Sonntag, 16. August 2009

Es Kommt Immer Anders

...wenn man denkt.
Eine Postkarte mit diesem Spruch hängt bei mir über dem Badezimmerspiegel. War ich bis vor wenigen Jahren noch der "Bauchmensch", der passieren ließ, ohne groß darüber nachzudenken, so bin ich heute durch die Erlebnisse und Erfahrungen in den letzten Jahren eher ein... Kopfmensch geworden. Ein Kopfmensch, der gerne auch mal vor den Bildern und Ereignissen aus diesen vergangenen Jahren flieht...

So wie gestern. Was wollte ich nicht alles tun. Ich wollte der Einladung zum Salsaabend folgen. Abgesagt. Vor drei Tagen wurde er abgesagt. Dann las ich mit Begeisterung, dass am Samstag ein Strandfest an unserem See veranstaltet würde - ein Strandfest mit spanischem Flair. Wow - dachte ich mir - da gehe ich hin!
So hatte ich mir den Samstag folgendermaßen vorgestellt: in aller Ruhe ausschlafen, frühstücken mit den Kindern, einkaufen, zum Geburtstag einer Freundin schauen und abends zum Strandfest gehen.
Und was wurde aus all dem? Nichts. Gar nichts.
Was sich bereits Freitag Abend andeutete, entfaltete sich am Samstag in totaler Gräßlichkeit: Fieber, Brechen und ein Hämmern in meinem Kopf bei der geringsten Bewegung, so dass ich nur noch eines tun konnte: Liegen, schlafen und warten, bis der Anfall vorüberginge.
Und in diesen Wachphasen... da waren sie wieder... die Bilder vom 15. August 2006, die Bilder des Verkehrsunfalls, den ich bis heute nicht wirklich verarbeitet habe.
Diese Bilder eines verregneten, aber warmen Augustmorgens, auf dem Weg ins Büro.
Im Player lag die neu erworbene CD "XXL-Hits der 80er" und bei "The Sun Always Shine's On TV" drehte ich auf, sang mit... Fühlte mich wohl, nein, fühlte mich richtig gut. Entschied mich zum Spurenwechsel von links nach rechts, sah den LKW, den ich noch überholen musste und dann lenkte ich zum Spurwechsel ein. Ich weiß noch, dass es leicht knackte, ein wirklich leichter Widerstand und dann war mir, als hielte ich das Lenkrad in der Hand. Mit einem Mal war es so leicht... während mein Auto die Kontrolle verlor und über beide Spuren hin- und herschleuderte. Ehrlich gesagt - ich hatte in diesem Moment nicht einmal Angst. Ich war viel zu überrascht. Und alles ging so schnell. Als ich den Lichtmast sah, auf den ich zuschleuderte, schloss ich die Augen und dachte: "OK... Das war's.." Dann hat es auch schon unvorstellbar geknallt, mein Kopf flog durch die Seitenscheibe, Schlüssel rissen vom Bund, der Inhalt meiner Tasche ergoss sich in den Fußraum - und noch immer spielte "The Sun Always Shine on TV"...
Was war da passiert?
Warum war das passiert?
Der Mann, der durch die zerbrochene Scheibe nach mir griff, mich fragte, ob alles OK sei, und ich konnte nicht antworten, weil ich glaubte, gleich zerspringe mir der Kopf. Die Haargummis waren zerrissen, büschelweise fielen mir Haare auf den Schoß und da erst bemerkte ich überall das Blut. Auf den Händen, in den Haaren, auf der Hemdbluse.
Der Krankenwagen, die Polizei.
"Sie müssen den Kopf nach hinten legen!"
"Ich kann nicht, das tut weh."
"Mensch, da steckt ja noch Glas im Kopf."
"Ich will das Auto sehen. Lassen Sie mich das Auto sehen."
"Nein, schauen Sie da jetzt nicht hin. Sie hatten echt Glück, Sie hätten tot sein können."
Die Fahrt ins Krankenhaus, auf der ich mich immer wieder fragte: Warum? Wozu sollte das jetzt gut sein?
Die Fahrt durch die Gänge in der Klinik, über mir die Lichter, tausend Nadeln in meinem Körper, die erste Infusion, nach der mir wundersam leicht zumute wurde...
"Wen sollen wir für Sie anrufen?"
Wen nur? Jeder, der wichtig war, war zu weit weg...
Am Ende dieses Tages, als alle Nadeln aus meinem Körper gezogen, alle Wunden vernäht und geröntgt waren, da bekam ich zum ersten Mal so eine Ahnung, wofür es vielleicht gut sein sollte.
Zu sehen, wie viel Kraft in mir selbst steckt.
Und aber auch zu sehen, wie viel Kraft in den anderen Menschen steckt. Wie stark oder auch wie schwach sie sind. Auf wen ich mich stützen konnte oder nicht. Wie tief man fallen und trotzdem wieder aufstehen kann.
Damals blieb es für lange Zeit nur eine Ahnung. Die Kraft fehlte, um mich damit auseinanderzusetzen. Die Kraft, die ich eher brauchte, um die Verletzungen zu überwinden, zumindest die äußeren. Die Kraft, um eine neue Wohnung zu finden und umzuziehen. Die Kraft, das Kind auf das Gymnasium wechseln zu lassen und mich damit schlussendlich dem Vater zu widersetzen, der mir vorwarf: "Das machst du doch nur wegen deinem Ego, das schafft der doch nie!" Und das alles zur selben Zeit.
Manchmal denke ich, dass es tausend gute Gründe gäbe, von hier fortzugehen.
Wie gern würde ich wieder am Meer leben. Abends Spaziergänge am Ufer machen, die Tiefe und Weite des Meeres ahnen. Die Frische atmen, sobald ich das Fenster öffnete. Endlich Ruhe finden, in mir und um mich.
Aber manchmal geht es eben nicht nur nach mir und auch nicht nur um mich.
Und dann kann ich nicht so einfach fliehen.
So wenig wie gestern vor den Bildern.

Doch heute geht es mir langsam besser. Der Druck im Kopf lässt nach und der Zwieback schmeckt auch. Jetzt muss ich mich um Ziggenheimer Junior II. kümmern, der letzte Nacht sein Abendessen erbrach.
Na dann... auf in die zweite Runde.
Sonntägliche Grüße aus dem Spital Ziggenheimer!

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