Wenn man zu einer Woche absoluter Ruhe ohne Stress und Belastung verdonnert und damit quasi von der Außenwelt abgeschnitten ist (bin ich froh, dass die Jungs mir am Samstag noch was eingekauft haben und auch die Treppe wischten, das waren so die wichtigsten To-Do's der letzten und kommenden Tage - ich meine, ich hatte gestern lediglich drei Telefonate zu bewältigen und schon allein von dieser Anstrengung geglaubt, ich stünde kurz vor einem Herzinfarkt, mindestens - zu mehr als das plus Zähneputzen war ich jedenfalls kaum in der Lage. Und dann hab ich nicht viel Auswahlmöglichkeiten:
1. Ich verschlafe den ganzenTag (im Sinne von Gesundschlafen).
2. Ich verschlafe nur den halben Tag und sehe den anderen halben Tag fern.
3. Ich verschlafe nur den halben Tag und lese den anderen halben Tag Buch oder Zeitung (oopss.. mir fällt grad auf - ich war seit Tagen nicht am Briefkasten - vielleicht liegt ja schon ein Liebesbrief vom Finanzamt drin und ich weiß noch gar nichts von meinem Glück?)
Oder - last but not least:
4. Ich schlafe mich den halben Tag gesund und begebe mich den anderen Tag unter die Millionen Menschen im world wide web. Wenigstens so ein Hauch von... Leben.
Denn das ist ja mitunter genauso interessant wie im wahren Leben. Nur dass du hier natürlich viel mehr Menschen in kürzester Zeit "triffst", was dir im wahren Leben niemals möglich wäre - es sei denn, du besuchst regelmäßig zweimal die Woche ein Festival. Und entsprechend mehr Ansichten, Meinungen, Betrachtungsweisen konfrontieren dich. Gestern habe ich einige davon im Forum gelesen und wenigstens schon mal den Kopf geschüttelt.
Dennoch es überrascht, nein, es schockiert mich immer wieder aufs Neue, wie leichtfertig Menschen sagen "ich liebe dich" oder "ich liebe ihn" oder "er liebt mich". Nur um dann hinzuzufügen: "Ich kenn ihn erst seit ein paar Wochen und auch nur aus dem Chat, gesehen haben wir uns noch nicht." Sowas oder sowas Ähnliches hört und sieht oder liest man ja zuweilen an jeder dritten Ecke - und es schockiert mich.
Ist es schon Liebe, wenn ich ein paar Wochen lang mit jemandem chatte, maile, Briefe schreibe? Ohne zu wissen, wie er riecht, wie er schmeckt, wie er sich anfühlt? Wie ich mich fühle, wenn er mich anschaut, wenn er im Gespräch mit anderen seine Hand auf mein Bein legt, wie ich mich fühle, wenn er neben mir liegt; wie ich mich fühle, wenn ich nachts erwache und seine Silhouette erkenne, wenn ich meine Hand auf seinen Bauch lege und wieder einschlafe? Was ist mit Zutrauen, Vertrauen, Geborgenheit? Was ist mit Dingen, die man einfach nur für den anderen tut, auch wenn man selbst gerade vielleicht etwas anderes wollte? Für den anderen einfach mal zurückstecken und verzichten? Was ist mit dem Gefühl, sich selber reich und beschenkt zu fühlen, nur weil man dem anderen gerade eine Freude bereitet hat? Was ist mit dem Bedürfnis, mitten in der Nacht zu erwachen und den anderen anzurufen, nur weil man ihm unbedingt sagen muss, dass man ihn liebt? Mit dem Gefühl, auf einer Karaoke-Bühne zu stehen und für den Liebsten zu singen - und nur ihn zu sehen, trotz des überfüllten Raums? Was ist mit dem Gefühl, den anderen zu spüren, zu sehen, beinah zu schmecken - obwohl er gerade nicht da ist? Was ist mit dem Gefühl, neben dem anderen zu liegen, zu sitzen, ihn anzuschauen und zu spüren: Ich brauch grad nix anderes mehr? Dass man das Gefühl hat, der andere war nie fort, auch wenn man ihn ein Jahr lang nicht sehen oder hören konnte?
Und wenn Ihr mich fragt - ich finde, dass auch der Sex eine ganz wichtige... ähm... ja... Säule ist.
Am Anfang spürt es wohl jeder. Jeder, der verliebt ist. Und vermutlich... werden all diese Empfindungen leiser mit den Jahren. Und im Alltag. Aber wenn es Liebe ist, dann werden sie zwar leiser - aber sie werden inniger, intensiver. Bewusster.
Da gibts ja diesen Schlager "Vom Verliebtsein bis zur Lieeebe ist es nur ein kleiner Schritt..." Aber Verliebtsein ist eben auch keine Liebe. Ich meine, ich will ja jetzt hier nicht den Kümmel aus dem Käse holen und mir ist durchaus bewusst, dass Liebe für sich jeder selbst definiert. Und ich hab mich auch schon mehr als einmal geweigert, meine eigene "Definition" von Liebe preiszugeben, weil ich vor allem wusste, dass mein Gegenüber nur darauf wartete, eben diese Definition auseinanderzupflücken und sich kaputtzulachen. Oder weil ich das Gefühl hatte, ich müsste etwas verteidigen, das es nicht zu verteidigen gab.
Aber wenn eine Hausfrau mit drei Kindern schreibt, sie habe im Chat vor ein paar Monaten einen Mann kennen gelernt, den sie noch nie gesehen habe, und der Mann sei wie sie gebunden und es sei die ganz große Liebe - man habe sich eben nur noch nicht getroffen, weil er ja seine Frau auch liebe und nicht betrügen wolle, dann... muss man doch aber auch nicht gleich pissig reagieren, wenn ich nur mal anfrage "Wenn er so glücklich ist mit seiner Frau, wie kam er dann ins Internet? Hooops - aus Versehen auf die Anmeldetastatur gefallen?" Oder meine Frage "Wie kann man von Liebe sprechen - wenn man sich doch noch gar nicht kennt? Ihr Euch noch nicht mal gesehen habt?" Irgendwie hab ich schon den Eindruck, da suhlen sie sich in ihren verletzten Gefühlen und enttäuschten Sehnsüchten und pissen dir prompt ans Bein, sobald du nur mal eine Frage stellst, die sie nicht angreifen, sondern einfach bloß mal zum Nachdenken anregen soll. Bei der Gelegenheit ja vielleicht auch gleich ein wenig über sich selbst.
Ob diese Frau wohl den Eindruck hatte, sie müsse etwas verteidigen, dass es nicht zu verteidigen gab?
Oder ob ich einfach nur einen wunden Punkt getroffen hatte? Weil sie mit dieser Chatbekanntschaft ein bisschen Farbe in ihr ansonsten vermutlich eher (inzwischen) farbloses Leben gebracht hatte und ich jetzt in diese kunstvolle Malerei mit Kohlestift dazwischenkritzelte?
Ich meine, wenn man mich fragt - ich glaube an die Liebe auf den 1. Blick. (Ich kenn auch die auf den 2. oder 3.) Wohl wissend aber auch, dass diese Faszination des 1. Augenblicks noch nicht Liebe ist. Wenn du Glück hast, entwickelt sie sich dann aber noch. Im Realen - nicht im Virtuellen. Das ist meine ganz persönliche Meinung.
1 Kommentar:
Das ist ein Artikel, der mir aus der Seele spricht!
Wie oft erlebe ich auch, dass jemand schlecht behandelt wird und auf die Frage, warum er den anderen denn nicht verlasse, mit einem erstaunten bis vorwufsvollen "Aber ich liebe ihn/sie doch!" antwortet.
Den Begriff Liebe soll bzw. muss jeder für sich definieren. Aber nach ein paar Wochen, möglichst noch getrennt lebend, von Liebe zu sprechen, ist m. E. schon sehr gewagt.
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