Freitag, 25. Februar 2011

Der Feind in mir - "Schattenzeit"

Bis vor ein paar Minuten habe ich eine Reportage über drei Menschen geschaut, die schwer an Depressionen erkrankt sind. Ums mal vorwegzunehmen: Für mich brauchte es nie erst die Tragik eines berühmten Menschen, um auf eine Krankheit aufmerksam zu werden, von der man nicht weiß, woher genau sie kommt, wann sie wieder geht und ob sie überhaupt jemals wieder geht. Ein Feind quasi, der sich in dir breit macht und der dich so hinterhältig überfällt, dass du ihn zumeist nicht einmal kommen sehen hast. Und damit auch lange nicht wahrhaben willst, dass er bereits Besitz von dir ergriffen hat.
Alles, was das Menschliche und auch Zwischenmenschliche betrifft, hat mich von jeher interessiert und zugleich fasziniert, Tiefgründe, Abgründe, Facetten, der Blick hinter die Fassade, die Malfarben: Für mich gibt schon lange kein Schwarz oder Weiß mehr, schon vor vielen Jahren haben mich insbesondere die Schattierungen, die Nuancen interessiert und habe ich demzufolge - mitunter zu sehr - Anteil genommen an Schicksalen und Begebenheiten mit oder zwischen anderen Menschen.
Einst hatte ich mir einen Spruch aus einer Zeitschrift geschnitten, der noch heute an meiner Pinnwand heftet:
"Es ist unglaublich, wie viel Kraft die Seele dem Körper zu verleihen vermag."
Was aber, wenn die Seele erkrankt ist?
Wie kann man einem Menschen zur Seite stehen, der es nicht mehr vermag, all die wunderbaren Kleinigkeiten im Alltag zu erkennen, zu sehen, sich daran zu erfreuen; der in seinem Blickwinkel, in seinen Empfindungen und auch in seinen Augen stumpf und glanzlos wird? Wie verhilft man einem Menschen auf die Beine, der stürzte und es eben nicht vermag, von allein wieder aufzustehen? Wie viel Beistand können wir geben, wie viel Beistand dürfen wir geben? Bis wohin ist es unsere Aufgabe und ab wann gehört es in die Hände derer, die sich damit auskennen? Wobei ich aber auch der Meinung bin, dass gerade aktuell, wo das Thema auch von den Medien aufgenommen worden ist, Sensibilität schnell in Hysterie umschlägt, wonach ein Seelenblues in nullkommanix als Depression gehandelt und die Person entsprechend stigmatisiert wird. Nicht nur deshalb bin ich auch nicht nur beim Thema "Depressionen" der Auffassung, mit voreiligen Schlüssen und damit leider falschen Konsequenzen vorsichtig zu sein.
Meine Gedanken jedenfalls sind heute zurückgewandert in eine Zeit vor einigen Jahren, als ich eher zufällig die Bekanntschaft mit einer jungen Frau machte, eine Mutter zweier wunderbarer Kinder, die nach etlichen Enttäuschungen und Rückschlägen im Leben meinte, den Mann ihres Lebens kennen gelernt zu haben - und dann doch nach einigen Wochen bitter enttäuscht wurde. Vielleicht war der Knackpunkt, dass sie nie erfahren hatte, warum er sie verließ - ich bin ja auch so jemand, der mit Gegebenheiten vor allem dann umgehen kann, wenn er sie auch versteht. Woran es also wirklich lag, habe ich nie erfahren - aber in der folgenden Zeit einen - im Grunde - aussichtlosen Kampf geführt, sie an all das Schöne und Positive, das auch ohne diese fragwürdige Beziehung immer noch in ihrem Leben war, heranzuführen, sie darauf aufmerksam zu machen, mit ihr Ausstellungen und Konzerte zu besuchen oder sie daran zu erinnern, was sie eigentlich immer schon mal tun wolle. "Töpfern? Hey cool, lass uns das doch mal machen!"
Ums kurz zu machen: Wir haben nie den Töpferkurs besucht; zog ich sie auf die Beine, stand sie, ließ ich wieder los, fiel sie wieder. Selbst in der wohl angespanntesten Phase meines Lebens habe ich mich eines Tages dazu entschlossen, mich dem Ganzen komplett zu entziehen. Ich konnte ihr nicht helfen, doch spürte ich, dass sie mir letztlich nicht guttat, dass sie mir stetig mehr Energie entzog als ich eigene Quellen wieder auffüllen konnte. Erst ein paar Jahre später  habe ich verstanden, dass es nicht meine Aufgabe war, dieser Frau zu helfen, ihr gar aus der Depression herauszuhelfen. Dennoch denke ich noch heute dann und wann an sie und frage mich, was wohl aus ihr und den Kindern geworden ist? Ob sie wohl heute glücklich in einer Beziehung lebt, ob es ihr gut geht?
Habe ich mich damals richtig oder falsch verhalten?
Habe ich es mir zu einfach gemacht?
Wie hätte ich mich verhalten, würde mein Partner unter Depressionen leiden?
Kann man das überhaupt miteinander vergleichen?

Auf die pauschale Aussage: "Man verlässt seinen Partner nicht, wenn der einen braucht" gebe ich gar nichts. Niemand kann ermessen, was das Leben mit dem Erkrankten bedeutet, seien es Depressionen oder Alzheimer. Zum Beispiel. Da bin ich immer der Meinung, dass die Rechnung zum Schluss gemacht wird und nicht zu selten rennen gerade die am ehesten weg, die gerade noch der Meinung waren, wer seinen Partner in der Not allein ließe, sei ein Ego-Schwein. Sicherlich gibt es da ganz deutliche Abstufungen, versteht mich bloß nicht falsch. In guten wie in schlechten Tagen - der Meinung bin ich noch heute, noch immer, aber können wir wirklich einem Menschen dessen Schwäche vorhalten? Ich glaub, wir müssen sie eher akzeptieren, dass sie eben schwach sind, so schmerzhaft das auch ist. Und wenn du eine Zeitlang mit einem anderen Menschen dein Leben teilst, dann kannst du schon einschätzen, ob du einen starken oder eben auch schwachen Partner hast. Ich meine, wenn ich ehrlich sein soll... Was ich selbst in den letzten Jahren an möglichen Diagnosen um die Ohren gehauen bekommen hatte (so zum Beispiel die Multiple Sklerose oder auch der Brustkrebs und glücklicherweise hatten sich diese Diagnosen nicht bestätigt) - da machte ich mir schon so meine Gedanken und sagte mir: "Eigentlich gut, dass ich allein lebe, dann kann ich wenigstens nicht verlassen werden und mich damit noch tiefer ziehen lassen als ich eh schon bin." Ich bin mir auch heute noch nicht sicher, wie ich auf die Diagnose Krebs oder so reagieren würde. Zumindest ist für mich vorstellbar, dass ich einer der Erkrankten wäre, die nach so einer Diagnose als erste Reaktion darauf ihren Partner verlassen - bevor der es tut. Das ist natürlich hypothetisch, wer weiß schon, was man täte, wenn es wirklich so wäre.
Insofern - so muss ich heute wirklich sagen - bin ich im Nachhinein schon dankbar für jede Erfahrung, die ich in den letzten Jahren machen konnte. Wenn es dir selber gut geht, wenn du vor Kraft, Gesundheit & Lebensfreude nur so strotzt - dann ist es leicht, dein Freund zu sein. Dann ist es einfach. Für mich ist das keine Kunst. Wer aber wirklich dein Freund ist und vor allem: Wie viel Kraft wirklich in dir steckt, das begreifst du erst, wenn du strauchelst, wenn du stürzt, wenn du lernst, Verantwortung zu übernehmen und wenn du lernst, auch zu dir selbst zu stehen - in guten wie in schlechten Tagen.
Heute denke ich, dass wohl das wichtigste für einen Erkrankten das Signal ist: Ich bin für dich da, ich begleite dich - aber gehen musst du deinen Weg selbst.
Ich wünsch Euch das Beste... sowohl als auch... Das meine ich echt ernst.

Reportage: http://www.rbb-online.de/zibb/service/gesundheit/service__depressionen.html
Quelle Foto: http://www.abem.de/03c19899b00dbf40e/03c19899b00dcc222/index.php

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