ich nicht jammern - und hoffe sehr, dass dies auch nicht so rüberkommt. Dass das "darüber sprechen" die Seele durchaus freimachen kann, hab ich ja nun schon mehr als gefühlt eine Million Male erlebt. Auch wenn ich immer weniger davon spreche als früher. Und noch immer ist mein Augenmerk vor allem darauf gerichtet, was ich immer noch wundervoll finde: den rotgoldenen Herbst. Die fröhlichen Menschen auf der Kirmes. Der Junge, der seiner rettungslos betrunkenen Freundin den Kopf hält und mich entschuldigend anlächelt.
Der unerwartete Erfolg eines Auswahlverfahrens. ("Du bist ja auch nicht irgendwer", schreibt der Sohn dazu - und ja, da geht mir natürlich das Herz auf ;))
Die Verbindung zu Menschen, an denen mein Herz hängt.
Dem eigenen Jungen die Sorge nehmen können, der während seines aktuellen Einsatzes von Kollegen von einem schweren Unfall auf meiner Reiseautobahn mit vier Toten hört, jedoch nicht erfährt, wo genau und wer - und dem ich sagen kann "Es geht mir gut, ich bin grad gut nach Hause gekommen. Und dir? Geht es dir gut?" "Jetzt ja! Jetzt, wo ich weiß, dass Dir nichts passiert ist."
Vor allem aber kann ich jeden Morgen noch aus eigener Kraft aufstehen, mir ein Essen und vor allem meinen Lieblingskaffee zubereiten, ich kann immer noch lesen, schreiben, mich durch den Tag bewegen mit allem, was dazugehört und mich jeden Abend in mein Bett legen mit der Hoffnung, dass vielleicht morgen schon der ganze Spuk wieder vorbei sein könnte und alles wieder so ist wie es wenigstens bis zum März gewesen war.
Dass ich jeden Tag meine Lieblingsmucke hören kann, die mir Flügel verleiht, Herz & Seele weit öffnet.
Und noch einige andere wunderbaren Dinge, die ich hier nicht alle aufschreiben möchte, weil zu privat ;)
Es gibt so vieles, das ich immer noch geben kann, das ich immer noch tun kann - und was auch immer in mir gerade los ist, sicher ist vor allem eins: Sterben werde ich da wohl nicht dran.
Das ist so viel mehr als so manch anderer gerade von sich sagen kann - und wenn ich zuletzt auch etwas.. erschöpft gewesen bin, etwas durchgehangen habe, so habe ich mich jetzt doch auch wieder auf die Beine stellen können. Und bleibe da auch. Hoffentlich.
4 Kommentare:
Ich hoffe der Neurologe kann dir helfen.....obwohl mir aus eigener Erfahrung mit den Ärzten der Glaube fehlt...
Ist bei Dir schon der Vitamin D und noch viel wichtiger der Vitamin B12 Spiegel im Blut gemessen worden ?
" Neue Wege der Heilung " von Dr. Ulrich Strunz.......Buchtipp
Herzliche Grüße
Petra
Liebe Petra, offen gestanden, nach den letzten Jahren und vor allem nach dem letzten halben Jahr geht auch mir mehr und mehr der Glaube ab. Ich mag gar nicht alles aufschreiben, das mir seit Mai begegnet ist. Aktuell tendiere ich tatsächlich mehr und mehr zur Heilpraktikerbehandlung. Darüber schreibe ich später mal etwas ausführlicher. Der Mann ist da recht skeptisch, insbesondere der einen Behandlungsmethode gegenüber, zumal die nicht ohne Risiken ist und ich im Fall eines Falles über 400 km weit weg von ihm wäre. Da sorgt er sich allein schon bei dem Gedanken.
Ja, der Vitamin D-Spiegel wurde im Juli gemessen und lag mit 16 (was-auch-immer-Einheiten) deutlich zu niedrig. "Wie bei jeder zweiten Frau in Deutschland", winkte der damalige Hausarzt ab.
Auch mein Eisenwert ist mit 10 bzw. 12 (was-auch-immer-Einheiten) zu niedrig; ich bin kein Veganer, monatlich passiert bei mir auch eher wenig und das 3. Kriterium (ich weiß nicht mehr, welches) traf bei mir auch nicht zu.
Ist schon seit mindestens 1,5 Jahren so, ich hör immer "Ja da muss man das doch mal kontrollieren", aber am Ende machts keiner und mir ist das mittlerweile zu doof, ständig nachzuhaken.
Liebe, liebe Helma, ich will weder medizinische Fragen stellen noch dir irgendeinen guten Tipp geben - ich würde dich einfach nur in den Arm nehmen wollen und dir ganz leise was vorsingen wollen. Vielleicht singe ich nicht sehr gut, aber vielleicht könnte ich dich doch von Schmerzen ablenken oder dich ein wenig zum Lächeln bringen.
Wie dankbar kann ich sein, dass ich zwar einige "Unannehmlichkeiten" am Kopf habe, aber im großen und ganzen doch noch recht gesund bin.
Ich schicke dir die liebsten Gedanken auf den Weg, die ich überall hier in der Wohnung finden kann.
Herzlichst Clara
Liebe Clara, ich kann auch nicht singen - na und. Ich tus trotzdem, wann immer mir danach ist. Manchmal macht der Mann die Tür zur Küche auf, um mir zuzuhören, manchmal macht er sie auch zu - und auch damit kann ich gut leben :)
Außerdem: Der Wille zählt! :)
Es ist nicht so sehr der Schmerz im Vordergrund - es ist die Kombination aus mehreren Dingen, die mir grad das Leben ein wenig schwer machen wollen. Und bislang gibt es dafür noch keine Lösung, das ist es, was mich momentan ein bisschen anpiept.
Danke für Deine Worte, wirklich :*
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