Wenn der Winter seine Schneedecke über der Stadt ausbreitet, dann.. werden die Straßen hell und die Stadt wird leiser.. Viel leiser. Alles scheint wie in Watte gebettet.
Das ist meine Zeit.. Meine Zeit, in der ich die Furcht vor der Dunkelheit verliere. In der ich mich in Mantel und Schal hülle, die Hände in den Strickhandschuhen in den Manteltaschen vergrabe. In meinen Ohren Musik. Natürlich die Musik. Weil es ohne nicht gehen kann, während ich die Straßen entlanggehe, langsam, bedächtig beinah.. mich treiben lassend wie die zarten Schneeflocken um mich herum..
Die Begegnung mit erleuchteten, unverhüllten Fenstern, die den Blick auf ihr Inneres freigeben..
Die Oma, die allein, aber mit einem irgendwie glücklichen Lächeln in ihrem Fernsehsessel sitzt, über sich, um sich Decken gehüllt, ihr Sofa, ihre Schrankwand, das ganze Zimmer angefüllt mit Nippes, Deckchen, Blumen aus Plastik. Ich schmunzle in meinen Schal hinein und frage mich.. Werde ich eines Tages auch so dasitzen? Vielleicht mit Katzen in meiner Wohnung oder doch lieber ganz allein, weil dann immer noch unabhängig?
Die Familie mit ihren Kindern, von denen mindestens eines Nacht für Nacht viel zu spät zur Ruhe findet und den Eltern viel zu wenig Zeit zum Durchatmen gönnt - und dennoch möchte man keinen Moment missen. Auch dann nicht, wenn man das Kleinste manchmal auf einer Rakete mitsenden wollen würde. Ich schmunzle in mich hinein, noch immer so nah die Erinnerungen an eigene, unendlich viele durchwachte, verzweifelte Nächte.. Sie werden bleiben, diese durchwachten, mitunter verzweifelten Nächte der Kinder wegen, auch wenn sich die Farben der Sorgen ändern werden. Und was ebenso bleibt.. ist diese Liebe zu ihnen. Die einzige bedingungslose Liebe, die ich kenne.
Dort die Frau an einer Wegkreuzung, die nicht sagen kann, wie sie weitergehen kann, wie sie weitergehen soll, die sich letztendlich gegen das Herz und für den Kopf entscheidet und der ihr im allerletzten Moment die Möglichkeit gegeben wird, diese Entscheidung zurückzunehmen und völlig ins Gegenteil zu verkehren.. Nur um in diesem Moment zugleich festzustellen, dass diese Entscheidung nicht genug Trauer in sich trägt, sondern vielmehr.. ein Gefühl von Klarheit. Von Freiheit. Ich schaue nachdenklich, während ich langsam weitergehe, Schneekristalle auf der Zunge zergehen lasse und mich frage.. Wie viel muss der Mensch erst sehen, bevor er sieht?
Da die Single-Frau hinter den sich wähnenden Gitterstäben, gegen die sie in jedem Jahr wieder und wieder ankämpft, deren glasklarer Verstand errechnet, wie viele Wochenenden, wie viele Sonntage eines Jahres verloren scheinen, weil in ihrer Welt diese Tage den Familien, den Paaren gehören. Und der dabei - für mein Empfinden - ein entscheidender Rechenfehler unterläuft.. Dass nicht jeder Tag eines Monats dem Ziel "geschuldet" sein sollte, das passende Puzzlestück zu finden und einsetzen zu können.. Für mein Empfinden.. für die Erfahrung, die ich selbst machte in vergangenen Jahren, ist das Wissen darum, dass man es auch mit sich allein schön haben und einen Moment von Glück mit sich selbst haben kann, nicht dasselbe, wie wenn dieses Lebensgefühl auch in der Seele angekommen ist.
Verzweiflung.. kann man in den Augen lesen, im Lächeln erkennen. Verzweiflung.. umgibt uns wie ein schwerer Mantel, dessen Last man nicht tragen möchte..
"Verzweiflung kann man riechen", sagte irgendwer vor Jahren zu mir, "aber das ist nicht das, was man einatmen möchte."
Ich wende den Blick ab vom Fenster, schaue nach vorn, das leise Schneetreiben vor mir, meine Füße, die deutliche Spuren im noch frischen Schnee hinterlassen, während ich langsam immer weitergehe..
Die kleine Oma im Café, das der Heimeligkeit einer Wohnstube anmutet, die Oma, die mit ihren kleinen wachen Augen, die ihren Schal und ihren Mantel ablegt und mich herzlich anlächelt, bevor sie sich setzt, einen Tee bestellt und ihr Kreuzworträtsel auf den Tisch legt. Ich weiß nicht, ob sie allein lebt, ob sie die Weihnachtstage allein verbrachte, ob sie Kinder hat, die wieder abgereist sind, ob sie einen Motzstoffel zu Hause hat, dem sie für den Moment eines Glases Tee entkommen ist - ich weiß nichts von ihr. Das einzige aber, das ich sehe und wahrnehme, das sie umgibt, ist eine unfassbare liebevolle Ruhe und Gelassenheit. In diesem Moment lehne ich mich zurück und in mir drin wird alles ganz hell.
Genau so wird es für mich sein sein, eines Tages. Mit dem Blick auf dieses kleine wunderbare Ömchen überkommt mich mit einem Mal diese unabdingbare Zuversicht: Genau so wird es für mich sein.
Seit den Weihnachtstagen in L haben wir hier in M nicht wirklich viel gemacht. Wir haben lange geschlafen, zwischendurch etwas zu Essen zubereitet und einen Film nach dem anderen aus der Mediathek, aus den Streamingportalen ausgegraben. Dem Hang zwischen Thriller und Märchenfilmen gefrönt.
"Coco" ist einer von denen, die besonders in mir nachklingen. Eine Farbgewalt, wie ich sie nur selten gesehen habe. Eine wunderbare (kindliche) Botschaft, die mir wie kaum eine andere unter die Haut geht in diesen Tagen: Dass niemand wirklich geht - solange er nicht vergessen wird.
Ich denke an meine Großmütter und daran, dass ich noch kein einziges Foto von ihnen zwischen meinen Büchern aufgestellt habe - und dass ich nicht versäumen darf, meine Mama um ein Foto zu bitten.
Am Ende des Jahres 2018 habe ich nicht nur darauf verzichtet, auf dieses vergangene Jahr zurückzuschauen - ich habe insgesamt darauf verzichtet, überhaupt auf alles zurückzuschauen.
Ebenso habe ich darauf verzichtet, obligatorische Weihnachts- und Neujahrswünsche zu senden, die einem ohnehin niemand mehr glaubt - weil sie zu allgemein (geworden) sind. Umso verwunderter habe ich auf die Bildchen und Videos geschaut, die gefühlt 50 Mal ohne auch nur ein einziges persönliches Wort in meinem Whatsapp eingegangen sind, selbst aus der eigenen Familie.
Was soll mir das sagen?
Dass der Absender bequem ist und sein Bild mit "an alle Kontakte versenden" übermittelte?
"Weitergeleitet" steht jetzt übrigens auch da. Um die ganze leere Worthülse noch leerer zu verdeutlichen ;)
Oder dass man selbst dem Absender nicht wichtig genug ist, auch nur ein einziges persönliches Wort gesagt zu bekommen?
In diesem, nein, im nun vergangenen Jahr habe ich sehr wenige Zeilen in den Weihnachtstagen und in der Zeit des Jahreswechsels versendet, entsprechend wenige persönliche Wünsche an den anderen formuliert. Aber in jedem Moment, in dem ich jemandem schrieb, war ich auch genau da, war ich in Gedanken genau bei demjenigen. War ich genau da, wo ich sein wollte - oder mich hinwünschte, um denjenigen ganz sehr zu umarmen. Einen langen herzlichen Moment lang.
Mir ist nicht wichtig, aufzufallen, aus dem Rahmen zu fallen. Ich bin nichts Besonderes und darum geht es mir auch nicht. Aber ich möchte.. wahrgenommen werden.
Mit den Spuren, die bleiben, wenn der Schnee längst aus den Straßen und Wegen getaut ist..
Ich wünsch mir, dass etwas da bleibt, wenn ich gegangen bin.
2 Kommentare:
Du: "Umso verwunderter habe ich auf die Bildchen und Videos geschaut, die gefühlt 50 Mal ohne auch nur ein einziges persönliches Wort in meinem Whatsapp eingegangen sind, selbst aus der eigenen Familie."
Genau das ist mir so sauer aufgestoßen. Es war so ein alberner Scheiß dabei. Wenn ich mal ein einzelnes Video geschickt habe, dann aber immer noch mit einem längeren Text darunter.
Viele können ja auf der Handytastatur so schlecht schreiben - ich spreche ja alles, das geht gut, schnell und fast fehlerfrei.
Auf ein Neues!
Liebe Clara, Sprachnachrichten sind natürlich noch persönlicher :)
Und ja, es ist viel Albernes dabei. Was letztlich okay ist - aber wenn man dasselbe gefühlt 50 x geschickt bekommt... Nun ja ;)
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