Lustigerweise musste ich feststellen: Den Wecker auf off gedrückt, spürte ich beinah körperlich jede einzelne Minute, die ungenutzt verrann und von der ich mir sagte: "Du hättest jetzt schon zehn... zwölf... zwanzig Liegestütze geschafft." Obendrein kamen sie mir wieder in den Sinn, die schlaffen Oberarme einiger anderer Frauen. Und der Gedanke an dieses Gefühl nach dem Frühsport, die Müdigkeit vertrieben, Freund Schmerz Beine gemacht zu haben und mit einem halbwegs ordentlichen E-LAN-Empfang (dieser Ausdruck ist nicht auf meinem Mist gewachsen, aber ich finde ihn gut :)) den Tag zu beginnen. Also bin ich dann wirklich auch aufgestanden, habe den vom Nachtregen noch frischen jungen Morgen begrüßt und los gings: "eins - zwei - drei - vier..." Na und so weiter.
Bis ich an die fünfzigste Liegestütze ankam, hechelnd, außer Atem - und mit dem Gefühl: Da geht noch was. Also noch zehn. Und noch mal zehn. Siebzig? Ach komm... das schaffst du doch auch noch... Ne schöne runde Zahl... Bei der hundert bin ich dann aber auch echt zusammengesackt, habe geschnauft wie der Rasende Roland - aber spürte den Brustmuskel genau da, wo ich auch gehofft hatte, dass der noch da wäre und mir nicht längst die Freundschaft gekündigt hatte.
Aber was mir echt auf die Eier geht (ja, auch wir Frauen haben welche, Mil-li-o-nen Eier!):
Wieso ist es trotzdem nie genug?
Wieso freut sich keine Sau mit dir, dass du was für dich tust, egal, ob nun als Reha- oder Leistungssportler? Warum dürfen Menschen sich vor Lachen auf die Schenkel klopfen und sagen: "Liegestütze? Definiere doch mal korrekte Liegestütze!" Warum darf dich jeder runterziehen und du musst auch noch die Fresse halten und das KORREKT finden? Warum darf dir jeder das Gefühl geben: Scheißegal, was du machst, was Richtiges kann das nicht gewesen sein, wenn ich da an den oder die denke... Warum darf ich nur an anderen gemessen werden, die noch besser sind? Warum muss man immer der Beste sein? Warum muss ich überhaupt darüber nachdenken, auf welchem Platz ich stehe? Warum darf ich mich nicht einfach nur toll finden, wie weit ich es überhaupt geschafft hab - ohne da auch stehenzubleiben? Ich meine, ich könnts mir doch viel leichter machen: Morgens aus dem Bett quälen und ne kleine Pille einwerfen, nur um über den Tag zu kommen und mir suggerieren: "Ich kann ja nichts dafür, ich bin halt krank."
Warum muss ich mich dafür rechtfertigen, dass ich möglicherweise keinen Liegestütz nach DIN EN ISO hingelegt habe? Warum zählt nicht auch der Reha-Sportler, der doch auch seine ganze Kraft und Energie aufwendet, um überhaupt Schwung in die Muskulatur und damit frischen Wind ins Hirn zu bringen? Warum ist dein Krafthaushalt mehr wert als meiner?
Wieso muss ich mich eigentlich immer für alles rechtfertigen?
Dafür, dass ich krank werde?
Dafür, dass die Genesung Zeit braucht?
Dafür, dass ich Zeit brauche?
Dafür, dass ich nicht rund um die Uhr für jeden da sein kann?
Dafür, dass ich nicht auf Kommando abrufbar bin?
Dafür, dass meine Probleme für mich auch mal wichtiger sind als deine?
Warum dürfen Menschen auf mich sauer sein, nur weil ich mich erst drei Stunden später zurückmelden kann?
Warum dürfen sie sauer sein, obwohl sie es sind, die zu müde sind, wenn du von dir erzählen willst?
Warum dürfen sie sauer sein, obwohl sie genau dann gehen müssen, wenn du gerade von dir erzählst?
Warum dürfen sie sauer sein, obwohl sie auf deine E-Mail gar nicht reagieren oder erst drei Tage später auf deine sms antworten?
Wieso muss ich das immer alles verstehen und tolerieren - und ich selber bin der letzte Arsch?
Warum darf ich das alles nicht sagen, ohne undankbar für das zu sein, das ich bis dahin bekommen hatte?
Warum darf ich das alles nicht sagen, ohne undankbar für das zu sein, das ich bis dahin bekommen hatte?
Ich weiß, ich bin grad vom Thema abgekommen. Mir kommt es jedoch immer öfter so vor, als habe der Sport nicht nur Schwung in die Muskulatur gebracht - sondern auch in mein Denken - und in mein Handeln. Die große Wetterwende, Ihr wisst schon, der andere Wind, der jetzt weht. Es hat sich in vielen Jahren so vieles angestaut. Früher war ich ein Mensch voller Verlustangst, voller Selbstzweifel und überhaupt. Lieber war ich anschmiegsam, als dass der andere durch mein Verhalten vertrieben wurde. Ich wollte nur eins - ich wollte nur geliebt werden. Aber Hand aufs Herz - hat das wirklich auch was genutzt? Am Ende hat trotzdem jeder entschieden, was er wollte - und ohne MICH zu fragen, wie es MIR dabei ging.
Ich habe das alles so satt, wirklich.
Vielleicht habe ich die Schmerzerkrankung gebraucht, um ein Bewusstsein zu entwickeln.
Vielleicht habe ich die Schmerzerkrankung gebraucht, um einen eigenen Willen zu entwickeln.
Vielleicht habe ich all die Jahre gebraucht, um mein eigenes Ich aus dem Keller zu holen.
Vielleicht habe ich all das gebraucht, um den Sport für mich zu entdecken - und damit die Freiheit im Kopf. Die Klarheit. Leute, rennt, fahrt Rad, geht schwimmen, steigt in die Berge oder stürzt Euch ins Meer. Tut was.
Nur für Euch. Vielleicht glaubt Ihr mir das nicht oder könnts Euch nicht vorstellen - aber Ihr tut Euch selbst damit den größten Gefallen. Loslassen tut immer noch weh, aber ich habe keine Angst mehr davor. Endlich komm ich da hin, wo Schatzi mich immer gewünscht hat: "Achte endlich auf dich und auf das, was dich umgeben darf und was nicht." Findet Ihr das nicht auch wichtig? Nicht jeder Weg muss zwingend auch zuende gegangen werden. Wege ändern sich, Richtungen ändern sich. Ich glaub, das Wichtigste ist, dass wir uns selber treu bleiben. Auch wenn dafür der eine oder andere aus deinem Zug aussteigt. Wichtig war, dass er überhaupt da war.
Ach ja, Sport übrigens ist auch gut gegen Alzheimer. Ich weiß gar nicht, warum ich das jetzt sage. Ich habs vergessen.
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