Aus "Endlich!" von Ildiko von Kürthy |
Noch heute ist ihr dieser Moment gegenwärtig, als er sich zu ihr beugte und auf die Wange küsste und sie spürte: Er ist anders, er ist… besonders.
„Du Augenmensch“, hatte U. später gelacht und den Kopf geschüttelt.
Sie hatte mitgelacht und nicht geantwortet. Darauf zu antworten, käme ihr gleich, als habe sie ihn oder sich selbst zu verteidigen – es gab aber nichts zu verteidigen.
Ob es sein Lächeln war, ob es sein Geruch war, ob es sein offener Blick war oder einfach nur das Gefühl, dass sie in ihm etwas von sich wiederfand, das vermag sie bis heute nicht zu sagen. Sie weiß nur, dass jene Faszination noch immer in ihr lebt, mit jeder seiner Rückkehr vom Meer, wenn er im Badezimmer steht und sich den Bart abschabt und sie seinen leicht gebeugten Rücken betrachtet, während sie auf dem Wannenrand sitzt und ihm zusieht, um nicht einen einzigen dieser kostbaren Momente zu verschenken, in denen sie zusammen sein können.
Sie liebt es, seine Hemden auf ihrer nackten Haut zu spüren, seine Shorts zu tragen, ihre Musik zu hören, während sie Obst zerschneidet und darauf wartet, dass er mit dem Hund vom Lauf zurückkehrt.
„Dieser andere Mensch, wir sollten ihm einen Namen geben, oder auch Ihr jetziger Partner – glauben Sie ihnen heute nicht mehr?“
„Er heißt M.“ entgegnet sie gedankenverloren.
„Okay, M. Ihm und Ihrem Partner glauben Sie also nicht mehr?“
„Ich weiß nicht. Was M. denkt oder fühlt“, sie richtet den Blick wieder auf ihre Ärztin, „weiß ich nicht und es ist auch nicht mehr wichtig für mich. Er hat sich für sein altes Leben entschieden, ich mich für einen anderen Weg. Das wars. Er hat es sich eben einfach gemacht.“
„Zu bleiben… ist nicht immer der einfachste Weg. Und das wissen Sie.“
„Ja, ich weiß. Am Anfang ist es mir schwer gefallen, das zu verstehen. Ich muss die Dinge immer verstehen, damit ich sie akzeptieren kann. Ich fand ihn schwach, ich fand ihn feige. Doch letztlich… war es gar nicht wichtig, welche Entscheidung er für sich traf. Ich hatte die meine getroffen und die war ganz unabhängig davon. Ich hätte mit meinem Ehemann nicht mehr leben können. Oder wollen. Und schon gar nicht glücklich mit ihm sein können.“
„Haben Sie sich gewünscht, dass er zu Ihnen steht? Dass er Verantwortung übernimmt?“
„Wäre das nicht das Richtige gewesen, wenn es Liebe gewesen wäre?“
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“
„Mein Gott, ja, damals habe ich mir das gewünscht. Müssen wir das jetzt noch auseinander nehmen? Das ist doch alles lange her und längst vorbei!“
„Das ist Ihre Ehe auch“, antwortet die Ärztin sanft, „aber es lässt Sie bis heute nicht los. Und für Ihren Ex-Mann – wie heißt er eigentlich? – empfinden Sie sicherlich alles Mögliche, aber keine Liebe. Verstehen Sie? Sie leben nach einem ganz bestimmten Muster. Ein Muster, das nichts mit Ihrem Ex-Mann und auch nichts mit M. zu tun hat. Auch nichts mit Ihrem aktuellen Partner. Es liegt in Ihnen selbst. Sie sind auf der ständigen Suche nach Zuwendung, Nähe, Anerkennung. Das ist im Grunde nichts Schlechtes, im Gegenteil. Jedoch es wird vernichtend, weil Ihnen das schon verwehrt wurde, als Sie noch ein Kind waren, und es sich fortgesetzt hat in ihrer Ehe. Der Wunsch danach wurde zur Besessenheit und Sie stellen sich selbst sofort in Frage, wenn Sie nicht die Zuwendung bekommen, die Sie sich wünschen. Und das“, schließt die Ärztin, „ist der Kern unserer Arbeit. Wie können Sie von einem anderen Menschen erwarten, dass er sie bedingungslos liebt, wenn Sie es selbst nicht tun?“
„Mein Ex-Mann heißt D.“, antwortet sie nach einer Weile.
„Warum bin ich es nicht wert?“ flüstert sie. „Warum bin ich es nicht wert, dass man sich auch um mich kümmert? Darum, was ich mir wünsche? Darum, was für mich wichtig ist? Warum kann man kommen und gehen, nur weil jeder es für sich gerade so entschieden hat? Warum gibt es für das, was mir so wichtig ist, immer Argumente dagegen? Warum komme ich immer zuletzt?“
Eine Pause entsteht. Sie weint so lange, bis sie sich vollkommen leergeweint hat und ihr der Ausbruch beinah schon wieder peinlich erscheint.
„Kommen Sie jetzt ja nicht auf die Idee, mir Pillen aufzuschreiben. Ich werde keine einzige nehmen.“
Die Ärztin beugt sich vor, sie lächelt.
„Ich wüsste gar nicht, warum ich das tun sollte. Sie beginnen endlich, sich selbst wahrzunehmen, Ihre eigenen Bedürfnisse. Ich werde den Teufel tun, Sie daran zu hindern.“
„Und wie geht es jetzt weiter? Was fange ich mit all diesen Fragen an, auf die ich keine Antwort bekomme? Alle sind sie irgendwo, aber keiner ist hier. Nicht hier bei mir.“
„Der nächste Schritt wird sein, wie Sie selbst Ihr Leben füllen. Das liegt in Ihrer Verantwortung, in Ihrem Tun. Und auch nur Sie entscheiden darüber, ob und wer Sie dabei begleitet, wer an Ihrem Leben teilhaben darf. [...] „Wenn wir erreichen können, dass Sie wieder in das Leben zurückfinden, von dem Sie immer träumten, dann ist es genau das, worum es von Anfang an ging.““
Was, wenn sie feststellte, dass das Leben so bunt und süß war und sie ihn darin gar nicht mehr brauchte? Was, wenn sie feststellte, dass das Leben, das sie führten, gar nicht mehr das war, wovon sie geträumt hatte?
Sie versucht sich vorzustellen, wie das Leben ohne ihn wäre. Würde sich viel verändern, wenn er eines Tages nicht mehr käme? Würde sie nicht wie beinah jeden Morgen ohne ihn erwachen, ohne ihn den Kaffee trinken, in ihren Buchladen gehen, spazieren gehen, abends lesen, schreiben, malen, Musik hören? Würde sie nicht wie beinah jede Nacht ohne ihn einschlafen, irgendwann, die Laken zerwühlen und viel zu oft aus wirren Träumen erwachen? Wie oft kann sie nicht mit ihm sprechen, obwohl sie es gerade braucht? Wie oft kann sie ihn nicht berühren, obwohl ihr gerade so sehr danach ist?
Was also wäre anders, würde er eines Tages nicht mehr zu ihr kommen?
Sie blättert gedankenverloren in diesem Buch.Alles.
Alles würde anders.
6 Kommentare:
Erinnerung ist bei mir sehr oft eher eine Belastung als eine Freude - ich kann mich an sehr viele äußerst verletzende, beängstigende oder negative Sachen erinnern - bei den positiven hapert es allerdings eher. Ob das etwa daran liegt, dass mit bestimmten Kreisen die positiven tatsächlich in der Minderzahl sind?
Für dich im Hier und Jetzt eine schöne Zeit - die wünsche ich dir und euch!!!!!
Liebe auf das erste hören ��
Danke für einen weiteren Titel der " Ziggenheimer
Playlist " �� LG Petra
Es heißt, mit der Zeit würde man sich nur noch an die guten Dinge erinnern.
Prinzipiell gehts mir wohl auch so. Nur die Erinnerung an die Ehe ist nur mit Negativem verbunden. Es gab sicherlich auch andere Momente, aber ich kann mich daran einfach nicht erinnern.
Danke Clara 😘
Immer wieder gern, Petra 😁😁😁
Zum Thema "zueinander passen".
Menschen passen nicht so gut zueinander, wenn sie sich charakterlich zu sehr gleichen. Es passt besser, wenn sie sich ergänzen, weil sie unterschiedlich sind. Mit der notwendigen gegenseitigen Toleranz, nicht immer nur seine eigene Meinung durchsetzen zu wollen, sondern auch die andere zu akzeptieren, hat man dann Optionen zum Handeln, je nach konkreter Situation. Abgesehen davon, dass es ohnehin produktiver, auch für einen selbst, ist, wenn man mit einer anderen Sichtweise konfrontiert ist. Eine sachliche Diskussion darüber kann neue Horizonte eröffnen. Bei gleichen Standpunkten kann sich auch nichts nach vorn entwickeln. Logisch.
Von daher: Unterschiedliche Charaktere sind gut. Und Äußerlichkeiten haben damit ohnehin nichts zu tun.
Lieber Lutz, ich sehe das ziemlich genauso: Je ähnlicher man sich ist, desto ermüdender und langweiliger wird es auf Dauer. Gerade weil der andere Blickwinkel fehlt.
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